ray Filmmagazin » Personen » Vom Goldjungen zum Gutmenschen

Brad Pitt – Vom Goldjungen zum Gutmenschen

Vom Goldjungen zum Gutmenschen

| Daniela Sannwald |

Brad Pitt wird fünfzig.

Werbung

Verlebt sieht er aus: das Gesicht verquollen, strähnige lange Haare unterm Stetson. Ein graumelierter Schnurr- und Ziegenbart passt zum etwas speckigen Teint, er hat einen Bluterguss und kaum verheilte Wunden am linken Auge, und ein doofes Cowboyhemd mit Kragenecken aus Metall verhüllt seine etwas füllige Mitte. Brad Pitt macht in seinem neuen Film The Counselor aus seinem Alter wirklich keinen Hehl, und auch wenn er sich ein paar Kilo für seinen Part als Drogenhändler angefuttert hat, scheinen die genau da zu sitzen, wo sie seine weniger glamourösen Altersgenossen ebenfalls herumtragen. Tatsächlich ist eines der immer wiederkehrenden Merkmale seiner Rollen, dass er ständig mit beiläufigem Essen beschäftigt ist, Finger in Schüsseln, Töpfe, Gläser steckt, Nachos in Soßen dippt, in jede Schale mit Süßigkeiten greift, schmatzt und kaut und damit sein leichtes Nuscheln noch verstärkt. Wenn diese Leidenschaft nur Rollenmerkmal ist, passt sie gut zu ihrem Darsteller: Es scheint beinahe möglich, dass der Mann, dessen nackter Torso vor zwanzig Jahren beträchtliches Aufsehen erregte, den Weg Marlon Brandos gehen könnte, was seine Figur betrifft – aber natürlich nicht mit Angelina Jolie an seiner Seite.

Grübchen

Angefangen hat Brad Pitt als Goldjunge mit Grübchen im weichen Gesicht, der, athletisch und energiegeladen, eher draußen als drinnen reüssierte. Brad Pitt wirkte bodenständig und beweglich zugleich, wie gemacht für seine ersten Auftritte in den legendären Neunziger-Werbespots für Levi’s Jeans: ein junger Wilder. In dieser Rolle katapultierte er sich an die Spitze der Sexy-Listen in den internationalen Frauenmagazinen, ob als niedlich-lasziver Hobo in Thelma & Louise (1991), in dem er zum ersten Mal seinen wunderbaren Waschbrettbauch zeigte, ob als süß-verstrubbelter Nichtsnutz in A River Runs Through It (1992), dem die ohnehin kleidsamen ländlichen Tweed-Dreiteiler und Cordwesten auf den Leib geschneidert zu sein schienen. Ebenso in Legends of the Fall (1994), in dem Pitt als exzellenter Reiter und Seemann das gesamte Spektrum der attraktiven, romantischen Outdoor-Beschäftigungen abdeckt. Dabei hat Pitt nie jenen Hauch von Vulgarität gescheut, die ein essenzieller Bestandteil des männlichen Sexappeals ist, und doch blieb er einfach der gute Junge, der zwischen Weizenfeldern aufgewachsen ist und praktisch noch Reste davon in den Haaren hat. Jahre später kam er in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford (2007) noch einmal auf seine schauspielerischen Anfänge zurück.
Sehr schnell aber hat Brad Pitt damals begriffen, dass man allein mit jungenhaft-charmanten Outdoor-Rollen nicht groß und vor allem nicht alt werden kann. Und so legte er sich schon früh ein zweites Rollenbild zu: das des Fieslings. Mit einer großartigen Performance als Satzfetzen herausquetschender Killer in Kalifornia (1993) zeigte er, dass er White Trash genauso gut konnte wie Golden Boy, und weder die Basecap noch der Zauselbart, der sein hübsches Gesicht verdeckte, noch die scheußlichen Klamotten schreckten seine weiblichen Fans ab, solange er nur ab und zu seinen perfekten Torso entblößte. Mit scheußlicher Frisur, rosa Zuhälterbrille, Military-Look und in vielen Szenen grün und blau geschlagenem Gesicht trat er in Fight Club (1999) auf; unvorteilhafte Verkleidungen hat Pitt nie gefürchtet, nicht einmal das zu enge, zu jugendliche Prada-Outfit in Ocean’s Eleven (2001), in dem er neben dem eleganten George Clooney einfach ordinär wirkte.

Ernsthaftigkeit

Brad Pitt hat es nicht gereicht, gut auszusehen und „the sexiest man alive“ zu sein, ein Titel, den ihm das Klatschmagazin „People“ 1995 und 2000 verlieh, und den außer ihm nur Johnny Depp und George Clooney zweimal erhielten. Sonst hätte er sich nicht um ausgesprochen ernste Rollen bemüht – wie etwa die des Detective David Mills in Se7en (1995). Da war er überfordert, zornig, überheblich, kämpfte ebenso gegen sich selbst wie gegen den psychopathischen Serienkiller, der ihm und seinem Kollegen immer ein Stück voraus war. Selbst neben dem routinierten Schauspielveteranen Morgan Freeman konnte Pitt bestehen, und man dachte, dass das Verhältnis ihrer Figuren, des altgedienten Polizisten und des ambitionierten Anfängers, ihrer professionellen Beziehung entsprechen mochte. In Sleepers (1996) spielte er Michael Sullivan, das traumatisierte Opfer von schweren Misshandlungen, die er als Kind in einer Besserungsanstalt erdulden musste. Brad Pitt verlieh Sullivan die mühsam unterdrückte Unruhe und den verhaltenen Zorn, die erkennen ließen, wie groß die Kluft zwischen ihm und glücklicheren Menschen sein musste.
Eine von Pitts schönsten Rollen ist die des traurigen Vampirschülers Louis in Interview with the Vampire (1994), in dem ihn der dämonische, elegante Großvampir Lestat ins Blutsauger-Business einführt. Der von dem britischen Regisseur Neil Jordan mit Tom Cruise in der Hauptrolle inszenierte Film ist ein veritables Gothic, das im 18. Jahrhundert beginnt und bis in die Gegenwart reicht. Brad Pitt ist darin ein todessehnsüchtiger junger Farmer im Süden der noch nicht Vereinigten Staaten, dessen Frau und erstes Kind bei der Geburt gestorben sind. Louis wünscht sich den Tod so sehr herbei, dass der durch die Jahrhunderte geisternde Lestat ihn aufstöbert und höflich fragt, ob er Vampir sein möchte. Da eine solche Wahl im Vampir-Genre nicht üblich ist, scheinen die Konsequenzen umso schwerwiegender. Louis ist alles lieber, als weiter zu leben, so willigt er ein und bleibt fortan bei Lestat, der gierig und unersättlich am liebsten Frauenblut trinkt. Louis gibt sich mit Rattenblut zufrieden, er mag keine Frauen töten. Bleich und melancholisch ist Brad Pitt in diesem Film, und er wird immer bleicher, je weniger Blut er trinkt. Schließlich tut er es dann doch, schafft er sich eine kleine Ziehtochter als Spielgefährtin. Das Mädchen allerdings, furios gespielt von der damals zwölfjährigen Kirsten Dunst, mag Blut. Louis verliert auch sie, und er ist immer noch unterwegs.
Zu einem Academy Award hat es Pitt damit nicht gebracht, und auch nicht mit der Titelrolle in David Finchers The Curious Case of Benjamin Button (2008), die geradezu als Paradestück der Verwandlungskunst gelten kann, die die Akademie so schätzt: Mühelos spielt er den alten, immer jünger werdenden Mann über sechzig Jahre seines Lebens. Nominiert war er für diesen Film als Bester Schauspieler, und drei Jahre später als solcher und als Produzent für den Baseball-Film Moneyball (2011). Unter den 67 Filmen, in denen Brad Pitt in 26 Jahren aufgetreten ist, hätten sich allerdings mehrere Oscar-reife Leistungen finden lassen (bereits 1996 war er für seine intensive Leistung in Twelve Monkeys als Bester Nebendarsteller nominiert), offenbar hat er nicht allzu viele Freunde unter den Akademiemitgliedern.

Privatleben

In Interviews verglich Neil Jordan damals Vampire mit Hollywoodstars: Beide lebten bei künstlichem Licht, jenseits der normalen Welt, beide wollten ewig jung bleiben, ihr öffentliches Leben sei ein Mythos, ihr Privatleben finde im Verborgenen statt. So gesehen ist Brad Pitt kein Vampir: Er ist älter geworden und steht dazu, und er zelebriert zumindest einen Teil seines Privatlebens öffentlich. Und da – hier weiß sich die Autorin mit Millionen weiblicher Fans weitgehend einig – liegt doch einiges im Argen: Seit er 2005 bei den Dreharbeiten zu Mr. and Mrs. Smith Angelina Jolie kennenlernte, ist es mit Pitts Eigenständigkeit und leider auch mit seiner glamourösen Leinwandpräsenz ziemlich vorbei. Er hat es innerhalb von acht Jahren zu sechs Kindern gebracht, die er durch die Gegend schleppt, während er sich im Schatten seiner schönen Frau offenbar ganz wohl fühlt. Die beiden haben es irgendwie geschafft, sich als Gutmenschen-Paar No. 1 zu stilisieren, obwohl sie so oft in der Klatschpresse auftauchen, dass der Eindruck entsteht, sie könnten allein vom Verkauf ihrer Babyfotos leben. Nicht dass sie es nötig hätten. Ein bisschen scheint Brad Pitt der schauspielerische zugunsten des väterlichen Ehrgeizes abhanden gekommen zu sein. Schön für seine Kinder, schade für die Frauen. Hoffentlich bäckt ihm Angelina am 18. Dezember wenigstens eine Torte.