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Nach einer wahren Geschichte / D'après une histoire vraie

Filmkritik

Nach einer wahren Geschichte

| Roman Scheiber |

Schreibhemmung und andere Plausibilitätsstörungen

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Schriftstellerin Delphine signiert auf einer Buchmesse und kommt mit dem Schreiben von Widmungen für ihre Fans kaum nach. Der Erfolg des autobiografischen Bestsellers über ihre psychisch kranke, mittlerweile verstorbene Mutter beruht offenbar darauf, dass viele Leserinnen und Leser ihre je eigene Geschichte darin erkennen. Doch Delphine selbst scheint nun in ein Loch zu fallen. Kein schlechtes Setting, um seelische Tiefenbohrungen an einer Autor-Persona vorzunehmen – nur machen Drehbuchautor Olivier Assayas und Regisseur Roman Polanski lieber einen platten Psychothriller daraus. Wer einen gewissen David-Fincher-Film gesehen hat oder eine bestimmte Fernsehserie von Sam Esmail, durchschaut die Inszenierung des bald 85-jährigen Polanski von Anbeginn.

In Filmminute drei taucht Delphines Adorantin Elle auf, eine schöne, enigmatische jüngere Frau. Ab Minute sechs wird sie zudringlich, ab gefühlt Minute zwölf parasitär. Elle ist Ghostwriterin von Beruf, sie schreibt Biografien von Popstars oder Politikerinnen. Es entspinnt sich ein an „Single White Female“ bzw. an Stellen an Stephen Kings „Misery“ erinnerndes und auch formal anscheinend in den achtziger Jahren hängen gebliebenes Abhängigkeits-Szenario in bürgerlichem Edel-Dekor, zugleich wird ein an implausiblen Plotwendungen nicht armes Ablenkungsmanöver durchdekliniert. Wer den finalen Twist antizipiert, prüft den restlichen Film hindurch nur mehr, wie der Bauplan der Manipulation funktioniert.

Wie oft bei Polanski verschwimmen die Grenzen zwischen Realem und Imaginärem, wie gewohnt führt das Ende mit dem Zirkel zurück zum Anfang. Leider lässt er in seinem neuen Vexierspiel die narrative Finesse von The Ghost Writer (2010) genauso vermissen wie die Furiosität des Psychoduells in Venus im Pelz (2013). Man schätzt die mutige Entblößungs-Attitüde, mit der seine Gattin Emmanuelle Seigner ihre Delphine anlegt; man kann sich denken, was die fabelhafte Eva Green an der Rolle der kritischen Verehrerin gereizt hat, obzwar sie lange wenig mehr als ein grimassierendes Lächeln aufsetzen darf; man muss nur Clouds of Sils Maria gesehen haben, um Olivier Assayas’ Interesse an der Adaption des Romans „D’après une histoire vraie“ von Delphine de Vigan zu begreifen; und Polanskis eigene Erfahrungen mit wahnhaften Kammerspiel-Entfremdungen reichen immerhin bis Repulsion (1965) und Rosemary’s Baby (1968) zurück. Doch an die Qualität solcher Werke erinnert hier nur eine einzige starke Traumsequenz. Stattdessen wird man den Eindruck nicht los, ein Ghostwriter habe sich an dem Stoff ausgetobt.