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Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot – Gus Van Sant

Maximal unkorrekt

| Andreas Ungerböck |

Gus Van Sant setzt in „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“ dem US-amerikanischen Cartoonisten John Callahan, den er persönlich kannte, ein würdiges Denkmal. Der Filmemacher im Gespräch.

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Wie schon in seinem zweifach Oscar-gekrönten Film über Harvey Milk, den ersten US-amerikanischen Politiker, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte, entschied sich Gus Van Sant, ein profilierter Wanderer zwischen Independent-Film und Mainstream, auch in diesem Fall, kein umfassendes Biopic zu drehen, sondern nur einen entscheidenden Ausschnitt aus dem Leben seines Protagonisten darzustellen. John Callahan lebte in Portland, Oregon, und war 21, als er im Jahr 1972 bei einem Autounfall schwer verletzt wurde und anschließend von der Brust abwärts vollkommen gelähmt war. Tragische Ironie: Der Mann, der Callahans VW lenkte – beide waren auf einer exzessiven Sauftour und mehr als nur sturzbetrunken – kam mit ein paar Schrammen davon.

Nach einer langwierigen, schmerzhaften Rehabilitation, die ihn des Öfteren an den Rand der Verzweiflung brachte, begann Callahan – immer wieder geplagt von Rückschlägen – gegen seine Alkoholsucht anzukämpfen. Er besuchte Meetings der Anonymen Alkoholiker und lernte eine Gruppe kennen, in der er sich wohlfühlte. Deren „Kopf“, der reiche Erbe Donny (im Film gespielt von einem erschlankten und kaum wiedererkennbaren Jonah Hill) wurde sein Mentor, gleichzeitig sein schärfster „Aufpasser“ und Freund. Langsam fand Callahan seinen Lebenswillen wieder, begann eine Beziehung mit der schwedischen Stewardess Annu (Rooney Mara), die ursprünglich seine Physiotherapeutin gewesen war, und nützte sein Talent, bitterböse, pechschwarze Cartoons zu zeichnen, die in der lokalen „Willamette Week“ erschienen und später auch im „New Yorker“, im „Playboy“ und im „Penthouse“. Diese äußerst unkorrekten Cartoons, die im Film recht häufig zu sehen sind und teilweise auch animiert werden, führten sehr oft zu Stürmen der Entrüstung bei den Kleinlichen und Bigotten. Auch der etwas umständliche Titel des Films stammt ursprünglich von einer von Callahans Zeichnungen – und auch seine Autobiografie hieß so. 2010 starb der Künstler an den Folgen einer Operation, aber Van Sant fokussiert auf rund 15 Jahre von Callahans Leben; auch seine schwierige Kindheit (er wurde von seiner Mutter, die er nie kennenlernte, zur Adoption freigegeben und als Achtjähriger von einer Frau sexuell missbraucht) wird thematisiert.

Neben der süffigen und akkuraten Darstellung der wild bewegten siebziger Jahre, die thematisch offenbar gerade wieder im Schwange sind (siehe auch Spike Lees BlacKkKlansman, S.10), überzeugt Van Sants Film durch seine hervorragend ausbalancierte Mischung zwischen den tragischen Ereignissen in Callahans Leben und dem hingebungsvollen, tief empfundenen persönlichen Kampf gegen seine zahlreichen Dämonen.

Das ist oft viel komischer, als man es angesichts eines solchen Schicksals vermuten würde. Die Scharmützel etwa, die sich John mit seinem Assistenten/Pfleger Tim liefert, sind von einem herrlich grimmigen Witz. Eine Figur wie der vom Leben gebeutelte und dennoch widerständige Cartoonist ist natürlich wie geschaffen für Joaquin Phoenix, der hier in einer wahren Tour de Force wieder einmal eine Glanzleistung bietet; Jonah Hill steht ihm als großartig nuancierter, außen harter, aber innen weicher Ex-Alkoholiker um nichts nach. Eine Vielzahl prominenter Kurzauftritte (von Jack Black als Verursacher des katastrophalen Unfalls über Sonic-Youth-Ikone Kim Gordon und Singer/Songwriterin Beth Ditto bis hin zu Van-Sant-Dauergast Udo Kier) garniert diesen prächtigen, herzerwärmenden Film.



Nach der Berlinale-Premiere saßen Sie bei einem Essen neben Wim Wenders. Worüber redet man da so?

Wim und ich haben uns vor allem über Kameras unterhalten und wie wir sie einsetzen. Außerdem sprachen wir über Bilder. Weil wir beide malen, ging es darum, welches die besten Farben seien. Politik war jedenfalls kein Thema bei uns, ebenso wenig wie Fußball. (Lacht.)

Wie erinnern Sie sich an John Callahan?

Ich kannte John aus den Achtzigern in Portland, Oregon. Seine Cartoons erschienen damals unter anderem auch in unserer alternativen Wochenzeitung „Willamette Week“. Ich hatte damals gerade mit dem Dreh zu Drugstore Cowboy angefangen. Wir waren also zwei Künstlertypen, die versuchten, Karriere zu machen – auch wenn er sich viel schneller einen Namen machte als ich. John war eine stadtbekannte Figur. Man sah ihn immer mit seinem Rollstuhl im Regen die Straßen entlangsausen, und sein langes rotes Haar flatterte dabei im Wind.

Manche sagen, die Rolle des behinderten John Callahan hätte von einem Behinderten gespielt werden sollen. Ist das politische Korrektheit zum Abwinken?

Wenn man einen guten Schauspieler mit dieser Behinderung gefunden hätte, wäre das großartig gewesen. Aber ich habe keinen gesehen. Prinzipiell verhält es sich so wie bei schwulen Figuren. Sollen die nur von homosexuellen Schauspielern gespielt werden dürfen? Ich glaube kaum! Entscheidend ist doch letztlich, dass der Darsteller zur Rolle passt.

Ursprünglich war Robin Williams für die Rolle vorgesehen. Warum kam das nicht zustande?

John Callahan empfand es als ausgesprochen große Ehre, dass er von Robin Williams verkörpert werden sollte, schließlich gehörte Williams zu den bekanntesten Schauspielern überhaupt. Entsprechend quälend war für John, dass das Projekt immer wieder ins Stocken geriet und die Pläne nicht verwirklicht wurden. Er hat einmal im Scherz gesagt: „Wir alle werden tot sein, bevor dieser Film gedreht wird.“ Und so war es in seinem Fall dann leider auch.

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