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Wie die anderen

| Oliver Stangl |

Einfühlsamer Dokumentarfilm über die Kinder- und Jugendpsychiatrie

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Mit In die Welt (2008), dem dokumentarischen Porträt einer Wiener Geburtsklinik, zeigte Regisseur Constantin Wulff, wie schmerzhaft und anstrengend sich das sogenannte Wunder der Geburt mitunter gestaltet. Seinen neuen Film Wie die anderen könnte man als indirekte Fortsetzung verstehen, denn das Porträt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landesklinikums Tulln macht deutlich, wie schmerzhaft es sein kann, nun in dieser Welt zu sein – vor allem wenn man sich anders fühlt. Gedreht während eines Zeitraums von eineinhalb Jahren, zeigt der Film behutsam den Alltag in der Institution, fängt therapeutische Sitzungen ebenso ein wie Besprechungen der Belegschaft. Auf Patientenseite fokussiert Wulff auf eine Handvoll Jugendlicher, darunter ein Mädchen mit Autoaggressionen, dessen Körper voller selbst beigebrachter Schnittwunden ist. In mehreren Sitzungen mit einem Arzt erfährt man von den Problemen des Mädchens, gleichzeitig wird auch klar, wie diffizil sich eine Therapie gestaltet. Selbiges gilt für einen jungen Burschen, der sich dem Lernen betont aggressiv verweigert und von einer Ärztin mit Engelsgeduld dazu überredet werden muss. Der Film überschreitet nie die Grenze zum Voyeurismus, schockiert nie um des Schockierens willen. Auch bei einer der heftigsten Szenen – eine junge Frau muss auf einem Tisch fixiert werden – weiß der Film genau, was er zeigen kann und was nicht. Manche Fälle, darunter ein Mädchen, dessen Körper Spuren von sexuellem Missbrauch aufweist, machen allein in der Erzählung einer Ärztin betroffen, ganz ohne Bilder.

Die Qualität von Direct Cinema steht und fällt nicht zuletzt mit der Kamera, und Johannes Hammel hat hier zweifellos sehr gute Arbeit geleistet. Unaufdringlich, aber geistesgegenwärtig fängt er das Geschehen ein, findet dazwischen immer wieder Raum für pointiert kadrierte Einstellungen, darunter die Aufnahme eines Medikamentenlagers mit einer enormen Menge an Psychopharmaka.

In Teambesprechungen schließlich wird der psychologische und ökonomische Druck deutlich, dem die Belegschaft ausgesetzt ist. Überhaupt bekommt man ein Gefühl dafür, welch harte Arbeit hier geleistet wird, und kann nicht umhin, Respekt für die Ärztinnen und Ärzte zu empfinden, die engagiert und angesichts der Umstände noch durchaus humorvoll agieren. Denn eigentlich bräuchte man dringend mehr Personal, die finanzielle Lage lässt dies jedoch nicht zu. Vielleicht hätte Constantin Wulff diese Thematik noch vertiefen und einen schärferen, über die konkrete Institution hinausreichenden Blick auf das gesellschaftspolitische Umfeld werfen können; nichtsdestotrotz ist ihm mit Wie die anderen ein starker, berührender Film gelungen.

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