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Der Schaum der Tage / L’Ecume des jours

Der Schaum der Tage / L'Ecume des jours

| Alexandra Seitz |

Kongeniale Verfilmung eines surrealen Meisterwerks durch einen Meister des Surrealen

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1947 veröffentliche der Schriftsteller Boris Vian den surrealistischen Liebesroman „L’écume des jours“ (Der Schaum der Tage), der inzwischen als Kultbuch und Meilenstein der französischen Literatur gilt, seinerzeit aber ein fulminanter Misserfolg war. Das könnte daran gelegen haben, dass Jazz-Fan und Hobby-Trompeter Vian darin seiner Leidenschaft für die Musik Duke Ellingtons Ausdruck verlieh und mit seinem Instrument, dem der Sprache, auf ungewohnt freie Weise umging, d.i. Text komponierte und Wörter erfand. Der Roman handelt von Colin und Chloé, die einander innig lieben, deren Bindung jedoch kein Glück vergönnt ist, da in Chloés Lunge eine Seerose wächst – ein Umstand, der auch im Reich des Surrealen nicht auf die leichte Schulter genommen werden kann. Schon gar nicht, wenn man weiß, dass der 1920 geborene Vian an einer Herzschwäche litt und mit nur 39 Jahren an einem Infarkt starb – und zwar ausgerechnet während der Voraufführung eines Films, der eher gegen seinen Willen nach seinem berühmten Skandalroman „J’irai cracher sur vos tombes“ (Ich werde auf eure Gräber spucken, 1946) entstanden war.

Das Kino ist Vian also etwas schuldig, und unter der Maßgabe höherer Gerechtigkeit lässt sich der Umstand sehen, dass es Michel Gondry ist, der sich Vians Werk angenommen und es für die Leinwand adaptiert hat. Ist Vians Buch Jazz in Sprache, so ist Gondrys Film Musik in Bildern. Ein Sturzbach an Einfällen, visuell überbordend, Kader sprengend, unbekümmert um Grenzen und Kategorien, fulminant und ungeheuerlich in der Behauptung künstlerischer Freiheit. Gondry, der über ein beträchtliches Potenzial verfügt, aus dem Zusammentreffen von Anarchie und Ästhetik Funken zu schlagen, lässt sich die Zügel schießen – freilich darf man hierbei nicht vergessen, dass das, was da an Animationshandwerk zu sehen ist, höchste
Disziplin erfordert. Doch Gondry legt derart los, dass einem gleich in den ersten Minuten Hören und Sehen vergehen. Dann reißt es einen mit. Und weiter. Und immer weiter. In einen Sog ins Paradies. Und in einen Strudel ins Verhängnis. Himmel und Hölle. Seligkeit und Verzweiflung. Irgendwann ist es dann zu Ende. Und man weiß nicht, welcher Zug einen gerade überfahren hat. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Filme wie dieser – zugleich beheimatet in der Welt kindlicher Unschuld und jener erwachsener Tragödien und gleich weise und geschickt im Umgang mit beidem – sind rar.