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Sons of Anarchy

Sons of Anarchy

Shakespeare und Söhne

| Roman Scheiber |

Die von Kurt Sutter erdachte Outlaw-Serie „Sons of Anarchy“ dramatisiert beispielhaft die männer­bündischen Strukturen einer Biker-Gang.

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Jax Teller ist ein harter Hund. Wer einem seiner Biker-Freunde ans Leder will, kriegt eins auf die Nase. Wer seine Geliebte belästigt, spielt mit dem eigenen Leben. Und wer seine Familie gefährdet, dem Gnade Gott.

Doch wie jeder harte Hund hat Jax auch ein Herz, und weil dem so ist, hat er ein Problem. In einer alten Kiste findet er einen gehefteten Stapel maschinbeschriebenes Papier, der sich als Vermächtnis seines vor einiger Zeit verstorbenen Vaters herausstellt. John Teller, Vietnam-Veteran, zählte zu den Gründungsmitgliedern des „Sons of Anarchy Motorcycle Club Redwood Original“ (kurz: SAMCRO) und war bis zu seinem gewaltsamen Tod der Anführer der ursprünglich aus dem Geist der Freiheit vor staatlicher Repression entstandenen, von den kommunitären Idealen der Sixties geprägten Vereinigung. In dem Text, dessen Lektüre Jax fortan beeinflussen wird, warnt sein Vater vor dem Verlust der libertären Grundausrichtung des Clubs, der Aushöhlung der Devise „brains before bullets“ und vor der Dynamik des Abgleitens in die schwere Kriminalität. In der Gegenwart der Geschichte ist die Befürchtung John Tellers längst eingetreten: SAMCRO hat sich von einem Biker-Club zu einer mafiösen Gang gewandelt, steht für Gewalt und Waffenhandel, ist mehr oder weniger als Schattenregierung des nordkalifornischen Städtchens Charming etabliert und schreckt – wenn die Loyalität zu Gangmitgliedern und ihren Familien es erfordert oder die verbrecherischen Machenschaften der Bande aufzufliegen drohen – auch vor Mord nicht zurück.

Hamlet auf einer Harley

Jax Teller ist mit SAMCRO aufgewachsen. Der Club ist seine Großfamilie. Von den machoiden Gepflogenheiten und den illegalen Geschäften ist er ebenso geprägt wie vom Loyalitätsbegriff des Clubs. Sein Problem ist, der junge Kronprinz einer kriminellen Organisation zu sein, die von außen vermehrt durch andere Banden und bald auch von Bundesagenten, innerlich zur gleichen Zeit von moralischem Verfall bedroht ist. Jax (der fesche Brite Charlie Hunnam gibt sich redlich Mühe mit dem amerikanischen Akzent) steckt in einem Dilemma von Shakespeare’scher Dimension: Wie Hamlet verfolgt ihn der Geist des toten Vaters, während die Festigung der Hausmacht ihm alle Energie abverlangt. Seine Mutter Gemma indes (superb gespielt von der als Peggy Bundy in Married with Children / Eine schrecklich nette Familie weltberühmt gewordenen Katey Sagal) ist eine wunderbare Mischung aus Hamlets Mutter Gertrude und Lady Macbeth im White-Trash-Aufsteiger-Kostüm. Im Überleben des Clubs sieht sie die einzige Möglichkeit der Existenzsicherung, Familie geht ihr über alles, Manipulation und Intrige sind ihre bevorzugten Mittel. Gemma ist denn auch die einzige Frau, die wenigstens hinter den Kulissen des männerdominierten Clubs etwas zu melden hat. Nach dem Tod ihres Mannes John hat sie den aktuellen SAMCRO-Regenten Clay (Ron Perlman zur Abwechslung in einer Anti-Freak-Hauptrolle) geheiratet; ebenso wenig wie Jaxens Stiefvater passt es ihr, dass der Königssohn sich von den moralischen Bedenken des verschiedenen Vaters lenken lässt. Denn Jax hat ohnehin an allen Fronten zu tun: Nicht nur lassen die verfeindeten Mayans, eine so hirnlose wie gefährliche mexikanische Gang, ein Waffenlager der Sons samt zwei darin versteckten Prostituierten in die Luft gehen, sondern kämpft auch sein von Jaxens Exfrau und Junkie Wendy (Drea de Matteo, Adriana aus The Sopranos) zu früh geborener Sohn ums Überleben – um den sich wiederum keine Geringere kümmert als seine mit Kinderdoktortitel nach Charming zurückgekehrte Jugendliebe Tara (wunderbar: Maggie Siff, Mad Men-Sehern als eine der beeindruckendsten Kundinnen Don Drapers bekannt).

Zwischen Arthouse und Grindhouse

Wenn die anarchischen Söhne nicht gerade in den Außendienst ausreiten – um Geld aufzutreiben, Spuren ihres allzu selbstsicheren Treibens zu verwischen oder sich mit anderen schweren Jungs wechselweise zu einigen oder zu metzeln –, treffen sie sich im Clubhaus zum männerbündischen Austausch nach guter, alter Macho-Manier. Diese durchweg kantig geschriebenen und großteils subtil inszenierten Szenen machen so etwas wie die erzählerische Homebase von Sons of Anarchy aus. Hier herrscht lakonischer Witz, nimmt man einander auf die Schaufel, wird beraten, gestritten und immerhin weitgehend demokratisch entschieden. Persönliche Konflikte werden ausgetragen, Krisen professionell gemanagt, Schultern geklopft, allenfalls entspannende Drogen konsumiert. In seiner Grundstruktur unterscheidet sich das gar nicht so sehr von den Vorgängen am Stammtisch eines exklusiven Männersportvereins: Der nirgendwo sonst vermisste Testosteronüberschuss ist in Sons of Anarchy zwar deutlich höher, und statt des nächsten Trainingslagers wird der nächste Waffendeal besprochen, doch das Zelebrieren maskuliner Rituale unter strikter Abwesenheit von Frauen steht da wie dort auf der Tagesordnung.

Nach eigener Aussage hat Creator Kurt Sutter mehrere Monate mit den Mitgliedern eines anonym gebliebenen Biker-Clubs in Oakland verbracht, um seine Serie in Sachen Vereinskonvention so nah an der Realität wie möglich zu basteln. Doch darüber hinaus haben der Schöpfer und sein Team sich den Jux gemacht, ihren Darstellern alle nur möglichen milieubedingten Derbheiten und sexistischen Zoten anzudichten. Delektieren sich an der Zuspitzung der Bandenkriege, bauen zwischendurch passable Actionszenen ein oder auch einmal eine Fusionsparty mit einem verwandten Club, die derart ausschweifend gezeichnet ist, dass Feministinnen die Adern hervortreten müssten. Das Augenzwinkern bei diesen Macho-Elementen nimmt freilich schon ein ironisches Muskelzucken in der Titelsequenz vorweg, deren Abschluss das grimmige Clublogo auf einen prächtigen Herrenrücken tätowiert.

Der 47-jährige, aus New Jersey stammende Autor und Produzent Kurt Sutter hat übrigens selbst mehr Tattoos als sämtliche seiner SAMCRO-Darsteller. Letztere sind ausnahmslos prima gecastet – von Kim Coates als Tig, dem übellaunigsten und notgeilsten unter den Anarchos, bis zum Elvis-Impersonator Bobby Munson (Mark Boone, Jr.), dem gemütlichen jüdischen (!) Buchhalter des Clubs (Sutter in einem Audiokommentar: „Ich bin darauf angesprochen worden, dass das ein Klischee sei, aber es war mir gar nicht aufgefallen, denn der Kassier des Clubs, bei dem ich recherchiert habe, ist auch Jude“).

Über die auflockernden Albernheiten und den angestaubten Männerfetisch der Serie kann man geteilter Meinung sein. Abgesehen davon jedoch ist Sons of Anarchy ein Familiendrama von alttestamentarischer Wucht, das sich der Charakterzeichnung nach dem Prinzip wechselnder Anziehung und Abstoßung des Publikums verschreibt und dabei eine hochwirksame dramaturgische Energie freisetzt sowie motivationsintensive Dialoge hervorbringt, die ein literarisches Qualitätssiegel verdienen. Freundschaft, Verrat, Macht, Liebe, Hass sind der Treibstoff dieses Entwicklungsromans im Grind-Einband.

Ambivalente Subkulturhelden

Für viele Fans der Serie und wohlmeinende Kritiker hat es seit The Sopranos (1999–2007) keine so gute Outlaw-Family-Story im Format einer Fernsehserie gegeben. Nicht zuletzt durch den Erfolg der stilbildenden Mafia-Serie sank die Risikoaversion der Fernsehmacher kontinuierlich, sodass sich bald auch andere Subkulturen – von Drogendealern, wie in der bislang besten Urban-Crime-Serie (The Wire, „ray“ 09/12), bis zu Polygamisten (Big Love) – in anspruchsvollen Epen mit ambivalenten Charakteren abgebildet sahen. Und es dauerte nicht lange, bis sich nicht mehr nur ein Premium-Abokanal wie HBO, sondern auch ein Basic Cable Network wie FX (Fox Extended) an mutige Shows herantraute: Der werbefinanzierte Kabelsender überwand die Angst, seine Kunden abzuschrecken, und produzierte von 2002–2008 die nahezu hemmungslose Cop-Serie The Shield. Bei dem vor expliziter Brutalität strotzenden, lustvoll fiebrigen Porträt einer gänzlich von Korruption zerfressenen Polizeieinheit in L.A. („ray“ 10/11) verdiente Kurt Sutter sich als Drehbuchautor und ausführender Produzent denn auch jene Sporen, die ihm 2008 zur Rolle des Masterminds von Sons of Anarchy verhalfen (dem Schauspieler Jay Karnes, der in The Shield einen so versierten wie selbstverliebten Serienkiller-Profiler gab, verschaffte Sutter hier übrigens einen köstlichen Gastauftritt als Beamter der für Schusswaffen zuständigen Bundesbehörde ATF).

Schon die mit erheblicher Verspätung im deutschsprachigen Raum auf DVD/Blu-ray erschienene erste Season von Sons of Anarchy – deshalb nicht weniger dringend in der Originalversion zu genießen – weist Sutter als begnadeten Geschichtenerzähler, als Mann des perfekt geschriebenen gesprochenen Wortes, vor allem aber auch als klugen Spannungsdramaturgen aus, der Vergleiche mit Größen wie Aaron Sorkin (jüngst: The Newsroom) oder mit seinem berüchtigten Vorbild David Milch (Deadwood, Luck) nicht mehr zu scheuen braucht. Während Season zwei hierzulande am 26. Juli erscheint, ist Sons of Anarchy in den USA mittlerweile bei der sechsten Season angelangt. Kurt Sutter arbeitet inzwischen bereits an seinem nächsten Fernsehprojekt, einer Dark-Comedy-Serie mit dem Arbeitstitel Clown. Diva. Killer. Gerüchten zufolge soll seine Ehefrau Katey Sagal wieder eine Hauptrolle bekommen.