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Yto Barrada

Die Kulturschmugglerin

| Daniela Gregori |
Die Wiener Secession präsentiert Arbeiten der französisch-marokkanischen Künstlerin Yto Barrada.

Womöglich handelt es sich beim Beginn von Yto Barradas Film Faux Départ (2015) gar nicht um einen Fehlstart, wie der Titel suggerieren würde, sondern eher um die Feststellung eines Status quo, jener Themen, die für Yto Barrada seit Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit zentral waren: zum einen die nahezu absurde Künstlichkeit dessen, was für Bedürfnisse des Tourismus gebaut und konstruiert wird, zum anderen die Bedingungen, unter denen jene Menschen leben, die auf dem Weg von Afrika nach Europa in Tanger gestrandet sind, ohne zu wissen, wie und ob es für sie weiter geht. Das mag alles hoch aktuell klingen, doch ist die erste Werkserie der Künstlerin, „A Life Full of Holes: The Strait Project“, bereits zwischen 1998 und 2004 entstanden.

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„Wer sein Leben an der Kante Afrikas verbringt, auf dem Sprungbrett nach Europa und auf die andere Seite will, wendet sich ab und verliert das Interesse an seinem Land“, hat es die Künstlerin vor einigen Jahren auf den Punkt gebracht und erbringt seit damals den Gegenbeweis, dass ihre Heimat so uninteressant doch nicht ist. Yto Barrada, geboren 1971 in Paris, weiß um ihr privilegiertes Dasein mit zwei Staatsbürgerschaften und zwei Muttersprachen. Vielleicht wirken ihre Foto- und Filmarbeiten gerade im Wissen um ihre Möglichkeiten nicht kämpferisch oder anklagend, vielmehr sind sie ruhig beobachtend und von einer Distanz, die einer Achtung gegenüber dem Individuum geschuldet ist, sei es nun Migrant oder Tourist.Barrada studierte an der Sorbonne Politikwissenschaften und Geschichte, danach Fotografie in New York, wo sie auch zeitweilig lebt. Seit damals  ist Marokko, speziell Tanger, das Thema ihrer Arbeit und Ort anderer Aktivitäten. So ist sie  beispielsweise Mitbegründerin der „Cinémathèque du Tanger“, dem ersten Film- und Kulturzentrum Nordafrikas. Mit seinen Filmprogrammen, Workshops, Gesprächsrunden für unterschiedlichste Gruppierungen, seinem Archiv und vor allen Dingen dem Café ist der Ort eine wichtige Destination nicht nur für junge Menschen geworden.

Nach dem Blick zum leeren Swimmingpool samt künstlichen Felsen und einem mit weitaus trostloseren Aussichten zu Beginn von Faux Départ findet man sich  in einem eleganten, womöglich bestens klimatisierten Salon Marocain wieder. Bald schwenkt die Kamera auf ein fossiles Stück Nippes, gleich darauf rückt ein dunkler Couchtisch mit polierter Steinplatte, dessen helle, zackenförmigen  Einschlüsse sich als Belemniten erweisen, in den Fokus.

Barradas Interesse für derlei fossilen Reichtum ihres Landes wurde geweckt, als irgendwann in einem europäischen Auktionshaus ein marokkanischer Spinosaurus zur Versteigerung kam. Aus diesem so auf den Weg gebrachten Wissen, dass in dem Gebiet zwischen Atlasgebirge und der Sahara einst größere Dinosaurier gelebt haben,  entwickelte die Künstlerin die Grundlagen für ihre weitere äußert vielschichtige Arbeit. Denn neben Geologie, Fauna und Flora, begeisterten sie die wirtschaftlichen Aspekte, zu denen Schmuggel, Fälschung oder Kulturdiebstahl ebenso gehören.

Im weiteren Verlauf des Films verfolgt man in einer eher notdürftig errichteten Werkstatt, wie aus den Mineralien Fossilien freigelegt werden. Oder blickt man doch Fälschern über die Schulter, die mit Hilfe von Modeln und selbst angerührten Pasten eher neuzeitliche Tierchen mit einem fake-fossilen Dasein erschaffen? Aus einem echten, sicher kürzlich noch lebendigen, Skorpionewird schließlich ein steinerner Hybrid. Stück für Stück führt sodann einer der Arbeiter sein Werkzeug vor, erklärt die jeweiligen Funktionen. Ob nun Arbeit an Fossilien oder deren Nachbildung für den Souvenirshop, jene Manufaktur mutet in Ausstattung und Arbeitsabläufen doch sehr archaisch an, ebenso die per Hand gepinselten Firmenschilder der Verkaufsstellen. Ganz zum Schluss schwenkt die Kamera durch eine helle, auf Hochglanz gebrachte Halle, wo Fossilien, am Boden liegend, geordnet präsentiert werden. Was, so fragt man sich,  ist nun als echt zu bezeichnen, was als falsch? Und damit endet Faux Départ dann auch.

Die Arbeit an den Dinosauriern und Fossilien führte Yto Barrada weiter zu wissenschaftlichen Klassifizierungsmethoden aus der Geologie und deren Darstellung als lithografische Diagramme und visuelle Unterscheidbarkeit durch gestickte Legenden. Für die Diagramme arbeitet die Künstlerin mit Farbfotogrammen, für die Stickereien hat sie sich alte Techniken angeeignet, wie sie auch die  alten pflanzlichen Färbemethoden erlernt hat. Hintergrund dafür ist ein altes Musterbuch, das die Künstlerin bereits ihr Leben lang begleitet. Derlei Bücher, und daher auch der Titel der Ausstellung „The Sample Book“, dienten ja nicht jenen, die färbten, sondern jenen, die mit den Stoffen Handel betrieben. Damit schließt sich für Barrada wieder der Kreis zu Fragen von Identität und Migration.

Überhaupt sind das alte Wissen um Prozesse und Techniken, deren Bewahren durch Aneignung und Weitervermittlung Arbeitsgrundlagen der Künstlerin. An Materialien bevorzugt sie vorgefundenes, wie die schönen Papierbahnen, die beim Färben als saugfähige Unterlage dienen und später als günstiges Verpackungsmaterial und Tapete ihre Verwendung finden, oder jene gefundenen Siebdruckrahmen mit klingenden Labelnamen, mit denen man billige Shirts zu geblendeten Markenklamotten produzieren kann. Was nun klingt wie die krude Mischung aus Wunderkammer und Asservatenkabinett, ist ein assoziatives Verknüpfen von Wissenschaft und Geschichte, vom Erzählen von Geschichten, bisweilen mit biografischem Hintergrund.

Barrada versteht ihre Inszenierungen nach eigenen Angaben als Arbeit für ein „imaginäres oder zukünftiges“ naturgeschichtliches Museum Marokkos. Die Künstlerin sammelt und produziert hierfür Objekte, sorgt für eine anschauliche Vermittlung und entwickelt pädagogisches Material. So kann man ihre Arbeit  „Tectonic Plate“ von 2010 als Lehrmittel für dieses Museum sehen. Die einzelnen Kontinente auf dieser Tafel lassen sich verschieben, ja zusammenrücken, wie sie einst einmal waren. Für das Ende des „Museumsrundgangs“, das auch den letzten Raum der von Bettina Spörr für die Secession kuratierten Ausstellung markiert, gibt es für die jüngsten Besucher überdimensionierte Bauklötze aus Schaumstoff, überzogen mit traditionellen marokkanischen Stoffen. Titel der Arbeit ist „Salon Marocain“, womit sich der Kreis zum Beginn des Films am Ausstellungsanfang wieder schließt. Die Arbeit am „Museum“  ist längst nicht abgeschlossen, die Secession ist eine Station in dieser Geschichte, die kontinuierlich weiter erzählt wird; freilich eine Station mit neu produzierten Exponaten.

Als Künstlerin versteht sich Yto Barrada nicht als Verführerin sondern als Lehrling. Doch verfolgen ihre künstlerischen Strategien ganz klar ein bildungspolitische Konzepte, so wie sich auch in ihrer Tätigkeit für die „Cinémathèque du Tanger“  Kunstproduktion und Kulturförderung nicht strikt trennen lassen.  In diesem Zusammenhang hat Barrada eine durchaus treffende Begrifflichkeit gefunden, wenn sie sich selbst als „Kulturschmugglerin“ bezeichnet.