ray Filmmagazin » Personen » Josh Brolin – Der Mann fürs Grobe
Josh Brolin

Josh Brolin

Der Mann fürs Grobe

| Pamela Jahn |
Berühmt, aber kein Superstar, noch kein Oscar-Preisträger, aber auf dem besten Weg: Josh Brolin, demnächst mit „Hail, Caesar!“ im Kino, und seine sonderbare Karriere.

Manche Schauspieler sind zum Star-sein geboren, andere werden dazu gemacht. Wieder andere haben es nicht so leicht. Sie müssen sich ihren Platz auf der A-Liste von Hollywood mühsam erarbeiten, verbringen den besten Teil ihrer Karriere damit, sich mit Rollen hochzuspielen, die nicht immer die feinsten sind, in der unbeirrten Hoffnung auf ein kleines Stück vom großen Glück. Grundsätzlich gilt: Wer es bis vierzig nicht nach ganz oben geschafft hat, der hat entweder kein Talent oder die falschen Freunde – im schlimmsten Fall beides. Josh Brolin ist diesem vernichtenden Urteil gerade noch einmal entkommen, als seine Karriere 2007 – da war er gerade 39 – mit einem Coup fulminanter Nebenrollen in vier der angesagtesten Filme des Jahres (No Country for Old Men, In the Valley of Elah, Planet Terror und American Gangster ) plötzlich ordentlich in Bewegung kam. Seither hat er regelrecht eine Kunst daraus gemacht, der beste zweite Mann auf dem Platz zu sein, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn er es dabei beließe.

Werbung

Wechselvolle  Karriere

Tatsächlich liegt zwischen Brolins Leinwanddebüt in Steven Spielbergs The Goonies (1985) und dem neuesten, seinem mittlerweile dritten Film unter der Regie der Coen Brothers, Hail, Caesar!, der in diesem Jahr die Berlinale eröffnet, eine eigentümliche, wechselhafte Karriere, die bei genauerem Hinsehen allein darauf hindeutet, dass es einen wie ihn in Hollywood heute gar nicht mehr geben dürfte. Nicht in dieser gigantischen Unterhaltungsmaschine, die Filmstars braucht, deren Glanz ökonomisch und moralisch unter Kontrolle steht, die sich an die Regeln halten und mit dem Flow gehen. So wie Johnny Depp, Matt Damon und all die anderen sanften Träumer seiner Generation, die ihr Unbehagen an dem Snobismus und der Zielstrebigkeit der Achtziger in eine ansehnliche, fast erotische Passivität und Ratlosigkeit überführen konnten. Brolin dagegen blieb künstlerisch wie privat nur die ungeschminkte Verzweiflung: „I used to think you should try to deconstruct everything“, gestand er unlängst in einem Interview mit der britischen Tageszeitung „The Guardian“. „Experience, everything. Just get yourself out there. But I don’t believe that any more. Having adventures is all very well, but an imagination can make up for all that. That’s the more intelligent way to be. And it keeps you out of harm’s way.“

Für Brolin hieß das zunächst, dass er seit Ende der achtziger Jahre kontinuierlich, fast manisch in mindestens zwei, drei Filmen pro Jahr auftritt, um im Geschäft zu bleiben, solange ihn das Geschäft eben duldet. Trotzdem gab es zwischendurch immer wieder Momente, in denen sein Gesicht in Vergessenheit zu geraten drohte, wäre er nicht plötzlich wieder aufgetaucht, in einer kleinen Rolle in einem Film, an den man sich ihm zuliebe besser nicht erinnert. Paul Verhoevens Hollow Man (2000) und David O. Russells Flirting with Disaster (1996), in dessen berühmtester Szene Brolin sich leidenschaftlich an Patricia Arquettes Achselhöhlen vergreift, sind da noch die gnädigeren Beispiele.

Dennoch gibt es Josh Brolin, und das Erstaunlichste an ihm ist, dass man jenseits der Fehltritte und Verlegenheitsjobs in seinen Darbietungen einen Mann bei der Arbeit erleben kann, der mit der Zeit als Schauspieler zu einem der interessantesten Gestalten des modernen Kinos gereift ist. Im vergangenen Jahr liefen allein drei Filme mit ihm im Kino – Paul Thomas Andersons überdrehter Kiffer-Noir Inherent Vice, Denis Villeneuves Drogenkriegsthriller Sicario und Baltasar Kormákurs schwindelerregendes Abenteuer-Drama Everest – von denen einer höher gelobt wurde als der andere, und in denen seine Figuren in ihrem Wesen unterschiedlicher und anspruchsvoller kaum hätten sein können. Schon vor Jahren haben die US-amerikanischen Kritiker geschwärmt, dass Brolins schauspielerisches Können mitunter eine solche Wucht habe, dass sich die Leinwand nach außen beuge. Jetzt findet seine Präsenz in den Wort- und Materialschlachten des neuen Hollywood ihre ganz eigene, nach außen berstende Überhöhung, die sich aus der ihm innewohnenden Ambivalenz zwischen einer fast depressiven Weltverneinung und rhetorischem Charme, zwischen tatsächlichem Böse- und möglichem Gutsein, zwischen Harmoniesehnsucht und Verführung zum Abgrund nährt.

Wer sich obendrein an seine Glanzleistung als Ex-Stadtrat Dan White, dem Mörder seines Opponenten Harvey Milk in Gus Van Sants Biopic des kämpferischen Gay-Aktivisten erinnert, weiß auch, dass die Oscar-Nominierung für die beste Nebenrolle damals nicht nur gerechtfertigt, sondern eigentlich längst überfällig war. Bereits in Ridley Scotts American Gangster hatte er, von seinem Trademark-Ganovenschnurrbart halb verdeckt, den korruptesten aller Polizisten gespielt, und das so überzeugend, dass er Denzel Washington damit im Grunde die Show stahl. Kurzum: Mit einem Josh Brolin in der richtigen Rolle wird einem weiß Gott nicht langweilig, obwohl oder vielmehr gerade weil es sich bei seinen Figuren letztlich meist um ziemlich ungenießbare Stinker, unkoschere Hüter des Gesetzes oder sonstwie harte Kerle handelt.

Demnach ist der Einzige, der den heute 47-Jährigen davon abhalten könnte, diesmal dauerhaft in die oberste Liga überzuwechseln, eigentlich nur Brolin selbst. Als ein Typ der alten Hollywood-Schule ist er eben auch einer, der seine chaotische und kriminelle Vergangenheit nicht verleugnet, weil er weiß, dass sie ihn mitunter zu dem Ausnahmedarsteller gemacht hat, der er heute ist. Einem, der unheimliches Potenzial hat, aber nicht perfekt ist – und der dazu steht, dass er immer wieder mal ausrutscht. Dummerweise passiert das meistens ausgerechnet dann, wenn es eigentlich gerade richtig gut läuft für ihn, so 2008, als er während der Dreharbeiten zu Oliver Stones’ Präsidenten-Satire W., in der Brolin keinen Geringeren als den damals noch amtierenden George W. Bush mimt, aufgrund von Streitigkeiten in einer Bar in Louisiana die Nacht hinter Gittern verbringen musste. Oder zu Neujahr 2013, als er wegen öffentlicher Trunkenheit festgenommen wurde, einen Monat bevor er und seine damalige Frau Diane Lane nach neun Jahren Ehe offiziell die Scheidung einreichten. Zu dem Zeitpunkt hatte sich Brolin gerade mit einer weiteren Hauptrolle in Spike Lees Rache-Thriller Oldboy an einen nächsten Meilenstein seiner Schauspielerlaufbahn angenähert. Danach verschwand er zwar zunächst mal in Rehab – allerdings nur, um kaum ein Jahr später mit Inherent Vice auf die Bildfläche zurückzukehren und damit einmal mehr zur Schau zu stellen, dass er das Comeback für sich mittlerweile längst als Karriereform entdeckt hat.

Umfangreiches Repertoire

Dabei ist jede neue Rolle zugleich immer auch eine neue Herausforderung, die Josh Brolin ganz bewusst sucht, um sich und der Welt einmal mehr zu beweisen, dass auch er, der Sohn des zweifachen Golden-Globe-Gewinners James Brolin, durchaus das Zeug zum Superstar hätte, wenn er das denn wollte, und der allemal wandlungsfähiger ist als das überstrapazierte Tough-Guy-Image, das ihm so hartnäckig anhaftet. In Wirklichkeit, sagt Brolin von sich selbst, sei er viel mehr weiche Schale im harten Kern: „I’m an insecure guy, skittish and scared.“ Erste Annäherungsversuche an sensibler gestrickte Männlichkeitsbilder gab es bereits: Während Brolins entflohener Schwerverbrecher Frank in Jason Reitmans Labor Day mit Hilfe von Kate Winslets depressiver, alleinstehender Mutter nach dem rechten Leben im falschen sucht, gibt er in Woody Allens You Will Meet a Tall Dark Stranger einen erfolglosen Schriftsteller, der lieber der schönen Nachbarin nachsteigt als seiner eigenen Frau. Hoffnung und Enttäuschung, Euphorie und Wut, Gefühle wie diese kanalisieren Brolins Figuren hier wie dort vor allem in einem trügerisch einnehmenden Blick, der unter die Haut geht. Denn mittlerweile hat Brolin gelernt, auch ohne große Gesten und Grimassen seinen Figuren Ausdruck zu verleihen. In seinem leisen Lächeln liegen Harmlosigkeit und Haltlosigkeit stets gefährlich nahe beisammen, es kann aus ihm jederzeit einen Lover oder einen Mörder machen.

Ob Trash-Kino, romantische Komödie, Cult-Comic-Adaption, Horror, Thriller oder Western, das Repertoire des Josh Brolin ist unerschöpflich. Aber nicht nur, wenn er in eine neue Rolle schlüpft, scheint es, als kreiere er sich selbst immer wieder neu. Dasselbe gilt für Brolin, den Privat- und Geschäftsmann, der sich Anfang der Neunziger, nach diversen schwächerchen TV- und Kinoproduktionen, für einige Zeit mit der Schauspielerei zurückhielt, um vorübergehend als Börsenbroker zu arbeiten. Als er Jahre später noch immer mit allzu mittelmäßigen Rollen kämpfte, verkaufte er seine Pferderanch in Texas, um seiner Hollywood-Karriere einen neuen Boost zu geben. Auch das ist Josh Brolin, einer, der weiß, was er will, und der das Risiko nicht scheut, um vorwärts zu kommen. Und dass er wählerisch wurde, war letztendlich sein großes Glück, denn sonst wäre er wahrscheinlich kaum über die Coens gestolpert, beziehungsweise hätte sie nicht so lange mit Anfragen terrorisiert, bis sie ihn letztendlich für die Rolle des vom Glück gestreiften texanischen Vietnamkriegs-Veteranen Llewelyn Moss in ihrer grandiosen Cormac-McCarthy-Verfilmung No Country for Old Men vorsprechen ließen – eine Rolle, die ihm, wie sich alsbald herausstellte, geradezu auf den Leib geschrieben war.

Überhaupt kommt man, wenn man über Brolin spricht, nicht darum herum, neben den zahlreichen großen Regisseuren, mit denen er in seiner mittlerweile drei Jahrzehnte umspannenden Karriere auch wiederholt zusammengearbeitet hat, den Coen Brothers eine gewisse Sonderstellung einzuräumen – nicht weil er ohne sie nicht auch gute Filme gemacht hätte, sondern weil es zwischen den dreien auf eine Weise gefunkt zu haben scheint, die Brolin zu neuen Höchstleistungen treibt. Auf ihren erfolgreichen Einstand mit dem Oscar-prämierten No Country folgte drei Jahre später das Western-Remake True Grit nach dem gleichnamigen Roman von Charles Portis. „They are family now“, sagt Brolin. „I remember Sean Penn talking about making Super-8 films with Rob Lowe and Emilio Estevez. That’s how it feels.“ Mit dem Unterschied, dass die Coens auch in ihrem neuesten Streich sicher nichts dem Zufall überlassen werden. Was lange als vage Idee kursierte, entpuppt sich letztendlich als  fertig ausgeklügelter Film, in dem Brolin an der Seite von Zugpferd George Clooney und einer Schar weiterer prominenter Kolleginnen und Kollegen wie Channing Tatum, Scarlett Johansson, Tilda Swinton oder Ralph Fiennes agiert.

Brolin spielt darin den mit allen Wassern gewaschenen PR-Fixer Eddie Mannix, der im Hollywood der fünfziger Jahre damit beauftragt wird, das plötzliche, spurlose Verschwinden des einfältigen Hauptdarstellers (Clooney) einer prestigeträchtigen Sandalenfilm-Produktion mit dem Arbeitstitel Hail, Caesar! zu vertuschen. Eine klassische Komödie im Coen’schen Sinne also und nach O Brother, Where Art Thou? (2000) und Intolerable Cruelty (2003) der lang ersehnte finale Beitrag in ihrer gemeinsam mit Clooney ausgetüftelten sogenannten Numbskull-Trilogie. Brolin dagegen gibt auch diesmal wieder den Mann für’s Grobe, der für Ordnung sorgt und dafür, dass der Laden weiterläuft. Er ist und bleibt weiterhin mehr ein Schauspieler als ein Superstar, allein weil er sich eher über seine Rollen Gedanken macht als über sein Image. Nobody’s perfect! – und keiner bringt das so perfekt hin, nicht perfekt zu sein, wie er.