In der Wiener Secession präsentiert Lisl Ponger eine umfangreiche Zusammenstellung von Objekten und Bildmaterialien. Ein Porträt der Künstlerin und Filmemacherin.
Denke ich an Lisl Ponger und ihre Arbeit, fallen mir ad hoc mehrere Begriffe ein: formaler Film, Reisen, Romane, Fotobücher, ethnografische Bilder und deren Befragung, Exotismus, politischer Aktivismus, Flohmarkt – den Flohmarkt am Wiener Naschmarkt hat sie gar mitbegründet. Lisl Ponger ist neugierig und in diesem Sinne eine Suchende. „Finden“ ist inhärent ein Bestandteil sowohl ihrer künstlerischen Praxis als auch, ganz banal, ihres Alltags, der wiederum in ihre künstlerische Arbeit einfließt. Sie liebt die Form, das Fremde, sie liebt das Reisen und das Lesen – auf Nachfrage nennt sie die Romane „Die Schneiderin von Pernambuco“ von Frances de Pontes Peebles, „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny oder „Der Mann, der Hunde liebte“ von Leonardo Padura. Und sie scheut sich auch nicht, ihre politische Haltung zu artikulieren – eine Mischung, die vielversprechend ist.
Formalfilme
Lisl Ponger stammt aus einer Familie von Fotografen, und in geradezu logischer Folge besucht sie die Grafische Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. 1947 nur zufällig während eines Aufenthalts ihrer Eltern in Nürnberg geboren, findet sie sich bereits in den sechziger Jahren als junge Frau im Umfeld der Wiener Aktionisten wieder. Sie dokumentiert Aktionen von Otto Muehl, Peter Weibel oder Hermann Nitsch – publizistisch festgehalten in dem 1990 herausgegebenen Buch „Doppleranarchie. Wien 1967–1972“. In diesem Kontext lernt sie einige strukturelle Filmavantgardisten dieser Zeit kennen – Kurt Kren, Hans Scheugl oder Ernst Schmidt jr., einen der prägendsten und zugleich häufig vernachlässigten Protagonisten der heimischen Avantgarde. Schmidt jr. wird einer ihrer Förderer, und er ist es auch, der Ponger zum Filmemachen animiert.
Für ihre Arbeit bestimmend, zumindest von heute aus betrachtet, passiert dieser Schritt aber erst in jener Zeit, als sie vier Jahre lang nach Nord- und Südamerika reist, vor allem in Mexiko lebt (1974 bis 1978) und dort ihre ersten Filme auf Super-8 dreht; Filme, die zum Teil auf dem Postweg nach Hause verloren gehen bzw. nicht in ihrer Filmografie auftauchen. Als ihr offiziell erster Film gilt somit Space Equals Time – Far Freaking Out aus dem Jahr 1979. Er ist der erste einer ganzen Serie von sogenannten „Formalfilmen“, die sie 1991 mit Semiotic Ghost abschließt und in der sie sich vorwiegend mit dem Medium Film und dessen Gestaltungsprinzipien auseinandersetzt; das sind Aspekte, die auch ihre fotografischen Arbeiten prägen werden. Nach den „semiotischen Geistern“, auch das ist signifikant, führt Ponger die Sprache in ihre Bilder ein. Mit drei Filmen, die in zeitlich größeren Intervallen folgen – Passagen (1996), déjà vu (1999) und Phantom Fremdes Wien (1991–2004) –, etabliert sie sich als wichtige Vertreterin des österreichischen Experimentalfilms, und wohl aus einer Simplifizierung heraus wird sie in diesem Feld häufig mit dem Begriff Found Footage assoziiert. Tatsächlich hat Lisl Ponger bis dato nur zwei Filme fertig gestellt, in denen sie tatsächlich gefundenes Material verwendet, das sie im Übrigen, wie viele andere Proponentinnen und Proponenten dieses Genres auch, gezielt sucht.
Passagen und déjà vu kommunizieren auf ganz unmittelbare Weise miteinander, wenngleich beide Filme einen ganz eigenen Duft hinterlassen. In beiden Filmen besteht das Bildmaterial aus Reisefilmen, die sie, so Ponger in einem Interview, „auch selbst drehen hätte können“. Allerdings strukturiert sie, und das ist ganz elementar, dieses Material neu, stellt es in andere Zusammenhänge, kombiniert und befragt es. Als produktives Irritationselement dient in beiden Fällen die Sprache, Geschichten von Flucht, Exil, Migration oder auch Reiseberichte, die die Perspektiven des Reisens mit Exilhintergründen oder postkolonialer Geschichte verzahnen. Dabei macht es sich Ponger nicht leicht, vor allem, weil sie stets ihre eigene Sichtweisen bzw. Position als weiße, bürgerliche Frau deutlich macht und kritisch beleuchtet. Es ist ein Aspekt, der besonders in ihrem bekannten fotografischen Bilderzyklus „Fremdes Wien“ (1993), indem sie unzählige Personen mit migrantischem Hintergrund porträtiert, und in dem gut ein Jahrzehnt später folgenden filmischen Korrektiv Phantom Fremdes Wien zentrale Bedeutung erlangt.
Schöne und fremde Dinge
In den mitunter langen filmischen Schaffenspausen widmet sie sich ab den neunziger Jahren zunehmend ihrem fotografischen Werk, wobei sie neben eigenen Veröffentlichungen auch Auftragsarbeiten nicht scheut. So fallen in diese Periode, die in Österreichs Politik durch den rasanten Aufstieg der FPÖ dominiert ist, u.a. Arbeiten für die Gewerkschaft der Eisenbahner und für das Handke-Archiv, die Publikationen „Xenographische Ansichten“ (1995), „Wiener Einstellungen“ (1999), die zwei Fotobände „Frauen in Wien“ (1999/2001; der zweite Band ist erneut Migrantinnen gewidmet) und die Monografie „Lisl Ponger. Fotoarbeiten“ (2000). In vielen dieser Arbeiten ist ein unmittelbarer Wille zu einem Gegenentwurf des „Fremden“ als Problemfeld in ganz unterschiedlichen Facetten zu spüren, die in der medialen Darstellung dieses Landes nur sehr rudimentär vorkommen und international in den Kontext zu den damals dominierenden Fragen nach Repräsentation und Identitätsdebatten fallen. Aus einer zutiefst humanistischen Logik heraus wird die dabei präsentierte Differenz, deren stereotype Klischees Ponger gerne ins Visier nimmt, immer als Bereicherung vermittelt.
Ihr filmisch geschultes Auge findet aber stets auch formal, strukturell und unter ethnografischen Perspektiven im Einzelbild einen Widerhall. Eine Fotografie wie „Measures in the Afternoon“ (2000), in der ein Stoffmuster im Gewand einer Inderin entlang einer formalen Affinität eine weitere Schichtung, im direkten Sinne des Wortes, erfährt, lässt sich beispielsweise ganz unmittelbar in Bezug auf ihre Gestaltungspraxis früherer Filme denken. Auch hier trifft die ästhetische Dimension eines Grundmusters – „Ich interessiere mich vorwiegend für schöne und fremde Dinge“, so Ponger – auf eine unmittelbar anthropologische Fragestellung, die in dem Bild einerseits über eine Vermessungslatte, andererseits über die geschlossenen Augen der Protagonistin verhandelt werden und die sich sowohl gegen eine Objektivierung in der Wissenschaft als auch gegen institutionellen Abbildungskonventionen von fremden Kulturen in eurozentristischen Museen richtet.
Aus einer weiterführenden theoretischen Beschäftigung heraus ist ihr Film Phantom Fremdes Wien zu begreifen, den sie 2004 fertigstellt. In diesem Film greift sie nochmals auf das Material zurück, das sie während ihrer Recherchereise Anfang der neunziger Jahre durch Wien für die sehr erfolgreiche Publikation „Fremdes Wien“ sammelt, und das ein ambivalentes Gefühl in Bezug auf Repräsentationsfragen und stereotype Klischees, die es zu untersuchen galt, bei der Künstlerin zurücklässt. Obwohl Lisl Ponger über siebzig Kulturen, die in Wien leben, bei diversen Feierlichkeiten besucht – u.a. ein Neujahrsfest im Sikh-Tempel, taiwanesische Tanzveranstaltungen, das Laubhüttenfest in der jüdischen Schule Beth Chabat, eine vietnamesische Hochzeit, ein nigerianisches Erntedankfest, ein schwedisches Lichterfest, kroatische Partys oder eine trinkfreudige Zusammenkunft der Roma – lässt sich der Film letztlich der Gattung Tagebuchfilm zuordnen, da er nicht, wie in den Fotografien, über „die Anderen“ spricht oder als mitunter hierarchisch determinierte Geste „die Anderen“ zu Wort kommen lässt (eine Stimme oder einen Raum geben sind beispielsweise Gesten, die bereits eine Hierarchie inkludieren), sondern Pongers eigene Arbeitsweise, Ordnungsprinzipien, Montage und Blickmuster deutlich macht, und somit eine Erzählung konstruiert, die die eigene Position ins Blickzentrum rückt und deren Haltung markiert.
Im Wechselspiel zwischen Fotografie und Laufbild stehen auch die Fotografie „Destroy Capitalism“ (2005) und Pongers auf dieser Arbeit basierender bis dato letzter Film, Imago Mundi – Das Gültige, Sagbare und Machbare verändern (2007). Als Referenzquelle fungiert in beiden Fällen das Vanitas-Stilleben „Der Traum des Ritters“ Antonio de Peredas, eines spanischen Barockmalers aus dem 17. Jahrhundert, das Ponger u.a. an Kunstsparten wie Tanz, Performance, Theater, Literatur koppelt. Auch in diesen Arbeiten wird in den unterschiedlichen Formaten Film und Fotografie das Konstruktionsprinzip deutlich gemacht, das sowohl die Produktion von Kunst als auch den Diskurs darüber zum Thema hat.
Verschwindende Mittelklasse
Um Pongers Leidenschaft an der Ethnografie, einer damit einhergehenden Streitkultur, aber auch dem Sammeln und Sortieren unzähliger politisch aufgeladener Fund- und Schaustücke zu stillen – ihre Palette an Artefakten reicht von Flakons, iPad- Hüllen, Hüten, Masken, Fotografien, T-Shirts, Brettspielen, Plakaten, Fake-Markenartikeln, Postkarten, Numisbriefen bis zu selbstgefertigten Dioramen und Gipsabdrücken –, bräuchte es für die Präsentation ein Museum, und genau das ist es, was sie in ihrer kommenden Ausstellung in der Wiener Secession als großes Kunstobjekt installiert. Im Hauptraum des Hauses findet die Inszenierung des „Museum für vertraute und fremde Kulturen (Mukul)“ statt, in welchem Ponger die zwei zueinander in Beziehung stehenden Ausstellungen „The Vanishing Middle Class“ und deren zeitgenössischen Kommentar „Wild Places“ platziert.
In der Zusammenstellung und Positionierung der Objekte und Bildmaterialien ist die bis dato ausschließlich analog arbeitende Künstlerin, die auch keine Bilder nachbearbeitet, ganz einem filmischen Denken verpflichtet, das die Assoziation in der Montage – das relationale In-Beziehung-Setzen – gegenüber jeglicher Linearität präferiert. Der aus einem Raum (von vier Räumen) bestehende Parcours „Wild Places“, der mit Pongers eigenen, vorwiegend älteren Fotografien bestückt ist, spielt auf eine gleichnamige Arbeit aus dem Jahr 2001 an, in welcher eine Frau eine „postkoloniale Zeitleiste“ eintätowiert trägt, deren Begrifflichkeiten bedeutsamerweise bis auf die letzte durchgestrichen sind: Missionarin, Söldnerin, Ethnologin, Touristin, Künstlerin. In direkter Verbindung dazu steht auch der Rückgriff auf die populäre, völlig imperialistisch agierende Filmfigur des Archäologen Indiana Jones, den sie in Form einer Aneignung, „Indian(er) Jones I, Fact or Truth“ (2010) und „Indian(er) Jones II, Das Glasperlenspiel“ (2010), reinszeniert und die Fragen nach oktroyierter Wahrheit oder nach der Synthese von Wissenschaft und Kunst, frei nach Hermann Hesses Roman, schon in den Titeln neu stellt.
Das freie Denken in der Betrachtung, das ganz automatisch Widersprüche hervorbringt, aber auch Verbindungen schafft, wird neben der ausgestellten Institution Museum in Kombination mit der Recherchearbeit im Zentrum der Schau stehen, die Ponger mit Humor wohl nach einer eigenen Aussage zu ihrer Motivation des Bildermachens dirigiert: „Es gilt die Tatsache zu akzeptieren, dass überall dort, wo es Macht gibt, auch Widerstand (Gegenmacht) existiert.“