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Unter Menschen

| Jörg Schiffauer |

Über den gewissenlosen Umgang mit der Natur

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Anfang der achtziger Jahre begann der in Wien beheimatete Pharmakonzern Immuno damit, Schimpansen mit Hepatitis- und Aidsviren zu infizieren, um an den Tieren Medikamente gegen diese Krankheiten zu testen. Die Hoffnung wirksame Arzneien zu entwickeln, erfüllte sich nicht, die über Jahre im Versuchslabor in nur wenigen Quadratmeter großen Käfigen gehaltenen 40 Menschenaffen wurden nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu Mustern ohne Wert. Doch dank des unermüdlichen Einsatzes ihrer Pflegerinnen, die die Schimpansen nicht ihrem Schicksal überlassen wollten, gelang es auf dem Gelände des ehemaligen Safariparks Gänserndorf 2001 ein Refugium zu errichten, wo die Tiere nach langer Zeit wieder einen artgerechten Lebensraum gefunden haben. Soweit die nüchternen Fakten und die Ausgangslage für Unter Menschen. Christian Rost und Claus Strigel beobachten in langen Einstellungen und zunächst fast ohne intervenierende Kommentare den schwierigen Prozess, die durch die lange Gefangenschaft schwer traumatisierten Schimpansen wieder an ein Leben als soziale Wesen – die Menschenaffen eben sind – zu gewöhnen. Das klingt nach einer engagierten Naturdokumentation mit Human Touch. Doch nach und nach wird wie unter einem Brennglas deutlich, dass dieser Ausschnitt stellvertretend steht für den stupiden und rücksichtslosen Umgang mit der Natur, der in der Industriegesellschaft vorherrscht und gedankenlos Ressourcen – und vor allem lebendige Wesen – jener Welt auf der wir nun einmal alle leben, vernichten und ausbeuten. Denn die Geschichte dieser Versuchstiere wirft auch ein deutliches Licht auf hiesige Zustände aus gar nicht fernen Zeiten. Besagte Schimpansen wurden in Sierra Leone eingefangen und unter Umgehung sämtlicher Artenschutzabkommen nach Österreich gebracht. Kritiker der fragwürdigen bis kriminellen Methoden wurden von Immuno mittels Klagsdrohungen eingeschüchtert. Das trug den Tieren, deren DNA immerhin zu 95 Prozent dem des Homo sapiens gleicht, ein Dasein ein, das die Verhaltensforscherin Jane Goodall als Folter bezeichnet. Inmitten des Films kommt auch der Justiziar des Pharmakonzerns zu Wort, der heute noch behauptet, die Schimpansen seien ausreichend gefüttert worden, weswegen sie ja nicht mehr Bewegung gebraucht hätten – eine Aussage, die in ihrer Mischung aus Ignoranz, Überheblichkeit und Dummheit wie ein Symbol für den fahrlässigen und skrupellosen Umgang mit der Natur steht. Wer am Schluss von Unter Menschen bei jener Sequenz, die dokumentiert, wie die Schimpansen das erste Mal nach vielen Jahren wieder ins Freie dürfen angesichts der Mimik und Körpersprache der Tiere immer noch meint, ein Käfig sei eine adäquate Haltung, dem könnte man günstigstenfalls unterstellen, dass ein Tumor auf die kognitiven Zentren des Gehirns drückt.