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Prisoners

| Jörg Schiffauer |

Ein beklemmender Thriller wirft unangenehme Fragen grundsätzlicher Natur auf.

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Die Welt von Keller Dover (Hugh Jackman) ist perfekt. Der bodenständige Handwerker hat es zu ansehnlichem Wohlstand gebracht, mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt er in einem schmucken Haus in einer beschaulichen Gemeinde irgendwo in Pennsylvania. Doch ausgerechnet zu Thanksgiving bricht das Unheil mit der Gewalt einer Naturkatastrophe über die Familie herein. Dovers sechsjährige Tochter und ihre gleichaltrige Freundin verschwinden beim Spielen vor dem Haus spurlos. Als aufrechter Bürger vertraut Dover zunächst auf die Polizei. Der leitende Ermittler Detective Loki (Jake Gyllenhaal) nimmt schon bald einen Verdächtigen fest. Doch weil der junge Mann (Paul Dano) geistig so zurückgeblieben erscheint, dass er kaum die Fragen des Ermittlers begreift, muss  man ihn letztendlich aus Mangel an Beweisen laufen lassen.
Weitere Ermittlungen verlaufen im Sand, und mit jedem Tag schwindet die Hoffnung, die beiden Mädchen lebend zu finden. Auch der gottesfürchtige Keller Dover, der wie weiland Hiob vom Schicksal erdrückt zu werden droht, beginnt zu verzweifeln. Doch anders als die biblische Gestalt ergibt sich Dover nicht in sein Leid. Er begehrt auf und entführt schließlich den Verdächtigen, von dessen Schuld er überzeugt ist, und versucht, ihm ein Geständnis zu entlocken. Und die Sorge um seine Tochter – die ja vielleicht doch noch am Leben sein könnte – treibt ihn dazu, Methoden anzuwenden, die so überhaupt nicht mit einem anständigen Kerl wie Keller Dover einer ist, in Einklang zu bringen sind.
Denis Villeneuve hat einen ebenso düsteren wie brillanten Thriller in Szene gesetzt, der mit archaischer Urgewalt über Zuschauer und Protagonisten hereinbricht. Das ewig graue und regnerische Wetter wird zum durchgängigen, sichtbaren Symbol für die Atmosphäre von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die angesichts eines unerbittlichen Schicksalsschlags um sich greift und von einem großartig agierenden Ensemble in allen Facetten beinahe körperlich spürbar gemacht wird. Dabei erweist sich Prisoners aber nicht als stupide, blindwütige Rachephantasie à la Death Wish, sondern als wuchtiges Drama, das neben archetypischen Motiven eine beklemmend aktuelle Komponente zu entwickeln versteht. Denn anhand des Protagonisten Dover wird die Kernfrage, die nach 9/11 im „War on Terror“ aufbrach – darf man um das Leben Unschuldiger zu retten, Grundpfeiler von Rechtsstaatlichkeit und Humanität einfach umwerfen? – in den Mittelpunkt gerückt. Dass ein Überschreiten dieser Grenze das moralische Dilemma nur verschlimmert, wird Keller Dover bald erfahren müssen.