ray Filmmagazin » Interview » Energie und Tempo

Stefan Ruzowitzky

Energie und Tempo

| Roman Scheiber |

Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky, derzeit mit dem Wien-Actioner „Die Hölle“, aber noch immer nicht mit dem britischen Seuchen-Thriller „Patient Zero“ im Kino, blickt auf 20 Jahre Filmschaffen zurück. Ein Gespräch über italienische Sprachmelodien, Pitching in Hollywood, ein deutsches Serienprojekt und die österreichische Branche.

Werbung

Vier Jahre nach dem Oscar-Gewinn für Die Fälscher durfte Stefan Ruzowitzky noch hoffen, sich in Hollywood zu etablieren. Nach einigen versandeten Projekten brachte er 2012 eine starbesetzte, mit geschätzt zwölf Millionen Dollar budgetierte amerikanisch-französische Koproduktion auf den Boden. In Michigan und im kanadischen Québec gedreht und von der US-Kritik zum Teil durchaus wohlwollend beurteilt, floppte der Schnee-Krimi Deadfall („deutscher“ Verleihtitel Cold Blood) – mit Eric Bana, Olivia Wilde, Kris Kristofferson und Sissy Spacek – böse am Box Office. Das rief eher Erinnerungen an die furchtbar durchgefallene Kriegskomödie All the Queen’s Men (2001) wach als an seine künstlerischen (Die Siebtelbauern, 1998) oder kommerziellen (Anatomie, 2000) Erfolge in Vor-Oscar-Zeiten.

Ruzowitzky, 55, ein sympathisches Arbeitstier mit Hang zu Slash und Splatter, ist seit mehr als 20 Jahren im Filmgeschäft. Seinen Namen hat er sich als Regisseur unterschiedlicher Genres von Horror über Nazi-Drama bis Kinderfilm gemacht, sich selbst sieht er in erster Linie als Handwerker. In gewisser Hinsicht ist sein mit der Allegro Film realisierter und im Januar im Kino gestarteter Wien-Thriller Die Hölle eine Rückkehr zu seinem ersten Kinospielfilm Tempo (1996). Treibender Old-School-Actionkracher und zugleich physisch intensiver Horrorkrimi um vier verhaltensauffällige Hauptfiguren, weist Die Hölle für eine cinephil reifere Zielgruppe womöglich einen ebenso hohen, wenn nicht höheren Unterhaltungswert auf als für die mittels Titelsong des Rappers Nazar anvisierte jugendliche. Für Wiener ist der Film überdies ein amüsantes Raumrätsel-Heimspiel.

Ruzowitzkys Sinn für verspielten Humor, der natürlich auch in Die Hölle spürbar ist, spiegelt sich in seinem diabolisch anmutenden Porträtfoto in der Datenbank IMDb. Dort ist seit geraumer Zeit eine unter Ruzowitzkys Regie in England gedrehte Produktion gelistet: der Seuchenthriller Patient Zero mit Game-of-Thrones-Star Nathalie Dormer und Stanley Tucci. Seit 2015 im Postproduktionsstadium, schwindet allmählich die Hoffnung auf einen Österreich-Start des Alternativ-Zombiefilms, denn bereits avisierte Starts wurden immer wieder verschoben und von Promotion-Bemühungen ist (jedenfalls bis Redaktionsschluss dieser „ray“-Ausgabe) nichts zu bemerken.

Unterdessen arbeitet Ruzowitzky, der mit seiner Familie in Klosterneuburg bei Wien lebt, schon wieder an einer neuen Herausforderung. Unterstützt von zwei weniger bekannten Regie-Kollegen, dem Schweizer Michael Krummenacher und dem Deutschen Philipp Leinemann, wird er für Sky Deutschland die achtteilige Endzeit-Serie Acht Tage in Szene setzen. Darin soll es um das seltsame Verhalten geschlechtsreifer Erdenbewohner in Zeiten des bevorstehenden Untergangs gehen – hier in Form eines apokalyptischen Asteroideneinschlags. „So etwas wie Lars von Triers Melancholia wird das aber sicher nicht werden“, kündigt Ruzowitzy an. Das Gespräch fand kurz vor Jahreswechsel im Radiokulturhaus Wien statt, mitunter von ungeduldigen Textnachrichten seiner zwei Töchter unterbrochen.

 



Herr Ruzowitzky, haben Sie sich für „Die Hölle“ von skandinavischen Thrillern inspirieren lassen?

So direkt würde ich das nicht sagen, aber grundsätzlich sehe ich die Skandinavier schon als Vorbild, da sie trotz Hollywood-Konkurrenz ein erfolgreiches Genre-Kino aufgebaut haben. Ein Genre-Kino, das einem internationalen Standard entspricht, aber auch sehr viel Lokalkolorit besitzt und dem eine eigene Schule zu Grunde liegt. Vor allem im deutschsprachigen Raum haben wir da leider ein bisschen aufgegeben. In Italien ist es z.B. gesetzlich verankert, dass jeder Film synchronisiert werden muss. Vor kurzem erst habe ich erfahren, dass das ein Teil des Marshall-Plans war, um die Leute zur Demokratie zu erziehen, nach dem Motto: „Ihr bekommt jetzt mal eine ordentliche Portion amerikanische Lebenskultur verpasst und müsst unsere Filme schauen, um das neue Lebensgefühl verstehen zu können.“ Das gibt es bei den Skandinaviern in dieser Form nicht, die haben fast nur Untertitel, weshalb sie viel weniger vom Hollywood-Kino geprägt sind als wir. Wenn z.B. die Dänen im Kino Dänisch hören wollen, müssen sie sich einen dänischen Film ansehen.

Wobei sich diese Situation z.B. im Heimkinobereich stark ändert mit Streaming-Anbietern wie Netflix, die z.B. bei mexikanischen Serien das spanischsprachige Original englisch untertiteln lassen …

Genau, wie bei Narcos zum Beispiel. Das finde ich sehr gut. Für mich war Inglourious Basterds ein Dammbruch in dieser Hinsicht. In diesem Film wurde häufig nicht Englisch gesprochen und viel untertitelt, und er funktioniert trotzdem für ein Massenpublikum. Früher hat man wohl gedacht, die Leute verlassen bei einer Untertitelung schreiend das Kino. Ich persönlich sehe englischsprachige Filme grundsätzlich in der Originalsprache, und seit einigen Jahren habe ich den Vorteil des Originalen auch bei anderen Sprachen entdeckt, vor allem bei Italienisch, obwohl ich das nicht kann. Man verpasst so viel, wenn man einen Film nicht im Original sieht. Italienische Filme kommen in Deutsch so hölzern rüber. Wenn man die einzigartige Sprachmelodie des Italienischen hört, ist der Film ein ganz anderes Erlebnis.

Um auf „Die Hölle“ zurückzukommen: Schon beim Ansehen habe ich mich gefragt, bei welchem Publikum dieser Film reüssieren soll.

Bei einem Publikum, das sich österreichische oder europäische Filme eigentlich nicht anschaut, außer vielleicht die Komödie eines bekannten Kabarettisten. Der Film richtet sich vor allem an ein junges Publikum – auch mit Migrationshintergrund –, das gutes und hartes Entertainment in Form US-amerikanischer Thriller kennt. Wir haben versucht, das auf dem gleichen handwerklichen Niveau zu schaffen, aber mit dem Mehrwert, dass die Auto-Verfolgungsjagd nicht durch eine anonyme amerikanische Großstadt führt, sondern beim Café Prückel vorbei und dann durch die Mondscheingasse. Das ist natürlich amüsanter, weil es einem emotional auch näher geht, wenn man z.B. denkt: „Huch, da war ich ja gestern erst.“

Das vollständige Interview lesen Sie in unserer Printausgabe.