Filmkritik

Untitled

| Pamela Jahn |
Ode an die Freiheit

Es gibt Filme, die sind einfach da, im hier und jetzt – und es gibt andere, die bleiben. Untitled von Michael Glawogger und Monika Willi, ist so ein Film, der sich erst lange nach der Sichtung in allen Einzelheiten im Kopf festsetzt. Das mag zunächst an der Fülle und Verschiedenheit des Materials liegen, sowie an der fragmentarischen Erzählstruktur, mit der einem diese wundersame, unaufdringlich fesselnde Dokumentation begegnet. Denn schließlich war das die Grundidee des ewig suchenden Regisseurs für sein ultimatives Projekt: ein Jahr lang unterwegs sein und ziellos durch die Welt streifen, allein der eigenen Nase nach. „Der schönste Film, den ich mir vorstellen kann“, sagt Glawogger aus dem Off gleich zu Beginn des Films, „ist einer, der nie zur Ruhe kommt.“

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Tatsächlich ist mit Untitled genau so ein rastloses Werk entstanden, auch wenn der Abenteurer selbst das Ergebnis seiner impulsiven Reise durch den Balkan, Italien, Nordwest- und Westafrika nicht mehr miterleben durfte. Dass Glawogger nach kaum vier Monaten in Liberia einer Malaria-Erkrankung erlag, kam für ihn so überraschend wie für die Welt, die er mit seinen Filmen bewegen wollte. Lange Zeit war nicht klar, was genau mit den 70 Stunden Material geschehen sollte, die bis dahin entstanden waren, bis Monika Willi, Glawoggers langjährige Editorin, sich der rastlosen Bilder annahm. Zum Glück, möchte man meinen, denn ganz gleich was  Glawogger selbst am Ende aus den Aufnahmen gemacht hätte, ist der vorliegende Film zweifelsohne vom Genie des kühnen Dokumentaristen beseelt. Ob Kinder, die in Abfallbergen kramen, Männer beim Ringkampf oder eine Brache mit Eseln, die es längst aufgegeben haben, sich gegen ihr Schicksal zu wehren, Glawogger hatte ein besonderes Auge für die Schönheit nicht nur im Gewöhnlichen, sondern auch im Hässlichen, was ihm im Laufe seiner Karriere mehr als einmal zum Vorwurf gemacht wurde. Dass er diesmal mit einem milderen Blick auf seine Umgebung schaut, wie man das sonst von ihm gewohnt ist, mag seine Kritiker überraschen, seine Anhänger dagegen wird der Film dennoch erneut begeistern. Denn so kitschig das jetzt klingen mag, Monika Willi ist mit Untitled gewissermaßen das Unmögliche gelungen: Ein Film ohne Wenn und Aber, der von der großen Freiheit lebt, die Glawogger ihm zugestehen wollte, sowie von den teils flüchtigen, teils ungeniert poetischen Bild- und Textkompositionen, die er gemeinsam mit seinem Kameramann Attila Boa im Vorbeifahren eingefangen hat. „Die meisten Abschiede sind unnötig theatralisch“, heißt es an einer anderen Stelle im Film. In diesem Sinne hätte es für Glawogger wohl kaum ein passenderes Lebewohl geben können.