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Toni Erdmann

Toni Erdmann

Whitney Schnuck und der haarige Riese

| Alexandra Seitz |
Maren Ade erzählt von Vater und Tochter, von Arbeit und Vergnügen, von Leben und Tod: Toni Erdmann, ein Film zum Lachen und zum Weinen.

Für Volker Gunske

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Er solle den alten Hund doch endlich einschläfern lassen, meint die im Rollstuhl sitzende Mutter zu ihrem Sohn. „Das mach‘ ich mit dir doch auch nicht“, gibt der trocken zur Antwort und damit ist erstmal alles gesagt. Es gibt schließlich Bindungen, die werden nicht eben so aufgekündigt, nur weil einer schwächelt.

Willi allerdings schwächelt sehr und blind ist er auch und eines Abends will er nicht mehr über die Schwelle der Terrassentür und da legt Winfried sich halt zu ihm in den Garten und im Morgengrauen ist der Hund Willi dann tot und Winfried wieder eine Spur einsamer und sein Leben ein wenig trauriger.

Winfried Conradi, 65, semi-pensionierter Musiklehrer, geschieden, eine erwachsene Tochter, macht gerne Scherze, Scherze der besonderen Art. Beispielsweise erscheinen er und seine Gesangstruppe als Zombies kostümiert zur Ruhestandsfeier eines Kollegen und stimmen ein Lied an: „Wir sind todtraurig, dass du heute in Pension gehst“, so in etwa.

Der Humor von Maren Ades Toni Erdmann, der bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes seine – ausnahmsweise trifft das Wort – umjubelte Premiere feierte, dieser Humor also ist speziell. Mal staubtrocken, mal klamaukig, mal tieftraurig, mal albern-absurd, mal slowburn, mal blitzschnell – und als solcher hat er sich über alle Ländergrenzen hinweg mitgeteilt; sogar Franzosen und US-Amerikaner haben, so wurde berichtet, gelacht. Obwohl den Deutschen doch hartnäckig Humorlosigkeit nachgesagt wird …

Es ist nun freilich sehr erfreulich, dass ein deutscher Film die notorisch miesepetrigen Filmkritikerinnen und Filmkritiker der Welt derart aus der Reserve locken konnte, doch Toni Erdmann rein als Komödie zu beschreiben, greift, es lässt sich denken, zu kurz. Wenn eine Filmemacherin sich 162 Minuten Zeit nimmt, um ihre Geschichte zu erzählen, dann geht es nicht nur ums Späßemachen, dann geht es um mehr. Im vorliegenden Fall geht es, und auch das lässt sich denken, um alles. Obwohl es vordergründig und erstmal gar nicht danach aussieht.

Denn schon die erste Einstellung ist ein Meisterstück des Unspektakulären: Die Kamera, schräg in einen Vorgartenweg gequetscht, nimmt eine nullachtfünfzehn Haustür mit danebenstehender Mülltonne in den Blick – und das kann man sich dann erstmal eine Weile ansehen. Bis ein Paketbote kommt. Der klingelt. Und wartet. Bis die Tür sich öffnet. Das braucht eben seine Zeit. Alles braucht seine Zeit. Erst recht die Erkenntnis, dass das Leben schnell vergeht und man tunlichst sorgsam mit ihm umgehen sollte. Eine Erkenntnis, die so profund ist wie banal – wohl gerade deswegen ist es mit so ungeheuren Schwierigkeiten verbunden, ihr Taten folgen zu lassen.

Den vollständigen Text können Sie in unserer Printausgabe lesen.

Die Latte muss sehr hoch liegen

Maren Ade im Gespräch über Väter, Rollenspiele und die Suche nach dem großen Glück.

Frau Ade, in der Pressevorführung von „Toni Erdmann“ in Cannes wurde, was nicht unbedingt häufig vorkommt, lauthals gelacht, geweint, und obendrein gab es sogar mehrmals Szenenapplaus. Hatten Sie vorab auch nur die geringste Ahnung, wie gut der Film selbst unter hartgesottensten Kritikern ankommen würde?
Nein, weil ich vor der endgültigen Fertigstellung des Films so wahnsinnig wenig Zeit hatte, dass wir im Vorfeld kein größeres Test-Screening machen konnten. Ich wusste zwar schon von meinen anderen Filmen, wie es laufen kann, wenn es gut läuft. Aber ein volles Kino und ein so begeistertes Publikum wie das in Cannes, das hat schon eine ganz besondere Wirkung. Und mir ist während der Vorstellung wirklich ein großer Stein vom Herzen gefallen, weil der Film auf mich persönlich zum Ende immer düsterer und depressiver wirkte.

Wie kam es, dass Sie überhaupt bis zur letzten Minute daran gearbeitet haben? Abgedreht hatten Sie doch eigentlich schon viel früher, oder?
Stimmt, aber wir haben wirklich viel gedreht, das heißt, nach 56 Drehtagen hatte ich gut 90 Stunden brauchbares Material beisammen.  Damit muss man erst einmal zurechtkommen. Aber man muss dazu sagen, dass ich bei 30 Takes auch nicht immer das gleiche drehe, sondern versuche, jede Szene in den verschiedensten Nuancen umzuwandeln, mit unterschiedlichen Haltungen und anderen Subtexten, um dann beim Schneiden die meines Erachtens richtige Dramaturgie für den Film auszuloten. Und das braucht eben seine Zeit.

Das klingt so, als würden Sie die Dinge auch immer ganz genau nehmen, ganz ähnlich wie Ihre Hauptfigur Ines?
Ja, vielleicht. In der Hinsicht kann ich mich schon wiederfinden in der Figur, denn auch beim Filmemachen muss man die Latte für sich persönlich sehr hoch hängen, damit ein Film überhaupt zustandekommt.

Und wieviel Maren Ade steckt sonst noch in dem Film?
Nicht allzu viel. Was Peter Simonischeks Rolle angeht, da wurde ich zum Teil von meinem eigenen Vater inspiriert, der ebenfalls einen herrlich weitreichenden Humor hat. Die Idee mit den falschen Zähnen geht beispielsweise darauf zurück, das ich meinem Vater vor Jahren auch mal so ein Gebiss geschenkt habe und er es in bestimmten Situationen bis heute zum Einsatz kommen lässt. Das fand ich spannend. Aber davon abgesehen ist die Handlung  reine Fiktion.

Auf dem Papier, weist die Geschichte, die Sie in „Toni Erdmann“ erzählen, eine Art Seelenverwandtschaft zu „Alle anderen“ auf, wenn man bedenkt, dass es darin ebenfalls um die Beziehungsprobleme zweier Menschen geht, die sich zudem im Ausland befinden. Haben Sie damit in gewisser Weise versucht, an ein bereits bewährtes Erfolgsrezept anzuschließen?
Ich mag ganz einfach die klare Struktur, die sich aus einer Zweierkonstellation wie dieser ergibt, und die Intensität, die damit einhergeht. Es geht mir in erster Linie immer um dieses Duell zwischen zwei Menschen, und alles drumherum entwickelt sich im Grunde erst im Nachhinein. Aber es stimmt schon, dass sich daraus in meinen Filmen bestimmte Parallelen ergeben. Vielleicht versuche ich das Ganze beim nächsten Mal zur Abwechslung mit drei Leuten, nur im Fall von Toni Erdmann hätte das die Laufzeit vermutlich komplett gesprengt.

Wer ist diese Ines eigentlich? Wie würden Sie sie für sich beschreiben?
Ines ist eine Rollenspielerin, das hat sie sich über die Jahre angeeignet. Einerseits spielt sie die distanzierte Tochter, andererseits die taffe Geschäftsfrau, gleichzeitig ist sie die Geliebte ihres Arbeitskollegen, und für Ihre Assistentin gibt sie die strenge, aber wohlwollende Chefin. Und es ist schwer zu sagen, in welcher dieser Rollen oder wann überhaupt sie ganz sie selbst ist. Das war’s auch, was mich an der Figur fasziniert hat, die Tatsache, dass es ihr vielleicht weniger darum geht, sich selbst zu finden, als vielmehr darum, etwas von sich abzuschütteln. Deshalb finde ich auch die Szene so schön, in der Ines während ihrer Geburtstagsparty ganz nackt auf dem Bett liegt, weil erst in dem Moment wirklich zum ersten Mal nichts mehr im Raum steht, es keine Rolle mehr gibt, die sie spielen muss, und die Luft um sie herum plötzlich ganz klar ist.

Das vollständige Interview können Sie in unserer Printausgabe lesen.