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The Voices

| Jörg Schiffauer |

Auch Serienmörder können nette Menschen sein

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Jerry ist ein liebenswürdiger, wenn auch ein wenig eigenwilliger Zeitgenosse. Der junge Mann geht gewissenhaft seiner Arbeit in einer Fabrik, die Badewannen herstellt, nach und kommt mit allen Mitarbeitern gut aus. Am Rand einer Provinz-Kleinstadt hat er sich über einer aufgelassenen Bowlingbahn ein schmuckes Apartment eingerichtet, wo er ungestört mit einem Hund und einem Kater lebt. Dass er vermeint, mit seinen geliebten Haustieren kommunizieren zu können – und auch ihre Stimmen zu vernehmen – wen sollte das stören? Oder hängt es damit zusammen, dass Jerry nach einem traumatischen Kindheitserlebnis amtlich verordnete Sitzungen bei einer Psychiaterin absolvieren muss?

Auf jeden Fall scheint alles bestens zu verlaufen, als seine attraktive Kollegin Fiona (Gemma Arterton) zustimmt, mit Jerry auszugehen. Doch der Abend nimmt eine unerwartete Wendung. Jerry findet sich plötzlich mit der Leiche seiner Angebeteten mitten im Wald wieder. Zur Polizei wagt er aufgrund seiner Vorgeschichte nicht zu gehen, also wählt er einen etwas unkonventionellen Weg, um den Körper zu entsorgen. Doch damit fangen seine Probleme natürlich erst an, und der gutmütige Jerry (dessen innere Zerrissenheit nuanciert von Ryan Reynolds gespielt wird), der eigentlich keinem Geschöpf etwas Böses antun möchte, wird zu einer tödlichen Gefahr für seine Mitmenschen.

Auf den ersten Blick wirkt The Voices wie eine satirische Reaktion auf einschlägige Genrearbeiten. Marjane Satrapi taucht ihre Inszenierung in ein knallbuntes Dekor, um mit hintersinnigem Humor die popkulturelle Faszination für Serienmörder auf den Kopf zu stellen. Allein auf dieser Ebene funktioniert der Film als höchst originelle Arbeit ausgezeichnet. Doch Satrapi, die schon mit Persepolis einen brisanten politischen Kommentar in einen Animationsfilm zu verpacken wusste, begnügt sich nicht damit, Genrekonventionen zu untergraben. Ihre Inszenierung stellt unaufdringlich, aber bestimmt, Fragen zu so grundsätzlichen Dingen wie etwa der visuellen Wahrnehmung an sich und wie weit man auf diese vertrauen kann – im Medium Film eine nicht ganz unbedeutende Angelegenheit.

Zudem thematisiert The Voices die Frage, inwieweit der Mensch über einen freien Willen verfügt oder als Resultat biochemischer Vorgänge im Gehirn mehr in einem deterministischen Universum gefangen ist, als ihm lieb ist. Satrapi schafft das Kunststück, solche Themen geschickt in eine mitreißende Inszenierung zu integrieren, die kongenial die schwierige Balance zwischen Hohngelächter, Schrecken und Mitgefühl findet.

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