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“303” – Hans Weingartner im Gespräch

Die Reise der Millennials

| Roman Scheiber |

Liebe, Politik und Redseligkeit: Mit „303“ hat Hans Weingartner ein Roadmovie im Geiste Richard Linklaters gedreht. Dazu ein Gespräch mit dem Regisseur.

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Es war eine Begegnung, an die wir uns gern erinnern: Die Pariser Studentin Celine und der amerikanische Jungautor Jesse beschnuppern einander in der Ringstraßen-Tram, sitzen zusammen am Donaukanal und kommen einander im Zuge schier uferloser Gespräche über Gott oder eher die Welt ziemlich nahe. Am Ende nahe genug, um ein Wiedersehen zu vereinbaren, bevor sie ihrer Wege gehen, aber nicht näher. Before Sunrise heißt Richard Linklaters Wiener Sommernachtstraum aus dem Jahr 1995. Sein hervorstechendes Merkmal, neben arger Dialoglast, ist die erfrischende Enttäuschung einer eigentlich konstitutiven Genre-Konvention: Die beiden Protagonisten werden am Ende des Films eben nicht zum Liebespaar. Obwohl Jesse und Celine erst neun Jahre später in der sanft ernüchternden Fortsetzung Before Sunset in Paris wieder aufeinander trafen, schafften es beide Filme zusammen in einer Kritikerwahl des britischen „Guardian“ aus dem Jahr 2010 auf Platz drei der besten romantischen Filme aller Zeiten (wie sich der zwischenzeitige dritte Teil der Before-Saga auf diese Reihung ausgewirkt hat, ist nicht überliefert).

Im anschließenden Interview erinnert sich Hans Weingartner an seine Mitarbeit bei Before Sunrise, an hilfreiche Filmtipps von Linklater und gibt freimütig zu, sich beim damaligen Vorbild durchaus bedient zu haben für seinen neuen Film 303. Die Parallelen sind denn auch offenkundig. Zwei junge Menschen begegnen einander zufällig, palavern fast unentwegt und an vielen Stellen geradezu übersprudelnd über Gott oder eher die Welt und wissen dabei nicht recht, inwieweit sie ihrer gegenseitigen Attraktion nachgeben sollen. Nur dass es sich in 303 um zwei gleich junge Hochschüler aus Deutschland handelt, wobei Jan einer spanischen Urlaubsaffäre seiner Mutter entsprungen ist und stets unter seinem Stiefvater gelitten hat. Jule wiederum befindet sich im emotionalen Ausnahmezustand, weil sie schwanger ist von ihrem Freund, der jedoch gerade ein Auslandssemester in Portugal absolviert und davon noch nichts weiß. Diese Konstellation führt zu einem weiteren entscheidenden Unterschied zu Linklater: Im Fall von 303 handelt es sich nicht um einen Zwischenstopp unter Zeitdruck, was die ersten beiden Before-Filme zur Kompaktheit zwingt, sondern um eine lange, bunte Reise quer durch Europa, von Berlin über Belgien und Frankreich bis nach Spanien und eben Portugal, in einem charmanten Vehikel, welches Weingartners Roadmovie auch seinen Titel gibt: ein hochbetagtes Mercedes-Wohnmobil der Modellreihe 303.

Der Grundschmäh der ganzen Geschichte ist, ähnlich wie bei Linklater, dass über das Geschlechterverhältnis im Allgemeinen zwar viel gesprochen, das Verhältnis von Jule und Jan im Besonderen dabei jedoch über längere Zeit im Vagen verbleibt. Es wird gewissermaßen zuerst gestritten und erst dann geküsst, es reibt sich Theorie mit Praxis, rangelt das Hirn gegen das Herz, während der Unterleib sich zu regen beginnt, und hilft all das Geschwafel herzlich wenig, wenn die Olfaktorik des jeweils anderen so betörend wirkt. Mit Silke Eggert holte Weingartner sich übrigens weibliche Hilfe beim Dialogschreiben, auch dies eine Parallele zu Linklater, der für seine Before-Reihe Kim Krizan zu Rate zog.

Es ist zum Teil interessant zu hören, was gebildete Millennials möglicherweise so alles denken, z.B. über die Vereinzelungsstrategie des Kapitalismus – Jule und Jan heißen ja auch zwei Helden in Weingartners erfolgreichem Anarcho-Politstück Die fetten Jahre sind vorbei. Schon weniger interessiert, wie die zwei genderspezifisch ticken (grob kompetitiv der Mann, sozial motiviert die Frau, wen wundert’s?). Zuweilen enervierend wirkt jedoch, wie das enorme Wissen der sympathischen Jungspunde sich nahezu pausenlos mit einer jeweils monströsen Mitteilsamkeit in eins setzt. Aber vielleicht stört Letzteres wenigstens die anvisierte Zielgruppe nicht: Bei der jüngsten Berlinale wurde 303 als Eröffnungsfilm für die Sektion „Generation 14plus“ ausgewählt.

Insgesamt kann – jedenfalls von dieser Stelle aus – nicht guten Gewissens behauptet werden, dass auch für den eher gemächlich erzählten Zweieinhalbstünder 303 gilt, was man von den meisten Filmen Weingartners sagen kann, Das weiße Rauschen und Die fetten Jahre sind vorbei (2001 bzw. 2004, beide mit seinem Ex-WG-Kollegen Daniel Brühl) oder auch Die Summe meiner einzelnen Teile (2011): dass er nämlich durchgehend die Spannung hielte. Zumal wenn die Pyrenäen überwunden sind, verstärken sich Vermutungen, worauf es hinauslaufen könnte. Der neurowissenschaftlich versierte und systemkritische Regisseur – beides schlägt natürlich auch in 303 wieder durch – hat aber zum Glück mit Mala Emde und Anton Spieker ein begabtes Duo gefunden, welches die Reise ins Kino wert ist. Das Ende weicht dann übrigens stark ab von Before Sunrise.

 



 

Herr Weingartner, Ihr voriger Film „Die Summe meiner einzelnen Teile“ liegt sieben Jahre zurück. Warum hat es so lange gedauert bis zu diesem neuen Projekt?

Zum einen lag es daran, dass die Finanzierung sich als recht schwierig erwies. Zum anderen dauerte die Suche nach passenden Schauspielern sehr lang. Wir fanden einfach keine Akteure, die diese Dialoge so natürlich sprechen konnten, wie ich mir das vorstellte. Wenn man den fertigen Film sieht, erscheint einem das völlig mühelos. Aber komplexe Dialoge sind extrem schwer für Schauspieler, die meist nur kurze Sätze gewohnt sind.

 

Wie schwierig gestaltet sich das Schreiben dieser Dialoge? Wie trifft man den richtigen Tonfall für die Millennials?

Wenngleich ich biologisch älter bin, fühle ich mich wie 25 und rede auch so – geht uns das nicht allen so? (Lacht.) Nein, in der Vorbereitung habe ich zahlreiche Interviews mit Jugendlichen geführt, um zu erfahren, was die so denken, über Monogamie, über Politik und über ihre Zukunft.

 

Wie viele der Dialoge sind improvisiert?

Im Unterschied zu meinen früheren Filmen wurde diesmal überhaupt nicht improvisiert – auch wenn es so wirken mag. Der Effekt geht so weit, dass nicht wenige Zuschauer auf der Berlinale glaubten, es würde sich um einen Dokumentarfilm handeln – was bei Das weiße Rauschen damals auch schon häufig zu hören war. Das ist das größte Kompliment, das man mir machen kann. Mir macht das Schreiben von Dialogen jedenfalls großen Spaß.

 

Das vollständige Interview lesen Sie in unserer Printausgabe.