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Only Lovers Left Alive – Blood and Blues

| Roman Scheiber |

Das pure Vergnügen: „Only Lovers Left Alive“ von Jim Jarmusch
ist der lässigste Liebesfilm des Jahres.

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Der Anfang ist wie eine Essenz des Kinos von Jim Jarmusch. In einer fließend montierten, kreisenden Kamerabewegung, aus kosmischer Obersicht und mit schwereloser Musik, wird zusammengeführt, was weit voneinander entfernt ist, aber ganz eindeutig zusammengehört. Adam (derzeit recht angesagt: Tom Hiddleston), dem Aussehen nach zu urteilen in seinen Dreißigern, dem Stil nach hängen geblieben in den Sixties, lebt zurückgezogen in der ehemaligen Motown Detroit. Sein verfallendes Domizil ist mit antikem Soundequipment, Kabelsalat und E-Gitarren-Raritäten vollgeräumt. Eve wiederum, die etwas älter und schicker, dabei aber auch zeitloser wirkt (the one and only Tilda Swinton, Jarmusch-Muse seit Broken Flowers), hat sich in der Altstadt von Tanger, einem Magneten für Unangepasste und Lebenskünstler, verkrochen.
Der Kosmos und die Musik knüpfen die zart metaphysischen Bande zwischen den beiden, zu einem Treffen bei Adam verabreden sie sich profanerweise via Skype – nicht bloß, um ihre Fernbeziehung aufzufrischen, sondern weil Eve das berechtigte Gefühl hat, Adam könnte wieder einmal lebensmüde geworden sein. Sie sind ein Liebespaar, ein ganz besonderes allerdings, romantischer als jedes beliebige Traumpaar des klassischen Hollywood-Kinos. Sie haben viele Gemeinsamkeiten: Regelmäßig machen sie die Nacht zum Tag, sie ernähren sich einseitig, haben einen etwas blassen Teint. Ihre animalischen Instinkte haben sie im Griff. Beide pflegen nur ausgesuchte Sozialkontakte, sind überaus gebildet, eloquent und sensibel und neigen ein wenig zur Nostalgie. Es gibt aber auch Unterschiede, Eve ist beispielsweise lebensfroher, geselliger und risikofreudiger als Adam. Er hängt mehr seinen Gedanken nach, was ihn anfälliger für Depressionen macht. Sie lieben einander sehr. Dass sie trotzdem nicht auf Dauer zusammenleben, erklärt sich daraus, dass sie schon seit mehreren hundert Jahren ein Paar sind.

Unverkennbar schön

Es überrascht, dass Jim Jarmusch sich des romantischen Genres angenommen hat, es überrascht noch mehr, dass er seine Romanze in das Gewand eines Vampirfilms gesteckt hat; und es überrascht auch wieder nicht. Denn wie schon in früheren Arbeiten nutzt er das Genre-Setup auch in Only Lovers Left Alive zu nichts anderem, als es auf den Kopf zu stellen – um einen unverkennbaren, melancholisch witzigen, wunderschönen Jim-Jarmusch-Film daraus zu machen. Schon immer hatte Jarmusch einen Sinn für Crossover, hat er gern mit Genre-Elementen gespielt, sie seinem persönlichen Vokabular anverwandelt. Stranger Than Paradise (1984) war sein Road Movie, Down by Law (1986) seine „NeoNoir-Hipster-Comedy“, Mystery Train (1989) und Night on Earth (1991) seine mit Zufall und Gleichzeitigkeit hantierenden Episodenfilme. Noch nie ein Fan irreführender Filmtitel, besetzte er in einem großartigen, im Grunde unkategorisierbaren „Anti-Spät-Western“ Johnny Depp als Dead Man (1995) und Forest Whitaker als Ghost Dog (1999), eine in ihrer zarten Humanität, asketischen Brillanz und lakonischen Ironie bis heute ihresgleichen suchende Auftragskillerstudie.
Nach Ghost Dog schrieb Ralph Eue in einer bei Schüren erschienenen Monografie zu Jarmusch: „Man kann vermuten, dass sich in Jarmuschs künftigen Filmen immer neue Elemente hinzuaddieren werden: Phänomene, Zusammenhänge, Ideen – und wahrscheinlich immer: Musiken –, aus denen sich einerseits ein absolutes In-Tune-Sein mit dem jeweiligen Entstehungsmoment erschließt, andererseits eine klare Distanz zu Moden und Trends. In Jarmuschs angeborenem Avantgardismus ist viel sichernde Tradition.“ Noch genauer als auf Broken Flowers (2005), in dem Bill Murray eine Odyssee verflossener Liebe antritt, und auf einen der hellsten Noirs der Filmgeschichte und gleichzeitig einen der abstraktesten Filme Jarmuschs, The Limits of Control (2009), sollte das auf Only Lovers Left Alive zutreffen.  

Aus der Zeit geschlichen

Mystisch, meditativ und lustig lässt der Film sich an, und mit seinem hypnotischen Sound (der schleppende Lauten-Score von Jozef van Wissem, zerrende Gitarren-Akkorde und am Ende eine schlichtweg atemraubende Live-Performance in Tanger) – fast so hypnotisch wie RZAs Asia-Hip-Hop-Themen in Ghost Dog – nimmt er einen gefangen. Seine Helden, benannt nach Mark Twains letztem Roman „The Diaries of Adam and Eve“, wirken weniger aus der Zeit gefallen als aus der Zeit geschlichen. Tradition spielt für sie eine wesentliche Rolle, schon allein wegen ihres riesigen Erfahrungshorizonts. Nicht jeder war Zeitgenosse des genialen Elektroingenieurs Nikola Tesla oder kannte den exzentrischen Dichter Lord Byron persönlich (letzterer laut Adam allerdings „ein selbstgerechtes Arschloch“). Als inkognito lebender, moderner Vampir, der aus hygienischen und Sozialverträglichkeitsgründen vom Blutsauger zum Blutkonserven-Trinker geworden ist, muss man solche Erfahrungen freilich geheim halten. Erleichtert wird Adam und Eve das durch die Tatsache, dass sie die „Zombies“, wie sie die heutigen Normalos nennen, ohnehin als rücksichtslos und primitiv verachten (und ihr Blut als „kontaminiert“ meiden). Darin manifestiert sich auch – nicht sonderlich subtil, aber unterhaltsam – die Kritik des Regisseurs an der kurzsichtigen Lebensweise des Homo industrialis. Jim Jarmusch hat den Zivilisations-Blues.
In Only Lovers Left Alive kann Jarmusch seine stetig wachsende Zitier- und Referenzfreude plausibel ausleben. Schon die sorgfältig gestaltete Porträtwand in Adams Unterkunft verweist auf seine Inspirationsquellen. An den antiken Bänden wiederum, die die mindestens tausend Jahre ältere Eve auf die Reise mitnimmt (David Foster Wallaces’ Opus magnum „Infinite Jest“ ist auf den ersten Blick das einzige junge Werk), zeigt sich nicht nur Belesenheit, sondern eine respektvolle Haltung gegenüber Ideen von Leuten, denen weniger Zeit auf der Erde geschenkt war. Als Höhepunkt des Exkurses in die Menschheits-, Kultur- und Naturgeschichte, oft beiläufig in Gespräche des Paares verpackt, darf ein schöner Kunstgriff gelten, mit dem Jarmusch Literatur und Leben organisch kurzschließt: Ein Freund der beiden namens Christopher Marlowe (John Hurt) wurde einst auch gebissen – und klar, er hat tatsächlich die meisten Stücke geschrieben, mit denen Shakespeare sich geschmückt hat. Heute sorgt der ehemalige Dichter, seit 350 Jahren alt und gebrechlich, für Blutnachschub sinistrer Provenienz in Tanger.

Wie reifer Rotwein

In Detroit wieder vereinigt, könnten Adam und Eve ein somnambules Bohemien-Leben führen, tauchte nicht plötzlich Vampirschwester Ava auf (Mia Wasikowska als trotzig-neckische Lolita). Die hatte schon 1926 in Paris, als sie zuletzt unsere Liebenden getroffen hatte, Zoff gemacht. Avas Amüsierlust dürstet nach Befriedigung; ihre Begegnung mit Ian (Anton Yelchin), Adams Mittelsmann zur Außenwelt, setzt eine Schicksalskette in Gang, die Jarmuschs Figuren wieder einmal an ihre „Limits of Control“ führt … Wie zumeist bei Jarmusch geht es freilich weniger um den Fortgang der Handlung als um die Titelhelden selbst: Wer hat jemals eine Beziehung gesehen zwischen einer hochbegabten Frau, die im Affenzahn Arabisch lesen und mit ihren Fingerspitzen das Alter von Gegenständen spüren kann, und einem gutmütigen Mann, dessen weitreichendes Weltwissen in Balance zu einer überragenden Musikalität steht?
Zwischen Sinnlichkeit und Durchgeistigung bewegt sich Only Lovers Left Alive, ist elegant und grindig, liebevoll und ironisch, experimentierfreudig, dabei aber nicht schwer zugänglich. Ein Skelett von einem Plot wird mit einer Fülle an elegischen wie komischen, verspielt referenziellen Details überzogen. Eine Städte-Hommage, die Michigan mit Marokko verbindet, Philosophie verschmilzt mit Poesie: Es sind alle tatsächlichen und scheinbaren Gegensätze da, die das unnachahmliche Außenseiter-Kino des Amerikaners mit böhmisch-deutsch-irischen Wurzeln ausmachen.
Das Blut wird in Only Lovers Left Alive bevorzugt aus kleinen Kristallgläschen getrunken. Es sieht aus wie edler Rotwein, eingelagert vor 30 Jahren. Was für ein Glück, dass einst Nicholas Ray und Wim Wenders den jungen Hipster unterstützten, dass sein Drifter-Debüt Permanent Vacation (1980) einen Nerv der Zeit traf. Wie sein Liebespaar Adam und Eva wird auch das Kino des Jim Jarmusch die Zeit überdauern, wird zwischen künftigen Moden mäandern und immer wieder zum Vorschein kommen, um mit purer cineastischer Energie den Kreislauf heute noch ungebissener Seher in Schwung zu bringen.