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Ulrich Seidl, Veronica Kaup-Hasler

Kulturpolitik

Mehr Mut zum Risiko

| Andreas Ungerböck :: Roman Scheiber |
Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und Filmemacher und Produzent Ulrich Seidl im Gespräch über Filmförderung, Kinos und Festivals

Frau Kaup-Hasler, was hat Sie bewogen, das Amt anzunehmen bzw. wie ist es dazu gekommen?
Veronica Kaup-Hasler:
Meine Verzweiflung über den Zustand des Landes war in den letzten Jahren so groß, dass ich keine gute Begründung gefunden hätte, diesen Posten nicht anzunehmen, bei dem man positiv etwas verändern kann. Zumal wir uns in der Kultur, aber auch in anderen Positionen, ja immer Quereinsteiger wünschen. Für mich ist es eine sehr spannende Aufgabe, die kreatives Denken voraussetzt und fördert.

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Ich war gerade dabei, ein Projekt mit dem bildenden Künstler Walid Raad zu machen, der beim steirischen herbst zum Thema europäische Kulturgüter und deren Export in die arabische Welt gearbeitet hatte. Dazu wollten mein Lebenspartner Claus Philipp und ich ein Buch machen, waren in Athen, um daran zu arbeiten, und als ich aus dem Flieger stieg, hatte ich einige Nachrichten auf meinem Handy, ich möge mich doch beim designierten Bürgermeister Michael Ludwig melden. Das habe ich getan, und er fragte mich, ob ich gerne für die Stadt als Kulturstadträtin arbeiten würde. Zuerst musste  ich lachen – das war ein Jobangebot, mit dem ich am wenigsten gerechnet hatte. Aber ich habe es auch gleichzeitig als spannende Herausforderung wahrgenommen, vor allem wenn man bedenkt, dass in den vergangenen Jahren überall wichtige Entscheidungen von Kulturpolitikern getroffen wurden, die Konsequenzen nach sich gezogen haben, wie z. B. in der Frage der Besetzung der Berliner Volksbühne. Gerade deshalb bereue ich es keine Sekunde, mich auf dieses neue und dabei doch sehr vertraute Terrain gewagt zu haben. Ich will den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und die Ermöglichung von Kunst nun mit besseren Mitteln fortsetzen. Vor allem, wenn man sieht, welche künstlerische Vielfalt wir in Österreich haben. Ich habe mich selbst nie als Künstlerin gesehen, sondern vielmehr als jemand, der neue Räume und Möglichkeiten schafft.

Haben Sie Herrn Ludwig gefragt, wie er auf Sie gekommen ist?
Kaup-Hasler:
Er hatte einen sehr guten Einblick in meine Arbeit, und wir haben sehr schnell inhaltlich geredet. Ich habe ihm auch bei der Gelegenheit mitgeteilt, dass ich kein Parteimitglied bin und es dabei auch belassen möchte, was für ihn absolut kein Problem war. Das rechne ich ihm hoch an, vor allem weil es ihm meiner Meinung nach eine hohe Glaubwürdigkeit bei jenen Menschen verschafft, die sich nie auf eine Partei festlegen konnten oder wollten.

Sie sprechen von „Kampf“. Wer sind denn die Gegner?
Kaup-Hasler:
Das ist ja das Schwierige an einem Dschungel, dass er von außen sehr schön aussieht, aber drinnen allerlei Gefahren und Gegner lauern, auf die man mitunter nicht vorbereitet ist. Das Wichtigste ist wohl, dass man mit einem mutigen Herz hineingeht. Ich habe nichts zu verlieren, ich habe, glaube ich, nur etwas zu gewinnen.

Herr Seidl, eine etwas allgemeine Frage: Wie sehen Sie die Kulturpolitik Wiens, besonders im Hinblick auf den Film?
Ulrich Seidl:
Ich glaube, das kann man nur im Gesamten betrachten, da es ja keinen österreichischen Film gibt, der allein von Wiener Förderstellen finanziert wird. Es sind ja immer mehrere Instanzen an einem Filmprojekt beteiligt. Für mich ist die Situation besorgniserregend, da wir immer mehr dazu übergehen, Filme des Mittelmaßes zu produzieren. Zweck einer Filmförderung ist es aber meiner Meinung nach, Filme zu fördern, die sich im Sinne einer Kinokultur international messen können. Es kann nicht darum gehen, Inhalte profitorientiert in leicht konsumierbare, fernsehtaugliche Formate zu verpacken. Ich sehe die Gefahr, dass wir das Renommee, das wir uns über Jahrzehnte erarbeitet haben, verlieren. Ich bin ja auch Produzent und sehe an den Nachwuchs-Filmemachern, dass es inzwischen wahnsinnig schwierig ist, ungewöhnliche Filme in diesem Land finanziert zu bekommen. Ja, alle Filme, die ich in den vergangenen 30 Jahren gemacht habe, wurden vom ÖFI, der Stadt Wien, dem ORF und durch etwaige Länderförderungen finanziert, aber das bröckelt seit langer Zeit. Eine Förderstelle sagt zu, die andere sagt ab, weil sie eher leichte Kost bevorzugt. Also kann man mit der ersten Zusage nichts anfangen. Es gibt hier keine Einigkeit mehr, weil man nicht mehr vor Augen hat, welche Filme wichtig sind und gemacht gehören.

Ist das Ihrer Meinung nach eine Frage des Mutes oder der Kompetenz, seitens der Förderstellen?
Seidl:
Es ist natürlich immer die Frage, welche Richtlinien ich als Verantwortlicher habe, und welche Auswahlkommission ich bestelle. Diese entscheiden oft über Jahre hinweg, und dann ist es natürlich oft zu spät, wenn man einmal einen bestimmten Weg eingeschlagen hat.

Kaup-Hasler: Das ist ein wichtiger Punkt, den ich in den kommenden Jahren gestalten möchte, denn ich finde, wir müssen auch fördern, was avanciert ist und mit einem künstlerischen Anspruch verbunden ist.

Seidl: Nach den heutigen Kriterien würden weder Michael Haneke noch ich einen nächsten Film machen. Hanekes Filme hatten anfangs kaum Publikum, und wir alle wissen, wo er heute steht. Bei mir war es ebenso, und ich wurde für meine Arbeiten auch lange angegriffen. So etwas kontinuierlich zu fördern, dafür bedarf es eines gewissen Mutes, der heute fehlt. Beim Filmemachen ist es ja anders als beim Schreiben oder Malen: Wenn man den Film nicht dreht, den man im Kopf hat, lernt man das Handwerk nicht.

Kaup-Hasler: Filmemachen kostet natürlich wesentlich mehr Geld und umfasst oft einen langen Zeitraum.

Seidl: Ja, wenn eine Komponente des Projekts ausfällt, verzögert sich der Film schnell um zwei bis drei Jahre, was sowohl für die Autoren, als auch für Regisseure und Produzenten eine Katastrophe ist.

Es gibt aber auch die Meinung, dass es diese riskanten und provokanten Projekte gar nicht mehr gibt. Wie sehen Sie das?
Seidl:
Ich glaube schon, dass es sie noch gibt, vielleicht sind sie auch rarer als früher, aber es ist ja so, dass das eine das andere bedingt. Wenn ein junger Filmemacher ein Drehbuch vorlegt und ihm gesagt wird, wie er es umschreiben soll, damit dann nach zwei Jahren ein Film gedreht werden kann, der nichts mehr mit seiner eigentlichen Idee zu tun hat, dann kann da am Ende natürlich nichts Kraftvolles herauskommen.

Was halten Sie von der Form des Guerilla-Filmemachens, des Filmdrehs abseits der Fördergelder, das ein Comeback feiert?
Seidl:
Wir arbeiten gerade an einem Film eines Regisseurs in unserer Produktionsfirma, der genau zwei solche, auch erfolgreiche Filme gemacht hat, also bewiesen hat, dass er ein Talent ist, und dennoch ist sein Projekt hierzulande kaum finanzierbar.

Kaup-Hasler: Diese Arbeitsweise führt allerdings auch dazu, dass man sehr viel produziert, um aufzufallen und versucht, eine quantitative Dichte zu schaffen, dabei aber für immer schlechtere Arbeitsbedingungen sorgt und die Qualität nachlässt, da man nicht mehr die Möglichkeit hat, in die Tiefe zu gehen. Wir müssen mit dem Blick auf das Potenzial, das da ist, einfach bessere Rahmenbedingungen schaffen.

Herr Seidl, Sie kritisieren die Auswahljurys. Finden Sie alternative Modelle sinnvoll, etwa das berühmte „skandinavische Prinzip“ mit nur einer oder einem Verantwortlichen?
Seidl:
Solche Alternativen wurden ja auch vom Österreichischen Filminstitut bereits angedacht, so eine Art Intendanten-Prinzip. Allerdings würde das die Grundproblematik nicht verändern: Hat man einen falschen Blick auf das Ziel und den Zweck von Förderung, werden auch die falschen Filme gefördert, egal ob es von einer Person oder einer Jury entschieden wird. Ist der „Diktator“ schlecht, entstehen die falschen Filme.

Kaup-Hasler: Ich bin für eine große Durchmischung der Jurys und werde mir diese sehr genau anschauen. Es soll eine große Bandbreite geben und es sollen Menschen drinnen sitzen, die auch für jene Filme kämpfen, die es in der Vermarktung in einem zunehmend komplexer gewordenen Filmsektor schwer haben.

Seidl: Es ist ja auch klar definiert, dass die Grundlage des österreichischen Films die Kultur ist. Das ist auch unser Glück, wenn man es z.B. mit Deutschland vergleicht. Der deutsche Film hat, obwohl die Filmindustrie wesentlich größer ist, international einen kleineren Namen als der österreichische, aber der deutsche Markt lebt gut.

Kaup-Hasler: Wenn man den Fernseher aufdreht, sieht man permanent Serien und mediokre Krimis, aber der deutsche Markt ist groß und funktioniert anscheinend. Es geht aber darum, an den Exzellenzen zu arbeiten bzw. sie überhaupt erst möglich zu machen. Das wird man nicht erreichen, wenn man auf das fokussiert, was man sich um 18.30 Uhr im Fernsehen reinziehen kann.

Seidl: Richtig. Es braucht Leute, die Verantwortung übernehmen und etwas bewerkstelligen wollen. Die alles versuchen, damit es zustande kommt und nicht nach dem Motto vorgehen: Ich habe meinen Teil zugesagt, und wenn der Nächste das nicht macht, ist es nicht mein Problem. Auf diese Weise fällt man immer wieder in Löcher. Es braucht jemanden, der sagt: Dieses Projekt muss gemacht werden, und dafür kämpfe ich auch.

Kaup-Hasler: Das ist natürlich eine schwierige Entscheidung, denn ein deutliches Ja zu einem Projekt bedingt auch, dass ich zu einem anderen Projekt dezidiert Nein sagen muss, was mir vielleicht richtig weh tut. Deshalb ist es auch mein Ziel, Partner dafür zu finden, z.B. beim ORF, aber auch bei anderen Instanzen die Fördertöpfe so bereitzustellen, dass kein Kannibalismus ausbricht. Das ist Lobby-Arbeit, die hier betrieben werden muss. Gerade der ORF hat ja auch einen Kulturauftrag zu erfüllen und muss sich hier klar positionieren und von kommerziellen Sendern abgrenzen.

Seidl: Das Budget der Film- und Fernsehförderung des ORF ist ja auch sehr klar definiert und dient der Förderung des österreichischen Films bei Erwerb der Lizenzrechte. Das liegt ja nicht im normalen Budget. Filme, die man zur Hauptsendezeit zeigen kann, aus diesem Topf zu fördern, das ist der falsche Weg.

Kaup-Hasler: Aber vielleicht sollten, ganz utopisch gedacht, auch diese anspruchsvollen Filme im Hauptabendprogramm gezeigt werden und nicht um 2 Uhr früh.

Seidl: Man hält das Publikum, was das betrifft, für unmündig und sagt, dass man ihm solche Filme im Hauptabendprogramm nicht zumuten kann. Anderes kann man ihm jedoch sehr wohl zumuten.

Kaup-Hasler: Das kann man ja dosieren. Filme dieser Art werden ja nicht jeden Tag gespielt. Geförderte, vielleicht als schwierig geltende Filme könnte man ja auch im Zuge von Themenabenden zeigen, und an anderen Abenden gibt es kommerzielle Filme zu sehen. Es ist ja alles eine Frage der Mischung des Menüs. Es ist auch sehr okay, dass manche umschalten, andere zieht es aber genauso an. Man kann auf jeden Fall auch ein klareres Profil kommunizieren. Im Radiobereich passiert das ja bereits bei Ö1 oder auch bei FM4. Hier sieht man: Es werden andere Inhalte diskutiert und es werden Menschen Gespräche zugemutet.

Die Kluft zwischen Kunst und Kommerz gab es ja immer schon, aber es scheint, als wäre sie in den jüngsten Jahren größer geworden. Sehen Sie das ähnlich?
Seidl: Es gibt unter den heimischen Produzenten zwei Positionen: jene, die Filme rein für den österreichischen Markt machen wollen, und jene, die wie wir Filme machen wollen, die sich international messen können. Wenn man jedoch Filme nur für dieses Land machen möchte, bedarf es keiner Kulturförderung. Was dazu kommt: Auch die Filme, die produziert werden, um mainstreammäßig abzuräumen, haben keine Erfolgsgarantie. Die Tendenz dieser Position ist es, weniger Filme für mehr Geld zu machen. Meine Position ist, viel mehr Filme mit weniger Geld zu machen, um den Nachwuchs zu fördern. Wenn man immer größere, kommerzielle Filme macht, steigt ja auch der Druck, davon immer mehr zu machen. Und da muss man sich schon auch fragen, wer dafür gesorgt hat, dass der österreichische Film im Ausland das Ansehen genießt, das er heute hat.

Kaup-Hasler: Es wäre schön, wenn man den Wert eines Films nicht nur an den Einspielergebnissen misst. Aber das passiert ohnehin nicht. Wir sind so dankbar für bestimmte Werke, die nie große monetäre Rückflüsse eingebracht haben. Menschen, die im experimentellen Film tätig sind, die Kunst von enormer Wichtigkeit produzieren, deren Arbeit aber in keinster Weise verwertbar ist. Sollen die aufhören? Nein, aber sie sind schwer einordenbar. Das wird sicher ein Thema meiner Gespräche sein, und ich werde dabei immer für die Kunst sprechen.

Seidl: Es gibt das Problem, dass es einen großen Kuchen gibt, von dem alle etwas haben wollen und bei dem große kommerzielle Produktionen alles daran setzen, ein möglichst großes Stück zu bekommen. Ich bin auch nicht grundsätzlich dagegen, aber es geht nicht, zu sagen: Wir machen ausschließlich das.

Kaup-Hasler: Es geht um eine leichte Verschiebung der Prioritäten, denn auch die kann schon viel bewirken.

Die Stadt Wien leistet sich ziemlich viel Kinoförderung. Sehen Sie die Programmkino-Szene gut aufgestellt?
Kaup-Hasler:
Kinos sind nicht nur Wirtschaftsbetriebe, sondern auch Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Orte der Begegnung. Gerade angesichts einer Entwicklung, in der Streaming und die Verfügbarkeit von Filmen, Serien etc. über diverse Anbieter zum Alltag gehören, sind Kinos als Orte des gemeinsamen Erlebens – auch von eventuell kommerziell weniger verwertbaren Filmen – unabdingbar und demnach schützenswert. Wien hat daher bereits vor vielen Jahren beschlossen, als eine von wenigen Städten Europas überhaupt, ihre Arthouse-Kinos zu unterstützen und damit die Vielfalt zu erhalten. Darüber hinaus gibt es mit dem Gartenbau-, dem Stadtkino, dem Metro und dem Filmmuseum Standorte, die viel für die Filmvermittlung, Archivierung und wissenschaftliche Aufarbeitung leisten; sie sind daher ausreichend auszustatten.

Seidl: Man muss abstufen. In Wien gibt es im Vergleich zu anderen Städten tolle Spielräume, aber wir wissen auch, dass das Arthouse-Kino in seiner heutigen Form bereits verkommerzialisiert wurde und dass auch die Programmkinos schon lange keine Filme mehr spielen, die ein Risiko darstellen. Es gibt viele gute Filme, die gar nicht zu uns kommen, einfach, weil sie keiner spielen möchte.

Kaup-Hasler: Die Arthouse-Kinos müssen wieder ihre Einzigartigkeit herausstellen. Mein Wunsch wäre, dass man hier die Profilierung schärft und es mehr Filmvermittlung in Schulen und ähnliches gibt.

Seidl: Ein gutes Beispiel dafür war das Stadtkino, in dem ich Kulturgeschichte gelernt habe.

Diesen Zweck, den Sie ansprechen, mit riskanterer Programmierung und Begegnung zwischen den Menschen und auch mit vermittelnder Funktion, erfüllen ja momentan vor allem Filmfestivals, von denen es immer mehr gibt.
Kaup-Hasler:
Man würde sich halt wünschen, dass die Leute, die sich bei der Viennale um Karten drängen, auch danach so engagiert ins Kino gehen. Dieser Run zeigt aber immerhin, wie hungrig die Leute auf anspruchsvolle Filme sind.

Seidl: Es gibt auch eine Institution, die in den vergangenen 15 Jahren gezeigt hat, dass es möglich ist: das Österreichische Filmmuseum, das regelmäßig ausverkauft ist. Das Publikum ist da, man muss es nur richtig machen, dann kommen die Leute auch.

Kaup-Hasler: Und da hat Alexander Horwath wirklich beharrlich und unermüdlich an einem Publikum gearbeitet. – Wir können natürlich nicht alle Kinos fördern, und man muss sich anschauen, wie man das am besten hinbekommt. Das werden alles spannende Aufgaben für mich sein, aber Ziel ist vordergründig, diese Vielfalt an Programmkinos zu erhalten. In Berlin beispielsweise muss man lang gehen, bis man ein Arthouse-Kino findet, was gerade in einer Stadt wie Berlin absurd ist, in der so viele Kunstschaffende leben und arbeiten.