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Technicolor

Somewhere over the Rainbow

| Jörg Becker |
Mit „Glorious Technicolor“ präsentiert das Filmmuseum fast vierzig zum Teil aufwendig restaurierte Technicolor-Filme aus den Anfängen bis in die fünfziger Jahre und bietet eine Demonstration filmischer Farbästhetik.

Ein Leinwand-Mythos wird 100. Nachdem Herbert T. Kalmus mit seinen Compagnons Daniel Comstock und W. Burton Wescott 1915 die „Technicolor Motion Picture Corporation“ gegründet hatte, stand zu Beginn ein Zwei-Farben-Verfahren, das einen Strahlenteiler sowie einen roten und einen grünen Filter einsetzte, um einen Film mit noch recht limitiertem Farbspektrum aufzeichnen und projizieren zu können. Ernteten diese Pionierfilme mit ihren flackernden Farbsäumen, innerhalb der Branche eher als beim Zuschauer, zunächst noch zurückhaltende Resonanz, setzte sich das Verfahren bald aber besonders deshalb durch, weil die Produzenten es verstanden, den technischen Limits einen ästhetischen Mehrwert abzugewinnen, wenn sie etwa bei einem exotischen Stoff wie The Toll of the Sea (Lotusblume, Chester M. Franklin, USA 1922) die Rot/Grün-Beschränkung in Bildern asiatischer Vegetation und roten Intérieurs vergessen machten.

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Ab 1932 war man mit einem Dreifarbenverfahren – Three-Strip-Technicolor -,Blau, Rot und Grün – in der Lage, das gesamte Spektrum wiederzugeben, die eigentliche Technicolor-Ästhetik hielt Einzug ins Kino. Drei Filmstreifen – die Kombination von roten, grünen und blauen Farbschichten durch drei gleichzeitig belichtete Negative – bedingten schwergewichtige Kameras, breite Magazine, hohen Beleuchtungsaufwand und aufwendige Kopierprozesse. Der Markenname nach dem Farbverfahren kennzeichnete die Dominanz der Traumfabrik Hollywood. „Only the rainbow can duplicate its brilliance!“ lautete ein Werbesatz zu The Adventures of Robin Hood (Michael Curtiz, 1938), einem der frühen Erfolge, mit dem sich die teure Farbfilmkinematografie etablierte, deren Prozess –über zwanzig Jahre lang, bis hin zu Gentlemen Prefer Blondes (Howard Hawks, 1953, mit Jane Russell und Marylin Monroe) – den (Farb-)Ton angab, kulminierend im „most glamorous musical of our age“ (so der Trailer), das zum legendär gewordenen Marilyn Monroe-Auftritt mit „Diamonds Are a Girl’s Best Friend“ Herzfrequenz-steigernd Rosa, Rot, Violett und Orange zusammenführte.

Technologie und Know-how von „Technicolor“ blieben bei der Firma der Erfinder, die den Studios Kameras und Consultants (bezeichnet als „Color Supervisor“ oder „Director“ : zumeist die frühere Ehefrau des Erfinders, Nathalie Kalmus) zur Verfügung stellte und damit den Anspruch geltend machen wollte, Farbe gemäß ihrem eigenen, das heisst einer gebildeten Kunsthistorikerin, Verständnis bewusst, im edlen Pastell-Look, entgegen der ‚Gefahr‘ greller Entertainment-Vulgarisierung einzusetzen – möglichst realistisch und gegenständlich, indes der Auftritt eines Farblich-Unbewussten, aus seiner Verdrängung emporgehoben, ehe es wieder dahin zurücksank, sich vorbereitete. Jenes Baudelaire-Wort zur Malerei: „Es scheint, daß die Farbe aus sich selbst denkt, unabhängig von den Gegenständen, die sie bekleidet“ (zitiert von Frieda Grafe anlässlich des Farbfilmfests der Berlinale 1988) begann für den Film Gültigkeit zu gewinnen. Kameramann Jack Cardiff (u.a. Black Narcissus, 1947, und The Red Shoes, 1948, für Michael Powell/Emeric Pressburger, „The Archers“), ein Pionier in der Anwendung des Technicolor-Verfahrens, nahm sich als Farbvorbild Maler wie etwa Vincent van Gogh. Er habe immer mit den Leuten von Technicolor zu kämpfen gehabt, sagte er, weil sie „vollständigen Realismus wollten“ – um dann klug zu ergänzen: „- was immer sie darunter verstanden“. Für John Huston drehte Cardiff The African Queen (1951), wohl aufgrund der Rolle Katherine Hepburns auch als „Outdoor Screwball Comedy“ bezeichnet, mit schwerer Technik on location in Belgisch-Kongo und Uganda. Durch Lampen gelang es ihm zwar, den Dschungel aufzuhellen, doch das Wasser des Flusses erschien ihm „unglaublich schwarz“.

Bahnbrechend für die Technicolor-Ästhetik war zunächst ein Exklusivvertrag Kalmus‘ mit „Walt Disney Productions“. Der Animationsfilm, am wenigsten einem Diktat des Realismus unterliegend, wurde Avantgarde des Drei-Farben-Films, Licht und Farbe, Form und Bewegung miteinander verschmelzend, mit sinfonischem Music Score eine synästhetische Verbindung herstellend. Aus Disneys Reihe der Silly Symphonies zeigt das Filmmuseum Funny Little Bunnies (Wilfred Jackson, 1934). Auch der im mexikanischen Rotlichtmilieu angesiedelte Kurzfilm La Cucaracha (Lloyd Corrigan, 1934) um die Leidenschaften einer Tänzerin zerstreute jeden Zweifel am Erfolg der Farbe beim Publikum. Es ist ein Walt Disney-Film, Snow White and the Seven Dwarfs (David Hand, 1937), für das AFI bester amerikanischer Animationsfilm aller Zeiten, dem das Musical-Genre in Farbe, bis hin zu Color-Ekstasen wie in An American in Paris (Vincente Minelli, 1951) und Singin‘ in the Rain (Gene Kelly, Stanley Donen, 1952), wohl die größten Impulse zu verdanken hat. Der vor Henry Hathaway, Henry King und George Sidney (je drei Titel) hier mit vier Filmen am prominentesten vertretene Technicolor-Regisseur, Vincente Minelli, schuf mit The Band Wagon (1951) das Nonplusultra des Hollywood-Musicals, das eine der spektakulärsten Choreografien der Filmgeschichte enthält – die Noir-Parodie „The Girl Hunt“ mit Fred Astaire als Private Eye und Cyd Charisse als Femme fatale (von Minelli außerdem: Meet Me in St. Louis, 1944, und The Story of Three Loves, 1953). Und schließlich stellte das Kelly/Donen-Musical mit der Künstlichkeit seiner Farben auch die der damit kolorierten Gefühle aus: so findet in Singin‘ in the Rain ein Liebesgeständnis Gene Kellys vor einem sichtbar gemalten Sonnenuntergang statt – zwischen Lila, Rosa und Aprikot durch Beleuchtung herausgehoben.

Der MGM-Märchenfilm The Wizard of Oz (Victor Fleming, 1939), eine Mischung aus Musical, Cartoon und Fantasy, mit Judy Garland, gab durch seinen exzessiven Farbeinsatz die Antwort auf Disneys Schneewittchen. Ihre Sehnsucht nach einem Ort, „where there isn’t any trouble“ bringt die kleine Dorothy aus dem ländlichen Kansas ins magische Reich von Oz, wo sie nach einem Wirbelsturm die Tür ihres Hauses öffnet und sich „somewhere over the rainbow“ wiederfindet, wo die Farben ins Fantastische gekippt sind. Die Filmfassung der Broadway-Operette Sweethearts (1938, W.S. Van Dyke), erste MGM-Produktion im Drei-Farben-Verfahren, setzte dagegen Farben vor dem Hintergrund einer breiten Schwarzweißpalette sparsam, aber strahlend ein und bietet eine farbstarke Modenschau vor großen Spiegeln.

Für einen der ersten Technicolor-Spielfilme, The Garden of Allah (Richard Boleslawski, 1936), mit Marlene Dietrich und Charles Boyer, wurden Außenaufnahmen in einer rotbraunen Mojawe-Wüste gemacht, weich gezeichnete Bilder entstanden, mit Farben und Lichtsetzung im Stil der flämischen und niederländischen Meister des 16./17. Jahrhunderts. In dem karibischen Farbspektakel Anne of the Indies (Jacques Tourneur, 1951) steht der Piratenkönigin (Jean Peters) mit leuchtend rotem Kopftuch, als Symbol aktiven Freibeutertums, offensiver erotischer Bereitschaft lesbar, eine Rivalin gegenüber, die, in Goldlamé gekleidet, sichtbar als eine Pretiose das passive Frauenbild repräsentiert, gleichsam ein Schatz in Erwartung, gehoben zu werden.

Früh bediente sich auch das Abenteuer- und Historiengenre der Farbe, in einer künstlichen, stilisierten Natur etwa The Three Musketeers (1948) und Scaramouche (1952; beide George Sidney), in dessen Handlung Farbkontraste die politischen Konflikte zwischen den Parteien widerspiegeln. Die bonbonfarbenen Paradeuniformen der Eingangssequenzen von Three Musketeers wandeln sich im Verlauf des Films in braunlederne Kampfanzüge; das Feindlager erscheint weitgehend in Grün, einer Farbe, die aus Zeiten der Stummfilm-Virage auf Gier und andere gravierende Charakterdefizite unter glatter Oberfläche kodiert war. Starkes Farblicht bzw. die Verwendung von Farbfiltern, die Akzente der Leidenschaft setzten und warmes Abendrot noch verstärkten, findet sich besonders in dem von David O. Selznick produzierten Duel in the Sun (King Vidor, USA 1946), wo sich das Todestrieb-Schicksal des in Hassliebe aneinander geketteten Paares Jennifer Jones und Gregory Peck im glühend orangefarbenen Licht der Wüstensonne vollendet. Betont reduziert auf natürliche Farben wirken indessen Henry Hathaways „Americana“-Heimat-Westernfilme The Trail of the Lonesome Pine (1936) und The Shepherd of the Hills (1941, mit John Wayne), letzterer ein Vater-Sohn-Melodram unter Schafzüchtern und Schwarzbrennern im grün-grau-braunen Hochland des Mittleren Westens, in welchem farbliche Glanzlichter allein schon mit Intérieurdetails, Stickereien und den Blue Jeans der Hauptdarstellerin Betty Field gesetzt sind.

Bereits der Titel der Torero-Saga Blood and Sand (1941) sprach sein Publikum farbsensorisch an; ihr Regisseur Rouben Mamoulian ließ sich dezidiert von der Farbpalette und Lichtsetzung der alten Meister inspirieren, was Vergleiche mit Gemälden von Murillo, Goya, El Greco, Velázquez und Tizian offensichtlich belegen. An Stellen übermalte der Regisseur selbst mit Pinsel oder Spritzpistole Requisiten, um sie optisch altern zu lassen. Farbe im Production Design kam im klassischen Hollywood-Stil traditionell die Rolle zu, Handlung und Figuren zu betonen und Emotionen zu verstärken („Die Emotion steckt in der Emulsion“ – Francis F. Coppola). Der Look von Gone With the Wind (Victor Fleming, 1939), einem per Storyboard-Malerei komplett vorgezeichneten Film, ist dafür exemplarisch; die Funktion eines letztlich Verantwortlichen für die gesamte physische Seite der Bildgestaltung, den „Production Designer“ (hier: William Cameron Menzies), gibt es erst seit dessen Produktion. Das farbdramaturgische Spektakel beanspruchte beim „Brand von Atlanta“ den Einsatz aller bis dahin hergestellten Technicolor-Kameras – es waren sieben.

Buchstäblich ein Film noir in Technicolor ist Leave her to Heaven (John M. Stahl, 1945), der Douglas Sirks Melodramen beeinflusste und noch in der Farbgebung von Todd Haynes‘ Far from Heaven (2002) fortwirkt. Die aquagrünen Augen von Gene Tierney scheinen den Helden (Cornel Wilde) anfangs zu überwältigen; diese Frau, die ihn bald mit pathologischer Eifersucht unter Druck setzt, wird in extremen Farbspannungen zwischen kalter Oberfläche und Signalen der Hingabebereitschaft vor der Technicolor-Kamera in Szene gesetzt.

Ab Mitte der fünfziger Jahre löste der neue Farbnegativfilm von Eastman Color den Matrizenfilm für Farbaufnahmen ab, der sogenannte „Process No. V“ mit nur noch einem Negativfilm in der Kamera beendete die legendäre Ära des eigentlichen Technicolor, Filmkopien jedoch wurden weiterhin mit dem entsprechenden Druckverfahren, „printed in Technicolor“, hergestellt.

Die Retrospektive gibt Gelegenheit, Drei-Streifen-Technicolor in verschiedenen Überlieferungsstadien zu sehen, von der Originalkopie der Ära im Dye-transfer-Druckverfahren bis zu späteren Kopierungen und zeitgenössischen Restaurierungen. Initiiert wurde sie vom George Eastman House in Rochester, New York, der Deutschen Kinemathek Berlin, dem Filmmuseum Wien und dem Museum of Modern Art.

 

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