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Night Moves

Die Einsamkeit der Bombenleger

| Jörg Schiffauer |
Kelly Reichardt entwirft in „Night Moves“ das beklemmende Psychogramm einer Radikalisierung.

Josh Stamos (Jesse Eisenberg) ist ein Typ, von dem die Welt in ihrem derzeitigen Zustand mehr brauchen würde. Der junge Mann ist nicht nur engagiert, was Umweltschutz und ökologisches Bewusstsein angeht, er hat auch seinen persönlichen Lebensstil dahingehend modifiziert, indem er mit Gleichgesinnten im ländlichen Oregon biologische Landwirtschaft betreibt. Eines Abends besucht Josh eine Veranstaltung, in deren Rahmen er einen Dokumentarfilm über die fortschreitende Zerstörung der Natur sieht. In der anschließenden Diskussion fällt unter den umweltbewussten Aktivisten der schöne Satz, die Rettung der Welt lasse sich nicht durch einen großen Plan erreichen, sondern mittels vieler kleiner Maßnahmen, die jeder setzen könnte. Eine Erkenntnis, die bei Josh auf fruchtbaren Boden fällt, hat er sich doch längst entschlossen, eine ganz bestimmte Maßnahme durchzuführen. Die ist allerdings so drastisch, dass selbst die engagiertesten Besucher des besagten Filmabends schockiert sein würden: Josh beabsichtigt, einen Staudamm in die Luft zu sprengen, und die Planung für dieses Unterfangen ist zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten. Zwei Mitstreiter hat er gefunden, um den Plan in die Tat umzusetzen: Dena (Dakota Fanning), eine junge Frau aus einer wohlhabenden Familie, die ihr Studium abgebrochen hat, weil sie sich lieber mit voller Kraft für die Rettung der Umwelt einsetzen wollte, und Harmon (Peter Sarsgaard), der als ehemaliger Soldat das praktische Wissen für eine solche Aktion mitbringt, das seinen knapp halb so alten Kampfgefährten fehlt. Dieses so unterschiedliche Trio verbindet vor allem eine über allem stehende Gemeinsamkeit, die felsenfeste Überzeugung, dass es eines sehr handfesten Zeichens bedarf, um dem Einsatz gegen die Ausbeutung der Natur Aufmerksamkeit zu verschaffen und ein Umdenken auf breiter Basis zu initiieren. Mit unheimlicher Entschlossenheit geht die kleine Gruppe einen Schritt, dessen Folgen sie trotz aller Planung nicht abzuschätzen in der Lage sind.

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Tugendtäter

Der Plot von Night Moves hat alle Ingredienzien für einen (Polit-)Thriller klassischen Zuschnitts. Doch Kelly Reichardt, eine der bedeutendsten und spannendsten Regisseurinnen des US-amerikanischen Independent-Kinos, die mit ihrer wunderbaren Regiearbeit Wendy and Lucy eindrucksvoll gezeigt hat, wie kongenial sie filmisches Erzählen nach allen Regeln der Kunst mit einem ungemein präzisen Aufzeigen sozialer Realitäten zu verbinden versteht, hat sich bei der Inszenierung ihres neuen Films für einen Ansatz entschieden, der sich auf den ersten Blick den Konventionen im Umgang mit einem derartigen Sujet zu widersetzen scheint. Die erste Hälfte von Night Moves setzt nicht auf gängige Spannungsbögen, die man in Verbindung mit einem Sprengstoffanschlag erwarten würde  – und zuhauf aus dem Genrekino kennt – sondern beobachtet mit großer Genauigkeit die minuziösen Vorbereitungen auf die Tat. In langen, bedächtig in Szene gesetzten Sequenzen folgt Reichardt den Vorbereitungshandlungen des Trios. Dabei geht alles betont ruhig und unspektakulär vonstatten, vom Antrainieren des Gebrauchs falscher Namen bis zum Erwerb eines Motorboots, um sich unauffällig dem Damm nähern zu können. Ein wenig diffiziler ist da schon die Beschaffung großer Mengen Düngemittel, aus denen sich Sprengstoff herstellen lässt, auf subtile Weise dämmert es so den Protagonisten, dass das Unternehmen mehr nach sich zieht als Probleme rein logistischer Natur. Doch noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, Fragen zu stellen oder das eigene Handeln einer kritischen Reflexion zu unterziehen, zu klar und moralisch legitim erscheinen den drei Aktivisten ihre Absichten. In dieser Phase ihres Handels geht es nur um das Wie und das Wann, das Warum steht für Josh, Dena und Harmon nicht zur Diskussion. Überzeugt von ihrem Tun arbeiten die drei Schritt für Schritt ihren Plan ab, packen das Boot voll Sprengstoff, um schließlich, als harmlose Ausflügler getarnt, den Fluss hinauf Richtung Staudamm zu fahren, wo sie den finalen Akt ihres Plans einzuleiten gedenken. Mit kalter Präzision führen sie die Sprengung durch, um danach unauffällig in ihren Alltag abzutauchen und die Reaktionen auf ihre Tat abzuwarten. Doch bald wird klar, dass etwas passiert ist, das nicht im Szenario der selbstermächtigten Untergrundkämpfer vorgesehen war – nun gibt es kein Zurück mehr.

Mit seiner reduzierten, streckenweise minimalistischen Struktur knüpft Night Moves auf der formalen Ebene kontinuierlich an die bisherigen Arbeiten Kelly Reichardts an. Das mag zunächst – vor allem im gegenwärtigen US-Kino – als durchaus ungewöhnliche Form erscheinen, um sich mit dem Thema Terrorismus auseinanderzusetzen. Doch es geht Reichardt weniger um eine Aufbereitung der Tat an sich – so bleiben Bilder von der Sprengung des Staudamms konsequenterweise ausgespart – sondern um die Psychologie der Täter. Dabei muss man mit dem Wort „Täter“ in diesem Zusammenhang ein wenig vorsichtig sein, denn Night Moves macht es sich mit so eindeutigen Zuordnungen nicht leicht. Mittels der präzise beobachteten Vorbereitungen des Anschlags legt Reichardts Inszenierung nämlich auch Stück für Stück jenes Umfeld frei, das drei engagierte Menschen mit nachvollziehbaren und höchst ehrenwerten Absichten von Aktivisten in Terroristen, die mit erschreckender Konsequenz agieren, verwandelt. Es ist eine Wandlung, die – und hier entwickelt Night Moves einen höchst präzisen Blick für eine gegenwärtige gesellschaftliche Tendenz, die bei allen Proponenten der Demokratie eigentlich alle Alarmglocken schrillen lassen müsste – aus dem Gefühl heraus entspringt, innerhalb des bestehenden politischen und ökonomischen Systems sich einfach kein Gehör mehr verschaffen zu können, ganz gleich, wie berechtigt das Anliegen oder wie fundamentiert die Argumente dafür sind. Im gegenständlichen Fall ist dies die Zerstörung der Umwelt, doch unschwer lässt sich in Night Moves eine Allgemeingültigkeit erkennen, die über das thematisierte Anliegen weit hinausgeht. Dabei wird nach und nach deutlich, wie das Gefühl der Ohnmacht, das ein derartiges System zwangsläufig hervorbringen muss, zu Frustration und schließlich Gewaltbereitschaft führt.

Kelly Reichardt deckt in ihrem betont ruhigen, aber gerade dadurch ungemein eindringlichen Erzählduktus eine zeitgeschichtliche Parallele zum Entstehen politisch motivierter Gewalt auf. Denn wiederholt erinnert das Agieren und Denken der drei Protagonisten auf frappierende Weise an die Anfänge der RAF in den sechziger Jahren. Auch damals begann alles mit dem Wunsch nach gesellschaftspolitischen  Veränderungen, getragen von der dabei vorherrschenden Aufbruchsstimmung der Gegenkultur. Und auch die Gründungsmitglieder der Roten Armee Fraktion begannen ihren Aktivismus ja keineswegs als Stadtguerilla sondern als engagierte Journalistin wie Ulrike Meinhof, Aktivistin gegen atomare Aufrüstung wie Gudrun Ensslin oder schlichtweg als anarchistischer Spaßvogel und Teil der Kommune 1 wie Andreas Baader. Doch der Drang, die Erstarrung aus der „bleiernen Zeit“ der Fünfziger, die in weiten Teilen der Gesellschaft noch vorherrschte, aufzubrechen, stieß auf erbitterten Widerstand. Eine Veränderung innerhalb des Systems schien in weite Ferne gerückt, wenn nicht gar unmöglich – eine kleine Gruppe aus den Reihen der Protestbewegung entschloss sich, deutliche Zeichen zu setzen, auch wenn das den Weg in die Illegalität bedeutete.

Den Weg dorthin spart Night Moves aus. Doch über die wenigen Tage vor dem Anschlag hinweg wird deutlich, dass sich die drei Protagonisten weit von jeglichem Diskurs entfernt haben. Da bedarf es keiner expliziten Äußerungen inhaltlicher oder ideologischer Natur – auch die spart Reichardts Inszenierung weitgehend aus – , es ist vielmehr jene Entschlossenheit, die schon ein gewisses Maß an Unerbittlichkeit in sich trägt, die den Weg der Radikalisierung mehr als nur erahnen lässt. Vom mörderischen Irrsinn, in den die RAF später abdriften sollte, sind Josh und seine Weggefährten noch weit entfernt, soll sich doch ihr (gewaltsames) Tun auf das Zerstören von Dingen beschränken. Womit die Gruppe geradezu exemplarisch „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ umsetzt, jenen legendären Song von Ton Steine Scherben aus dem Jahr 1969, der zu einem Leitmotiv für Teile der Protestbewegung werden sollte. „Gewalt gegen Sachen“ als legitimes Mittel im politischen Diskurs, ein Weg, den Baader und Ensslin mit den Brandanschlägen auf Frankfurter Kaufhäuser übrigens bereits 1967 eingeschlagen hatten und der ihren Gang in den Untergrund einleitete.

Bei all diesen unübersehbaren Parallelen argumentiert Night Moves jedoch nicht politisch im engeren Sinn, vielmehr erweist sich Reichardts Film als subtiles Psychogramm, das mit kühler Präzision die Protagonisten auf ihrem Weg beobachtet, ohne dabei explizite Bewertungen vorzunehmen. Die ebenso kluge wie betont unspekulative Inszenierung macht deutlich, wie es zum Überschreiten jener Grenze zwischen dem entschlossenem Eintreten für ein Anliegen und den gewaltsamen Methoden zur Durchsetzung kommen kann. Die Ambivalenz dieses Themas – auch hier sei wieder an die kontroversen Diskussionen um den Umgang mit der RAF erinnert – wird von Reichardt dabei auf geschickte Weise aufgegriffen. Da ist zunächst das Anliegen, Zerstörung der Natur aus Profitgier entschlossen entgegenzutreten, eine Forderung, der man ja weitgehend zustimmen kann. Und dann kommt vor allem der dramaturgische Kniff hinzu, die Protagonisten zunächst betont sympathisch zu präsentieren. Auch dank der Leistung ihrer Darsteller haben Josh, Dena und Harmon nur wenig mit dem Bild fanatischer Extremisten gemeinsam, die die bürgerliche Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen. Sie entsprechen so gar nicht dem vorgefertigten Bild unerbittlicher Stadtguerilleros, sondern kommen vielmehr – wie die profilierte Autorin Ulrike Marie Meinhof und die Pastorentochter Gudrun Ensslin – aus der Mitte jener Gesellschaft, von der sie sich völlig entfremdet haben und die für sie zum Gegner geworden ist, bei der sie sich nur mehr durch den Knall explodierenden Sprengstoffs Gehöhr verschaffen zu können glauben. Hier zeigt Night Moves auf gespenstisch eindringliche Weise auf, wie politischer Radikalismus inmitten einer scheinbar intakten Demokratie entstehen kann.

Dabei ist Kelly Reichardts Film weit von jeglicher Romantisierung seines schwierigen Sujets entfernt. Denn die zweite Hälfte von Night Moves zeigt mit ebenso großer Präzision, welche Konsequenzen dem Trio sein drastisches Handeln einträgt. Denn ihr Anschlag ruft nicht jene großen Reaktionen hervor, mit denen man die Welt gehörig umkrempeln wollte. Selbst unter vermeintlichen Sympathisanten erntet man bestenfalls mitleidiges Kopfschütteln.

Und dann ging die Sache ja, wie bereits erwähnt, auch nicht ganz so glatt über de Bühne, wie das die akribische Planung vorgesehen hatte. Bald beginnen selbst innerhalb der kleinen Gruppe Auseinandersetzung über Ausrichtung und weiteres Vorgehen. Konflikte, die zusehends zu Spannungen führen und Solidarität selbst unter Gesinnungsgenossen, die eben noch durch gemeinsame Ideale zusammengeschweißt waren, schnell zu einem Fremdwort werden kann. Und vor allem wird den Protagonisten klar, dass es nach der Entscheidung für den bewaffneten Kampf kein einfaches Zurück mehr gibt. Der radikale Einsatz für eine bessere Welt fordert seinen Tribut, es wird sehr einsam um die selbst ernannten Untergrundkämpfer.

 

 

 

Der besondere moment

Kelly Reichardt über ihre Arbeitsweise und ihre Abneigung gegen Mobiltelefone am Set.

 

Interview  ~ Felix von Boehm, Giovanni Marchini Camia

Night Moves handelt von drei Umweltaktivisten, die einen Staudamm sprengen wollen. Es ist, als würden die Protagonisten sich nach etwas sehnen – auf diesem Gefühl der Sehnsucht baut die Radikalität ihres Vorhabens auf. Welche Rolle spielt die Sehnsucht für diese Figuren und für Sie selbst?
Nun ja, jeder sucht sicherlich nach etwas. Also es gibt definitiv eine Suche. Ich weiß nicht, ob ich das „Sehnsucht“ nennen würde in Night Moves. Es fällt mir ohnehin schwer, meine Arbeit durch übergeordnete Themen zu beschreiben. Ich habe diese Geschichten ja alle erlebt und kann nicht aus der Vogelperspektive darüber sprechen. Da können Außenstehende vermutlich sehr viel bessere Antworten liefern.

Lassen Sie uns dennoch einen Moment bei diesem Thema bleiben. Wodurch, denken Sie, ist das Kino als künstlerisches Medium prädestiniert für das Gefühl der Sehnsucht?
Auch hier kann ich nur für mich selbst sprechen. Ich habe kein Talent fürs Malen oder Zeichnen, ich bin nicht musikalisch, also habe ich mir Film ausgesucht. Musik ist theoretisch genauso geeignet, um Sehnsucht darzustellen. Oder Malerei und Fotografie. Wobei ich jetzt schon zweifle, ob das wirklich so ist. Vielleicht haben Sie recht, dass das Kino besonders prädestiniert dafür ist. Ich hasse es, keine gute Antwort parat zu haben. Warum müssen wir das so auf ein Wort reduzieren? Auf ein bestimmtes Gefühl? Ich glaube, das ist einfach nicht das, womit ich meine Arbeit verbinde und wie ich mein Schaffen wahrnehme. Es fühlt sich wie eine Reduktion an, ein Konzept. Natürlich sehen Sie meine Arbeit als Ganzes und haben vielleicht sogar den besseren Überblick. Und wenn Sie meinen, dass Sie in meinen Filmen so etwas wie Sehnsucht entdecken, ist das natürlich eine spannende Reaktion. Aber ich analysiere meine Arbeit nicht dementsprechend. Mein Leben ist einfach zu sehr verbunden mit meinen Filmen – sie sind zu nah an mir dran. Ich treffe Leute, freunde mich mit ihnen an – sie erzählen mir bei einem Kaffee eine Geschichte, die mir gefällt. Ich sehe eine Landschaft, in der ich diese Geschichte erzählen will. Und dann treffe ich wieder jemanden und ich erzähle die Geschichte erneut, bei einem Kaffee in dieser Landschaft, und so kommt es von der Idee zu einem Konzept und von da aus nach und nach zu einem Film.

Vielleicht kommt der Eindruck der Sehnsucht genau von diesen Orten und Landschaften. Wie viele andere Ihrer Filme spielt auch Night Moves an einem abgelegenen Ort, in Oregon. Haben Sie Angst vor der Großstadt?
Es stimmt schon, dass ich es bevorzuge, ein bisschen abgekapselt vom Geschehen zu sein, besonders mit bekannten Schauspielern. Am besten dort, wo es keinen Handy-Empfang gibt – das verstärkt die Konzentration und die Arbeit der Crew. Ich mag es, in Landschaften aufzubrechen, die Herausforderung bieten, so wie in Meek’s Cutoff, mitten im Nirgendwo. Für mich ist das großartig: Die Schauspieler sind so befreit, weil niemand dort ist und sie von niemanden gestört werden. Andernfalls kommunizieren sie ständig über das Internet. Ich verstehe das nicht. Beim Dreh sollte man wirklich konzentriert und auch abgeschieden sein. Ich mag es nicht, Handys am Set zu sehen. Ich bin einfach gerne im Hier und Jetzt.

Night Moves ist der vierte Film, den Sie gemeinsam mit Drehbuchautor Jon Raymonds realisierten. Was ist das Besondere an Ihrer Zusammenarbeit?
Jon ist nicht der einzige Mensch, zu dem ich eine längere Beziehung unterhalte. Ich habe meine letzten Filme mit den gleichen Produzenten gemacht und auch ein Teil der Crew war derselbe. Aber mit Jon bin ich tatsächlich jeden Tag in Kontakt und wir sind stark in das Leben des anderen eingebunden. Ich kann Jons Geschichten von einem neuen Standpunkt aus bearbeiten, etwas hinzufügen, solange es uns dabei gelingt, die Geschichte intakt zu halten. Diese Art von Zusammenarbeit war eine Umstellung für mich, denn ich werde sehr in den Schreibprozess und er in den Prozess des Filmemachens einbezogen. Er erzählt mir seine Ideen, wo eine Szene beginnen soll. Es ist nett, mit Jon zu telefonieren, wenn die Zeit es erlaubt und ihm Fragen zu stellen, die sich mit Themen abseits des Produktionsstresses befassen. Ich habe das Gefühl, dass sein Zugang zum Schreiben gut für meine Art des Filmemachens geeignet ist, wir sind beide an Landschaften und atmosphärischen Elementen interessiert und wollen nicht alles im Dialog verarbeiten.

Wie kommt es überhaupt zu Ihrem Stil der Dialogführung? Man erfährt kaum etwas über die Protagonisten, es wird höchstens angedeutet, die Dialoge sind knapp.
Ich bemühe mich um natürliche Dialoge. Es sind schließlich Menschen, die – wie wir – in ihrer Welt leben. Sie müssen einander nicht ständig mitteilen, wer sie sind, was sie denken. Das tun wir ja auch nicht. Doch hie und da gibt es Hinweise, wenn sie Kommentare fallen lassen, die Einblicke in ihre Vergangenheit geben. So wie bei Harmon aus Night Moves, der bei der Marine war, oder Dena, die aus einer reichen Familie kommt und mit 10.000 Dollar das Boot finanziert. Sie kauft sich bei Harmon und Josh ein, um an dem Vorhaben der beiden teilnehmen zu können. Mir geht es genau um diesen schmalen Grat – nicht zu viel Information über die Personen preiszugeben, aber auch nicht zu wenig, um den Zuschauer nicht zu entmutigen. Ich bleibe lieber etwas vage und gebe den Figuren, aber auch den Zuschauern damit mehr Raum, als sie es vielleicht gewohnt sind.

Ihre Figuren scheinen immer einen Kampf auszutragen, nach etwas Abstraktem zu suchen, eine gewisse Leere füllen zu wollen. Es scheint erdrückend für sie zu sein, diese Suche nach Bedeutung. Wendy in Wendy und Lucy oder Dena hier in Night Moves. Sie haben diese Sehnsucht nach etwas, das sie vielleicht nicht genau benennen können, aber es fühlt sich so an, als litten sie unter einer Existenzkrise oder einer Unzufriedenheit mit dem Leben.
Ja. Und gleichzeitig brauchen sie auch wirklich existenzielle Dinge wie Wasser oder einen Schlafplatz. Also gibt es Dinge, die man braucht, und Dinge, die man ersehnt. Das stimmt.

Ist das ein Fluch oder ein Segen?
Ich denke, dass Sehnsüchte schon das sind, worum es im Leben geht: für Dinge zu kämpfen.

Wie würden Sie das Thema beschreiben, das Night Moves zugrunde liegt?
Ich kann das nicht leicht beantworten. Ich denke, wir wollten einen Ensemblefilm machen, aber wir waren auch am südlichen Oregon interessiert. Ein Land mit endlosem Himmel, Wäldern. Ich kann verstehen, wieso das ein Hotspot für Umweltaktivismus ist. Letztendlich ist Night Moves aber vor allem ein Ensemblefilm. Ich will, dass er Fragen stellt und das Publikum nicht in etwas bestärkt, was es sowieso schon denkt. Es geht um die Frage, ob es gute Lösungen für die Umweltproblematik gibt. Und wohin diese führen würden. Josh in Night Moves ist ein Fundamentalist. Jon wollte so jemanden porträtieren. Was unterscheidet Josh von den anderen? Und wieso gibt es nicht mehr Leute, die etwas in die Luft jagen, aus Protest gegen das System?  Was hält uns in diesen Zeiten davon ab? Man gerät in diesen Zwiespalt. Josh ist ein fundamentalistischer Charakter und voll Überzeugung für seine Ideologie. Diese Radikalität führt zur Isolation. Wir wollten die Frage aufwerfen, aus welchen Gründen Leute, die in Umweltaktivismus involviert sind, so etwas Radikales machen.

Würden Sie sagen, dass das Kino für Sie als Filmemacherin eine Sehnsucht erfüllt?
Manchmal. An manchen Tagen. Manchmal ist es absolut schrecklich. Ich meine, Sehnsucht, das ist so eine romantische Vorstellung. Ich mag es, morgens aufzuwachen und etwas zu tun zu haben, wenn Sie das meinen. Ich mag es, an einem Projekt arbeiten zu können. Ich habe die „Sehnsucht“, mit Leuten, die ich gern habe, auf Abenteuer zu gehen und etwas gemeinsam zu erschaffen. Ich mag es, mit Leuten wie Jon Raymond über Stories zu sprechen. Ich mag es, Filme anzusehen, über sie zu reden. Zu unterrichten, wie man Filme macht und Studenten dabei zuzusehen, wie sie ihre ersten Filme drehen. Ich habe den Wunsch, all diese Dinge zu tun. Also nehme ich an, dass es eine Art Sehnsucht erfüllt. Doch das Wort Sehnsucht und das Konzept dahinter ist eben sehr romantisch. Es entspricht nicht unbedingt der Realität des Filmemachers, die stark mit dem täglichen Leben verbunden ist.

Wie Sie wissen, unterrichte ich Film, und manchmal gibt es dort junge Leute, die in die Filmbranche wollen, die eine ganz bestimmte Vorstellung davon haben, was Filmemachen ist. Oder wie das Leben eines Regisseurs aussieht. Sie haben ein paar Typen gesehen, die Regisseure sind, und sich gesagt: „Ich will auch Regie führen!“ Sie kommen also mit einer bestimmten Sehnsucht zum Film. Und dann gebe ich denen die Aufgabe, hinauszugehen und etwas zu drehen, und sie kommen zurück und sagen: „Damit möchte ich mich nicht rumschlagen, ich möchte nicht den ganzen Tag lang mit Schauspielern diskutieren. Und ich konnte keinen Raum finden, der so aussah, wie ich mir das vorgestellt habe, ich hätte alle Möbel verschieben müssen, ich wollte dies und ich wollte das nicht …“ Doch das ist Filmemachen. Eine Reihe von kleinen Aufgaben, die man versucht zu bewältigen, und zwischendurch gibt es dann Momente der Kreativität. Wenn alle, schon so fertig und kaputt, im letzten Licht des Tages auf einmal die Kräfte mobilisieren, weil der Zug kommt und man nur eine einzige Chance hat, diese Einstellung zu bekommen, und die Kamera muss unter die Brücke bevor der Zug kommt, und man schafft es, die Kamera dort hinzubekommen: alle rennen umher, alle synchron, alle arbeiten zusammen für diesen einen Moment, um den letzten Shot des Tages hinzubekommen. Und irgendwie bekommt man diese Einstellung hin – weil alles zusammenpasst. Dann hat man das Gefühl, schon während des Herumlaufens, während der Einstellung – mit all diesen Leuten etwas Großartiges geschafft zu haben. Und natürlich sucht man dann wie ein Junkie nach dem nächsten Moment, der sich so anfühlt. Auch das ist, wenn Sie so wollen, eine Sehnsucht, die beim Filmemachen befriedigt wird oder nicht.

Das Filmemachen hat einfach sehr viele unterschiedliche Phasen und Temperaturen: Es gibt Tage, an denen man mit einem Truck umherfährt und nach Drehorten sucht, was eine meiner Lieblingsaufgaben ist, und Tage, an denen man nach und nach sein Drehbuch verbessert, weil man über den Punkt hinaus ist, nur leere Seiten vor sich zu haben – und man weiß, dass man etwas Gutes in den Händen hält. Das sind alles Momente des Glücks inmitten von viel, viel Arbeit. Insofern tue ich mir schwer, das Filmemachen als reine Erfüllung von „Sehnsüchten“ zu beschreiben. Das ist schon eine komplexere Angelegenheit.

Sie haben gesagt, dass man nicht wirklich Zeit hat, sich auf diesen schönen Momenten auszuruhen. Gibt es für Sie trotzdem eine Befriedigung beim Filmemachen?
Manchmal gibt es Momente beim Schreiben, beim Drehen, im Schnitt, wenn man aus einer Sackgasse nicht herauskommt. Wenn man dann den Weg wieder sieht, kann das wie eine Offenbarung sein. Diesen Weg zu sehen, ist befriedigend. Es ist ein Moment der Erleuchtung, aber mit einer gelösten Frage, wirft man fünf neue auf. Wir hatten einen Witz am Set; das Glas sei halb voll, aber mit Scheiße. Also fragt mich meine erste Regieassistenz jeden Morgen am Set, wie voll das Glas an dem Tag sei. Während man dreht, sagt man sich „Nie wieder!“, aber eine Woche später sagen wir alle „Noch einmal! Was machen wir als nächstes?“