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Kathedralen der Kultur

| Roman Scheiber |

3D-Quartett über die Berliner Philharmonie, die russische Nationalbibliothek, das Centre Pompidou und – seltsamerweise – eine moderne Haftanstalt in Norwegen

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Der Titel ist ein wenig apodiktisch. Die Häuser Gottes mögen im Vergleich zu den Häusern der Kultur, zumal in den Städten, nicht mehr so dominant sein wie früher, doch immer noch gibt es mehr Gottesfürchtige als Kunstverständige. Noch hat die Kunst Gott nicht abgelöst, aber in Kathedralen der Kultur holt sie ihn immerhin schon mal ein: Die hier vorgestellten Werke der Baukunst können nämlich sprechen. Und um ihre Worte zu hören, brauchen wir keinen Priester, sondern bloß eine Voice-Over.

Wim Wenders, der Mastermind dieses 3D-Kompilationsfilms, hatte gefragt: „Wenn Gebäude sprechen könnten, was würden sie uns erzählen?“ Sechs Gebäude haben geantwortet, vier „Selbstporträts“ wurden für den regulären Kinoeinsatz ausgewählt. Leider nahm nur einer der beauftragten Regisseure die Frage nicht wörtlich: Michael Glawogger ließ für sein Porträt der russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg kluge Texte aus deren Schätzen kongenial vertonen. Mit 200 Jahren das älteste Bauwerk der Auswahl, kommt es hier auch inszenatorisch einer Kathedrale am nächsten: Glawogger legte den Film als Geschichte atmende Suchbewegung durch ein Literaturlabyrinth an, welches er gegen Ende – nicht ohne vorher unvergleichlich Bibliothekarinnen adoriert zu haben – via Kirchenmusik und erhabener Blickführung zu einer Art religiösen Instanz erhebt. Vor ein paar Monaten starb Glawogger überraschend; sein Beitrag führt noch einmal vor, wie sehr er fehlen wird. Es ist der beste der Kompilation, ein vorausahnendes Requiem, ein würdiges Denkmal analoger Kulturleistung.

Wenders selbst hat sich die Berliner Philharmonie vorgenommen, von Hans Scharoun vor gut 50 Jahren als Symbol einer offenen Gesellschaft konzipiert. Nicht „ex cathedra“ wird in diesem Klangraumkörper musiziert, sondern inmitten einer fünfeckigen Arena. Die Kamera scheint durch den Bau zu schweben, beobachtet Mitarbeiter bei der Instandhaltung, Musiker bei den Proben, Simon Rattle beim Dirigieren, Besucher bei der Premiere. Das ikonografische Zirkuszelt der Moderne präsentiert Wenders wie einen lebenden Organismus – das verbindet seinen mit den anderen Filmen.

Im gut gemeinten Beitrag von Michael Madsen über eine „humane“ Haftanstalt in Norwegen werden in Summe zu viele Klischees über sogenannte Luxusgefängnisse fortgeschrieben. Spätestens im Schlussteil von Karim Ainouz über das Centre Pompidou in Paris (ein demokratisches Architektur-Skelett, das mit Kunst-Fleisch belebt wird) wird der Ich-Erzähler Bauwerk selbstgefällig. Zu den avancierten Museumsbetrachtungen z.B. eines Heinz Emigholz verhält sich das, naja, wie Herby Fully Loaded zu Claude Lelouchs C’était un rendez-vous.