ray Filmmagazin » Filmkritiken » 20,000 days on Earth

Filmkritik

20,000 days on Earth

| Oliver Stangl |
Das Gesamtkunstwerk zum dunklen Barden

Düster und grausam geht es zu in der musikalisch-literarischen Welt des Nick Cave: Gott kennt kein Erbarmen und die Liebe führt eher zu Tod und Verderben als dass sie Vergnügen brächte. Seit über drei Jahrzehnten ist der gebürtige Australier, Jahrgang 1957, nun schon ein fixer Bestandteil der Popkultur. Nach Anfängen mit Bands wie The Birthday Party wurde Cave spätestens als Frontmann der Formation The Bad Seeds (Debütalbum „From Here to Eternity“, 1984) zur Kultfigur. Doch auch als Romancier („And the Ass Saw the Angel“) und Drehbuchautor (The Proposition, 2005) konnte der Mann mit dem pechschwarz gefärbten Haar reüssieren. Nimmt man noch Extreme wie jahrzehntelange Heroinsucht oder ein Duett mit Kylie Minogue („Where the Wild Roses Grow“) auf die Rechnung, hat man ein Leben, das geradezu nach einem filmischen Porträt schreit. Umgesetzt hat dies nun das Künstlerduo Iain Forsyth und Jane Pollard (unter tatkräftiger Mithilfe von Cave, der selbst hat am Drehbuch mitgearbeitet hat). Das Ergebnis ist ein genreüberschreitendes Werk, das sich gängigen (vor allem dokumentarischen) Kategorien in der Sparte Musikerfilm konsequent und geglückt verweigert. Statt das Leben Caves zu banalisieren, setzen die Regisseure beim enormen Selbstinszenierungstalent des Sängers an und übersetzen dies in eine stark stilisierte Filmsprache – Kameraarbeit und Sounddesign sind exzellent. Der Beginn gleicht einem Urknall in Bildern: Auf Fernsehschirmen sieht man in rascher Folge Ausschnitte aus Nachrichtensendungen und klassischen Fernsehshows, dazu läuft ein Countdown. Ein Wecker klingelt, Cave schlägt die Augen auf und macht sich ans Tagwerk. Es ist sein 20.000. Tag auf Erden. Man sieht ihn beim Schreiben auf einer mechanischen Schreibmaschine, beim Psychiater (mit dem er unter anderem über die Bedeutung Gottes für sein Schaffen spricht), beim Proben mit The Bad Seeds oder beim Plaudern mit seinem Bandkollegen Warren Ellis (der einen Aal kocht). Dazwischen fährt er mit einem Jaguar durch Brighton. Was davon nun stimmt oder nicht, ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist vielmehr, dass es funktioniert. Zu den Hauptthemen des Films zählen das Vergehen der Zeit und die Erinnerung an prägende Momente und so tauchen am Nebensitz oder auf der Rückbank des Jaguars immer wieder Weggefährten auf: Schauspieler Ray Winstone (The Proposition) plaudert mit Cave darüber, dass man sich manchmal neu erfinden muss und Blixa Bargeld erzählt, warum er die Bad Seeds verließ. Eine andere Szene spielt gar in einem Archiv, das Dokumente aus Caves Leben beherbergt. Letztlich ergeht sich das Werk aber nicht in Nostalgie sondern feiert das Leben im Hier und Jetzt.

Werbung