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Die geliebten Schwestern

Wenn Herzblut aus der Feder fließt

| Alexandra Seitz |
Skandalöse Episode aus dem Leben eines Skandaldichters, angemessen stürmisch-drängend von einem Klassiker in Szene gesetzt: „Die geliebten Schwestern“ von Dominik Graf.

Dass geheiratet werden muss, steht außer Frage. Aber wen und aus welchem Grund? Nach dem Tod des Vaters finden sich die von Lengefelds in gefährlicher Nähe zum verarmten Landadel wieder. Daher heiratet Tochter Caroline den begüterten Herrn von Beulwitz und stellt damit zumindest rudimentäre wirtschaftliche Absicherung von Mutter und Schwester her. Aber auch Charlotte soll noch eine gute Partie machen und wird zu diesem Behufe zu ihrer Patentante, Frau von Stein, nach Weimar aufs gesellschaftliche Parkett geschickt. Das Posieren und Paradieren aber macht ihr keinen Spaß und sie verguckt sich ausgerechnet in einen Dichter. Einen Anhänger der brotlosen Kunst! Und nicht nur das. Bei Nacht und Nebel war Friedrich Schiller gezwungen gewesen, aus dem Württembergischen zu flüchten, weil er mit seinem aufmüpfigen Theaterstück „Die Räuber“ für einen veritablen Skandal gesorgt hatte. Derart aufwühlend sei das Drama gewesen, so geht die Legende, dass die Damen im Publikum reihenweise in Ohnmacht fielen. Tumultartige Szenen hätten sich abgespielt. Wurde behauptet. Dergestalt war die Wirkung der Kunst des deutschen Klassikers, als dieser noch keiner war.

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Vielmehr war Schiller, seiner etwas schwächlichen gesundheitlichen Konstitution zum Trotz, weder Waschlappen noch Kostverächter. Und bald schon stellt sich dem für Furore sorgenden, schwer angesagten Dichter die Frage: Warum wählen zwischen den liebreizenden Schwestern Charlotte von Lengefeld und Caroline von Beulwitz, sind doch beide gleichermaßen von ihm entzückt? Und bietet sich hier nicht auch die Chance, etwas Neues zu erproben? Eine neue Form der Liebe? Ein Experiment des Gefühls und der Rollen, das verknöcherte Strukturen der Gesellschaft herausfordert, Normen testet, Werte prüft? Was könnte es Schöneres und Notwendigeres geben? Also heiratet Charlotte den mittellosen Dichter, um ihn für sich wie für ihre Schwester sicherzustellen, und versucht wird eine – von der (Literatur-)Geschichtsschreibung zwar schamhaft beschwiegene, immerhin aber in Ansätzen belegbare Ménage-à-trois, die Dominik Graf in Die geliebten Schwestern mit modernem Zugriff auf Gedankensturm und Gefühlsdrang des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Szene setzt.

Auf der Suche nach einem adäquaten neuen Ausdruck für eine neue Form der Liebe wird naturgemäß eine Menge überlegt und notiert, werden Briefe geschrieben und gelesen, werden Absichten verkündet, Positionen verhandelt, Empfindungen verlautbart, wird geflüstert und geturtelt. Und schließlich auch gestritten und geschwiegen. Einen Film über Worte habe er machen wollen, sagt Graf, und versucht zu filmen, so wie man schreibt. Der inszenatorische Gestus, der daraus resultiert, ist geruhsam und von großer Leichtigkeit. Graf schafft den drei Liebenden einen Raum, in dem sie als neugierige, lebenslustige Menschen erfahrbar werden. Fremd zwar, in ihrer fern vergangenen Zeit, doch verwandt und nah im ewigen Bemühen der Jugend, die Welt zu verändern.

Ich mache denselben Fehler nicht zweimal

Dominik Graf im Gespräch über „Die geliebten Schwestern“, Goethes Schwierigkeiten mit jungen Dichtern und darüber, warum er immer noch gerne „Tatort“ dreht.

Interview ~ Pamela Jahn

Sie erzählen von der Ménage-à-trois zwischen Friedrich Schiller, seiner Frau Charlotte und ihrer Schwester Caroline. Dabei richten Sie Ihr Augenmerk auf Schillers Aufenthalt im thüringischen Rudolstadt im Sommer 1788. Wie hat die Geschichte für Sie begonnen?
Zunächst wurde mir der Stoff von der Produzentin Uschi Reich vorgeschlagen, aber dann hat es mich einfach richtig gepackt, das hat mich selbst sehr überrascht. Ich hatte ja schon einmal einen historischen Film über Clemens Brentano gemacht, also schon mal „Kutsche“ inszeniert. Aber das war natürlich eine andere Liga, was die Länge angeht, und auch episch. Und Schiller hat mich angezogen, weil man bei dem Namen heutzutage ja oft nur an „Die Räuber“ und „Maria Stuart“ denkt, Dramen und Balladen, sehr krank und bald tot. Großer Klassiker. Aus. Ende. Dass der aber eigentlich ein sehr komplexes Liebesleben gehabt hat, das weiß heute kaum einer. Dass es da einen Moment in Schillers Leben gab, wo alles gut war, oder zumindest so schien. Wo diese Ménage-à-trois, so geheim sie war, auch unheimlich viel Spaß machte, obwohl es ihm zu dem Zeitpunkt finanziell miserabel ging und niemand etwas von ihm lesen wollte. Und natürlich waren auch diese Mädchen nicht dafür vorgesehen, einen bettelarmen, bürgerlichen Dichter zu heiraten. Das sieht man ja an der Ehe von der Caroline: reicher Mann, unglückliche Ehe, aber wurscht. Und dieses Ausbrechen, das ist ja auch ein schöner Konfliktstoff. Bis es dann irgndwann tragisch wird, trotz all dieser Liebe und Zärtlichkeit, so wie das Leben es eben will.

Den historischen Kontext, alles, was drumherum passiert, das blenden Sie trotz 170 Minuten Laufzeit dagegen sehr geschickt aus.
Ja, weil ich glaube, dass man auch in blitzartigen, winzigen Assoziationen erzählen kann, was außen herum passiert ist. Zumal es sich in dem Fall schön in die Geschichte einspiegelt, ein bisschen so wie bei einer Laterna Magica: 1788, als die drei zueinanderfinden, ist alles frei, offen, die Revolution in der Liebe entspricht dem Aufbruch in der Politik. Aber dann wird plötzlich alles fester, festgelegter, verbundener und bürgerlicher, wie es manchmal so ist, wenn man älter wird, krank wird. Schließlich wird es immer enger, wie ein Korridor, der nach hinten immer schmaler wird.

Auf welche Quellen konnten Sie sich stützen? Wie und vor allem wie genau haben Sie recherchiert?
Ich war überrascht, aber es gibt tatsächlich relativ viele Bücher über diese Zeit in Schillers Leben, die diese Episode, wie wir sie im Film erzählen, biografisch belegen. Und es gibt auch die Briefe, das heißt, die Quellenlage ist nicht ganz so schlecht, wie ich das am Schluss behaupte. Das ist natürlich auch ein bisschen ein Erzählertrick, um dann im Nachhinein zu sagen: alles erfunden, alles Blödsinn, aber vielleicht war es ungefähr so. Im Grunde war es schon ziemlich genau so. Aber es stimmt auch, dass die Caroline am Ende ihres Lebens, als sie sehr katholisch wurde, viel verbrannt hat. Ich will damit sagen: Man kommt tatsächlich recht einfach an die Geschichte ran, wenn man das will. Aber dann geht es darum, was man mit diesen Papierbergen an Biografie und Zeitgeschichte anstellt, die einem da entgegenfliegen. Mitunter wurden damals ja drei, vier Briefe am Tag jeweils hin und her gewechselt. Vor allem wenn einer wie Schiller dann auch immer wieder von Krankheiten heimgesucht wird und man schon ahnt, dass es bald vorbei sein wird. Dem versucht man in der Erzählstruktur natürlich auch gerecht zu werden.

In den Dialogen wie in den Briefen steckt oftmals ein schöner, sehr feiner Humor. Ist der den Originalen ebenso eingeschrieben, oder haben Sie da nachgeholfen?
Teilweise, ja. Aber es gibt natürlich auch diese unglaublich schönen Stellen, wie die, wenn Schiller von seinem Tisch spricht, den er nach Rudolstadt wendet, so wie die Mohammedaner nach Osten beten. Das hat schon eine recht hohe Zitatfähigkeit und zeigt natürlich auch schön die Stimmung an, in der sie sich zumindest in der Anfangszeit unterhalten haben.

Wie kam es, dass Sie das Drehbuch diesmal selbst geschrieben haben? Das ist ziemlich untypisch für Sie.
Ich bin ganz klassisch an die Sache herangegangen, obwohl ich am Anfang schon auch dachte: Oh Gott, ich kann das doch gar nicht mehr. Ich habe 40 Jahre lang kein eigenes Drehbuch geschrieben. Aber dann habe ich mich halt darangesetzt und am Ende ist es dann doch irgendwie ganz flüssig zusammengekommen.

Getragen wird der Film von einem wunderbaren Schauspielertrio. Waren eine oder mehrere der Rollen bereits von vornherein festgelegt?
Wenn man so viele Filme macht wie ich, dann kennt man natürlich auch sehr viele Schauspieler und entwickelt ein Gespür dafür, wer für welche Rolle geeignet sein könnte. Und in dem Moment, wo ich mich an so ein Projekt heranwage, denke ich eigentlich sofort darüber nach, wer von denen, die ich kenne, eventuell in Frage käme. Zumal ich sehr gerne mit Leuten arbeite, die ich schon kenne, weil es ganz oft kreativer ist, mit denen neue, spannende Projekte zu erarbeiten, als sich jedes Mal jemand Neuen zu suchen. Den Florian Stetter kannte ich, weil er in meiner Henry-James-Adaption Die Freunde der Freunde mitgespielt hatte. Henriette Confurius war mir in einem Fernsehfilm über die Jagd nach Adolf Eichmann ins Auge gesprungen. Ich dachte sofort, das muss die Charlotte sein, mit dieser vermeintlichen Unschuld im Blick, die aber gar nicht so unschuldig ist, sondern durchaus ein sehr kluger Kopf, und die auch hart sei kann. Und auf der anderen Seite Hannah Herzsprung, die ja in Deutschland seit Jahren einen Film nach dem anderen mit einer unglaublichen Emotionalität beseelt, und hier nun als Caroline, die ja auch im bildlichen und psychologischen Sinn ständig von Lebenskrämpfen durchschüttelt wird. Eine hochbegabte Schriftstellerin, über die Schiller irgendwann sagt, er nennt sie ab jetzt „die Frau, die nie ja sagt“ – eine Schwäche, die er bis zum Ende bei ihr bedauert hat. Und dafür schien mir Hannah, in der Art und Weise, wie sie sich solchen Geschichten hingeben kann, genau die Richtige.

Warum rückt Goethe so gut wie nie ins Bild?
Weil er es nicht verdient hat.

Wie meinen Sie das?
Goethe war ja sehr schwierig im Umgang mit Schiller. Dieses berühmte Treffen in Rudolstadt, als Goethe gerade aus Italien zurückgekehrt war, das fand zwar auch nicht so statt, wie es im Film dargestellt ist – da schaut’s ja eher aus wie James Cook bei den Wilden –, aber es war zumindest ein Treffen in dem Haus der Familie Lengefeld-Beulwitz. Und Schiller hat die ganze Zeit versucht, an ihn ranzukommen, aber Goethe hat sich konsequent abgewendet, weil er Bammel hatte, von dem jungen Dichter mit dieser gewaltigen Sprachkraft überflügelt zu werden. Und das hat er ja mit einigen Dichtern gehabt. Lenz  ist auch so ein Beispiel, wie schlecht er mit jungen, aufstrebenden, hochbegabten Dichtern umgehen konnte. Immer nur von hinten oder aus der Distanz.

Die 170-minütige Originalfassung des Films, die im Wettbewerb der Berlinale lief, kommt nun gekürzt auf 139 Minuten in Kino. Verändert das den Film sehr?
Der Film ist einfach schneller, aber da ist nicht wahnsinnig viel rausgeflogen. Das war am Ende einfach ein Zugeständnis an den Verleih, da man sonst Gefahr gelaufen wäre, nur eine Abendvorstellung pro Tag zeigen zu können. Vom Fernsehen her kenne ich das ja auch sehr gut, da schneidet man einen Film auf 120 Minuten und dann muss er am Ende 90 Minuten werden. Trotzdem ist das, was bei der Berlinale lief, natürlich die integrale Fassung.

Tut Ihnen das nicht in der Seele weh, Schiller jetzt quasi gestutzt aufs Kino loszulassen?
Ein bisschen schon. Einerseits ist es insofern schade, weil man diesen Sommer einfach intensivst miterleben sollte, damit man am Ende mindestens genauso traurig ist wie Schiller, wenn er vorbei ist. Außerdem gibt es bestimmte Momente und Gefühle in diesem Film, die sind auch nicht so leicht verdaulich, die brauchen Zeit, damit der Zuschauer ausatmen kann. Es sind dann immer die Ausatmer, die geschnitten werden. Oder die Einatmer, die Establishing Shots, da wird sofort das Messer angesetzt. Und das macht die Filme, gerade Fernsehfilme, manchmal so dicht, dass die dann wie Press-Span wirken.

Neulich haben Sie in einem Interview gesagt, dass Sie sich nach Die Sieger vom Kino abgewendet hätten, weil Sie das Gefühl hatten, dort nicht das machen zu können, was Sie wollen. Ist Fernsehen für Sie in diesem Sinne so etwas wie Heimat geworden oder doch eher Routine?
Nein, Routine ist das nicht. Auch das Fernsehen ist ein System, dem man bestimmte Projekte förmlich entreißen muss, wie damals etwa Im Angesicht des Verbrechens (siehe dazu „ray“ 02/11, Anm.). Da hat man dann Verbündete, Redakteure vor allem, die einem dabei helfen. Aber am Ende steht man dann mit so einem Zehn- oder Zwölfteiler da und muss feststellen, dass der Sender eigentlich gar nicht weiß, auf welchen Sendeplatz er damit hin soll. Das ist ab 16, das ist gewalttätig, das macht die Sache sehr kompliziert. Und dann wird es halt irgendwohin in die Nacht geschoben, weil es da angeblich noch am meisten Marktanteil hat. Das ist mir aber letztendlich egal. Die Hauptsache ist, dass es mir gelungen ist, das Projekt zu machen. Dass es da ist und man es sehen kann. Nur wenn ein Film, den ich unbedingt machen will – und dazu gehören auch all die Tatorte und Polizeirufe und so weiter – wenn der am Ende aus irgendeinem Grund nicht gedreht werden würde, das wäre die viel schlimmere Wirklichkeit für mich.

Was reizt Sie heute noch am Tatort?
Ach, so ein Tatort, wenn der um 20.15 Uhr läuft, dann hat der doch per se an die zehn Millionen Zuschauer. Das ist natürlich schon was. Vor allem hat man es da mit einer unglaublich zäh denkenden und faul guckenden Zuschauergemeinschaft zu tun, denen man quasi Sachen hinwirft, und manchmal fressen sie es halt, manchmal sind sie ungnädig, aber sie schalten auch nicht ab. Sie gucken die 90 Minuten durch. Und das finde ich schon sehr spannend.

Was empfinden Sie persönlich als das Schwierigste bei der Arbeit?
Ich glaube, das Schwierigste ist tatsächlich, dem Ganzen den letzten Schliff zu geben. Beim Drehen versuchen mich immer alle einigermaßen in Ruhe arbeiten zu lassen, weil irgendwelche Einsprüche und Diskussionen oft zu teuer werden würden. Aber dann im Schneideraum, da kommt einem oft eine Meinungsflut entgegen. Und diesen Slalom dann bis zum Ende hin durchzustehen, also auch, was die Musik angeht, wie lange der Film dauern darf, wo es vielleicht langweilig wird. Dass man da immer genau weiß, warum man jetzt genau auf diese Totale in dieser Länge besteht und auf eine andere verzichtet, das finde ich manchmal unheimlich schwer. Da komme ich dann in so eine Entscheidungsnot, da hätte ich am liebsten einen Klon, der dann übernehmen kann, und ich mache was anderes. Das ist auch der Zeitpunkt, wo man denkt, man macht ganz sicher alles falsch.

Erst wenn man die Chance hat, mit einem gewissen Abstand nochmal draufzugucken – bei mir braucht es meistens drei, vier Jahre, bis ich das wirklich beurteilen kann –, dann kann man wieder sehen, ob man in diesen letzten Schnitten und Mischungen tatsächlich die richtigen oder eben die falschen Entscheidungen getroffen hat. Das Gute daran ist, dass man nie auslernt. Ich kann beispielsweise aus meinen eigenen Fehlern besser lernen als aus den tollen Sachen der anderen. Und die Fehler, die ich einmal gemacht habe, die mache ich zumindest nicht wieder. Das ist doch schon mal was.