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Die Melodie des Meeres / Song of the Sea

| Alexandra Seitz |

Schlichte Formen, komplexe Inhalte, meisterliches Ergebnis

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Die keltische Mythologie kennt Wasserwesen namens „Selkie“, Robben, die dem Meer entsteigen, ihr Fell ablegen und sich in Menschen verwandeln. Vor allem Selkie-Frauen sollen, sagt man(n), unbeschreiblich schön sein. Möglicherweise so unbeschreiblich schön wie der dies Jahr für den Oscar nominierte Animationsfilm Song of the Sea, in dem Tomm Moore eine uralte irische Legende als Ausgangspunkt für eine märchenhafte Erzählung nimmt, die Kinder ebenso begeistern wie sie Erwachsene ergreifen wird.

Denn, wie man weiß, verlaufen Beziehungen zwischen den mythischen und den menschlichen Wesen so gut wie nie geradlinig und enden nur äußerst selten mit einem Happy End. Das ist hier nicht anders. Selkie-Frau Bronagh lebt mit dem Leuchtturmwärter Conor und dem gemeinsamen Sohn Ben zusammen; nach der Geburt von Tochter Saoirse muss sie dem Ruf des Meeres gehorchen und zurückkehren, einen gebrochenen Mann, ein stummes Mädchen und einen zu früh sich für alles verantwortlich fühlenden Ben hinterlassend. Als Saoirse eines Nachts ihre Abkunft entdeckt und mit den Robben schwimmen geht, wird es der zu Besuch weilenden Großmutter zu bunt. So geht es nicht weiter, stellt sie fest, und nimmt die beiden Kinder kurzerhand mit in die Stadt. Solcherart setzt sie eine Reihe von Ereignissen in Gang, die es Saoirse und Ben ermöglichen, eine in Aufruhr geratene mythische Welt schließlich zu befrieden; nicht nur Mac Lir, der Riese, und seine Mutter Macha, die Eulenhexe, werden mit ihrem Schicksal versöhnt, sondern auch Conor und Ben. Und endlich müssen auch Bronagh und Saoirse ihre Natur nicht länger verleugnen – eine Art von glücklichem Ausgang, die die Konventionen des landläufigen Happy Ends in eine höhere und schönere Ordnung transzendiert.

Tomm Moore, 1977 in Nordirland geboren, wuchs in Kilkenny auf, studierte in Dublin klassische Animation und gründete 1998 gemeinsam mit Paul Young und Nora Twomey das Animationsfilmstudio Cartoon Saloon. Mit Twomey zusammen entstand auch Moores, gleichfalls oscarnominiertes Debüt The Secret of Kells (2009), dessen Geschichte von irischen Ursprungslegenden inspiriert ist und dessen Zeichenstil Anleihen bei der titelgebenden, um das Jahr 800 entstandenen, irischen Bilderhandschrift nimmt. Aufgrund seiner souveränen Verbindung von überlieferten Formen und Gestalten des Spirituellen mit Kritik an der zivilisationsbedingten Entfremdung des Menschen von der Natur steht Moores Werk in der Tradition des großen Miyazaki Hayao – und es macht sich dort ausgesprochen gut.

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