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Only God Forgives

Only God Forgives

In the Mood for Blood

| Pamela Jahn |

Tod in Bangkok: Nicolas Winding Refn und Ryan Gosling begeben sich in ihrer zweiten Zusammenarbeit auf eine unglückselige Odyssee ins Leere.

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Auf Teufel komm raus wurde gemunkelt, spekuliert und gerätselt, seit noch im Windschatten von Drive vor gut zwei Jahren die ersten offiziellen Informationen über Nicolas Winding Refns neues Projekt durchsickerten. Wobei der neue Film im Grunde ein alter Hut war, denn eigentlich hatte sich Refn (Interview) bereits nach Bronson (2008) an der Idee zu Only God Forgives festgebissen: nämlich die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der mit sich und gegen niemand Geringeren als Gott selbst kämpft.

Da aber die Dinge meistens anders kommen, als man denkt, drehte er mit Drive zunächst mal eben ein kleines Retro-Noir-Meisterwerk, und als ihm schließlich sein längst engagierter Hauptdarsteller für den ursprünglich geplanten Film flöten ging, war die zweite Zusammenarbeit zwischen Winding Refn und Gosling kurzerhand beschlossene Sache. Dann hörte man wieder lange Zeit gar nichts, bis Anfang des Jahres die ersten Trailer und Teaser auf die mittlerweile nicht unbeachtliche Fangemeinde des dänischen Regisseurs losgelassen wurden. Die Story, hieß es dann, sei eine Art griechische Tragödie, angesiedelt im Prostituierten-Milieu Bangkoks, was bereits einige Drive-Bewunderer zusammenzucken ließ. Jetzt ist der Film endlich da und die Enttäuschung groß: Ein weiterer Geniestreich, ein zweiter Drive ist es nicht geworden – Gosling hin oder her. Dabei teilt sich die Kritik vor allem in zwei polarisierende Lager: in diejenigen, die in Only God Forgives zumindest ein kunstfertig gestaltetes, wenn auch brutales filmisches Designerstück für die rauschsüchtigen, gewalterprobten Sinne zu sehen gewillt sind, und in den Großteil jener, die das Ganze, milde ausgedrückt, für „prätentiösen Mist“, „sinnlosen Hochglanz-Kitsch“ und mindestens für das Kino-Ärgernis des Jahres halten.

Wer nun Recht hat oder nicht, liegt natürlich im Auge des Betrachters selbst, und deshalb ist man vielleicht besser beraten, sich zunächst einmal genauer anzuschauen, worum es hier  eigentlichgeht: Erzählt wird die Geschichte des schweigsam-coolen Julian (Gosling), der aufgrund einer Mordanklage auf der Flucht vor der amerikanischen Justiz in Bangkok lebt und dort gemeinsam mit seinem großen Bruder Billy einen Thai-Box-Club als Fassade für die Drogengeschäfte der Familie betreibt. Als Billy getötet wird, weil er eines Abends ausgerastet ist und eine minderjährige Prostituierte vergewaltigt und ermordet hat, taucht plötzlich Mutter Crystal (Kristin Scott Thomas) aus den Vereinigten Staaten auf, um die Leiche ihres Lieblingssohnes nach Hause zu holen und ihrem Jüngsten zuvor noch ordentlich die Leviten zu lesen, denn schließlich ginge es jetzt allein darum, sich an den Mördern zu rächen und die Familienehre zu retten. Was die Sache unnötig erschwert: Der pensionierte Polizeichef Chang (Vithaya Pansringarm), auf dessen Konto Billys Kopf geht, ist die personifizierte Rache Gottes und dementsprechend skrupellos in seiner selbst auferlegten, undankbaren Mission, Bangkoks Straßen und Nachtclubs von sämtlichem Unrat zu befreien.

Das klingt, allein was den Plot angeht, eigentlich schon nach viel mehr, als es in Wirklichkeit ist. Stärker noch als in seinen früheren Filmen widersetzt sich Winding Refn kompromisslos allen dramaturgischen Konventionen und schwelgt stattdessen in einer inhaltlichen Leere, die einen nachhaltig ratlos zurücklässt: Auch ein paar wenige Glanzmomente und teuflische Dialoge vermögen diesem herzlosen Stück Film nicht mehr Leben einzuhauchen, geschweige denn mehr Substanz zu verleihen. Only God Forgives heftet seine Handlungsfetzen motivationslos aneinander, tränkt sie in heiß-kalte Neonbeleuchtung, schleift sie durch höheren und brutalsten Unsinn und verglüht am Ende im Esoterik-Kitsch. Die wilde Alles-oder-Nichts-Emotionalität von Pusher, Bronson und Drive muss einer unterkühlten Dis-tanziertheit weichen, die an Gleichgültigkeit grenzt und die sich unvermeidlich auch auf den Zuschauer überträgt.

Im Streifzug durch das nächtliche Bangkok entfalten sich die Einstellungen, werden zu melancholischen Gemälden in Tiefrot und Eisblau. Und auch hier kann Nicolas Winding Refn der Verlockung quälender Redundanz nur selten widerstehen. Aber eines muss man ihm lassen: Die Virtuosität dieser Momentaufnahmen, das tollkühne Spiel mit Licht, Farben und Kontrasten ist durchaus beeindruckend und wirkt mitunter sogar erlösend. Sein akribisches filmisches Auge, seine unermüdliche Begeisterung für den perfekt komponierten Augenblick, das bleibt Winding Refns große Stärke – und ist zugleich die Schwäche des Films. Denn so hübsch und kraftvoll er seine Bilder hier inszeniert, so schwer fällt es ihm andererseits, aus den zu Tableaus erstarrten Augenblicken lebendige Figuren herauszuschneiden.

Das der Handlung zugrunde liegende Mutter-Sohn-Problem dient Winding Refn offenbar lediglich als Aufhänger, um seinen introvertierten Helden auf eine fatale Odyssee durch die düstere Unterwelt von Bangkok zu schicken, und natürlich als Bühne für zwei hervorragende Hauptdarsteller – wobei Ryan Gosling diesmal eindeutig das leichtere Spiel hat, denn oft gibt ihm sein Regisseur nichts Besseres zu tun, als zu den düster dröhnenden Orgelklängen, die im Soundtrack von Cliff Martinez den Ton angeben, trotz blauem Auge möglichst cool drein zu schauen. Kristin Scott Thomas dagegen (unter der blonden Kunsthaarperücke kaum wiederzuerkennen) darf als rachsüchtige Mama Gift und Galle spucken, was das Zeug hält, und dabei sichtlich vergnügt Bosheiten austeilen, die ihr kaum ein anderer Filmemacher in den Mund zu legen wagen würde. Wenn Crystal allerdings Julian gegenüber alle Wut über den Verlust ihres Erstgeborenen herauslässt, dann zeigt sich an dieser Stelle nur, dass auch eine erstklassige Schauspielerin wie Scott Thomas in der Rolle nichts ausrichten kann. Vielmehr haben wahre Emotionen in dieser hyperrealistischen Welt keine Berechtigung, sondern wirken stattdessen seltsam verloren und deplatziert.

Tatsächlich kann man, wenn man es darauf anlegt, in Only God Forgives  alle Vorurteile bestätigt finden, die man grundsätzlich gegen das kapriziöse, blutrünstige Kino von Nicolas Winding Refn hegen kann. Und wenn es im Vorführsaal noch eine Gerechtigkeit gibt, dürfte bereits jetzt feststehen, dass der Film nicht der Wiederholungserfolg wird, auf den so viele gehofft haben. Im Gegenteil. Man kann das bedauern und diese Tragödie als großes sinnloses Theater um Rache und Vergebung, Mystik, Gewalt und Tod verreißen, verfluchen, in die Tonne treten, was auch immer. Oder man kann das Ganze als Chance sehen: So wird Only God Forgives für alle Beteiligten zu einer Bewährungsprobe, die irgendwie durchgestanden werden muss. Gott helfe den Mutigen.