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Lost River

| Marietta Steinhart |

Ungenierter Pastiche

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Wenn ein Film in Cannes ausgebuht wird, dann kann das seltsam förderlich oder infam schädlich sein. Letzteres ist der Fall bei Ryan Goslings Regiedebüt, und das ist merkwürdig, denn es gibt zu viele unterhaltsame Elemente und eine zu reizvolle Bildsprache, um den Schöpfer und seine wilde Phantasie völlig abzuschreiben.

Die alleinerziehende Mutter Billy (Christina Hendricks) lebt in der dezimierten Kleinstadt Lost River, auf der – so das Gerücht – ein Fluch lastet, der im Zusammenhang mit einer Unterwasserwelt steht. Weil Billy mit der Rückzahlung eines Kredits im Rückstand ist, bietet ihr ein schmieriger Bankier (bereichert jede Szene: Ben Mendelsohn) einen Job in seinem Grand Guignol Etablissement an. Es ist die Art von Ort, wo eine bizarre Meute schönen Frauen dabei zusieht, wie sie sich in Kunstblut suhlen und vorgeben, sich selbst zu verstümmeln.

Das große Geld sei jedoch im Keller des Clubs, betont die Gastgeberin (Eva Mendes), wo die Dinge noch grotesker werden. Unterdessen sammelt Bones (Iain De Caestecker), der ältere von Billys Söhnen, wertvolles Kupfer in verwaisten Häusern und bandelt mit dem Nachbarsmädchen (Saoirse Ronan) an, dessen Großmutter (Barbara Steele) halb komatös den ganzen Tag über in Erinnerungen schwelgt. Bully (Doctor Who-Star Matt Smith), ein in Goldpailletten gekleideter Schläger und selbsterklärter Herrscher über dieses öde Land, hockt in einem Plüschsessel auf der Rückseite seines Cabrios und brüllt: „Look at my muscles!“

Wenn sich Lost River wie eine zu lange Szene aus Only God Forgives anfühlt, dann deshalb, weil Ryan Gosling (der auch das Drehbuch schrieb) im Bann seines Kollaborateurs Nicolas Winding Refn steht, und er macht diesen Einfluss ungeniert spürbar, während der industrielle Sound von Johnny Jewel über Neonfarben und Horrorästhetik dröhnt. Ein Coup ist Gosling mit Kameramann Benoît Debie (Spring Breakers) gelungen, denn urbaner Verfall ist noch nie schöner gewesen. Was als Perversion des amerikanischen Traums funktionieren hätte können (und auch sollen?), verliert sich in einer symbolüberladenen Optik wie einem wirren Fiebertraum. David Lynch, Terrence Malick, Dario Argento und Harmony Korine sind weitere Einflüsse, und sie sind brillanter Natur, aber sie sind so deutlich, dass sich Goslings Heldenverehrung an der Grenze zum Kunstraub bewegt. Lost River ist kein missverstandenes Meistwerk, aber wenn sich der hochkarätige Poseur von den Buhrufen nicht entmutigen lässt, könnte noch ein tollkühner Filmemacher aus ihm werden.

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