Styx

Filmkritik

Styx

| Alexandra Seitz |

Stellt der Umstand, dass Menschen nicht mehr aus Seenot gerettet werden, einen Zivilisationsbruch dar?

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In ihrem Urlaub unternimmt die deutsche Notärztin Rike einen Einhandsegeltörn von Gibraltar nach Ascension Island. Am Morgen nach einem Sturm findet sie sich auf ihrer Yacht in der Nähe eines mit Flüchtlingen überladenen, havarierten Fischkutters wieder. Sie setzt die Routinen der Rettung in Gang – doch die gelten nicht für alle.

In Wolfgang Fischers Styx geht es um Leben oder Tod; es geht ums physische Überleben für jene auf dem leckgeschlagenen rostigen Eimer und ums moralisch-ethische für Rike auf ihrem höchst eleganten und komplett ausgestatteten Segler. Das Dilemma beginnt bereits damit, dass die Ärztin/Seglerin Abstand halten muss, weil ihr Boot zu klein ist, die Schiffbrüchigen aufzunehmen. Und es wird keineswegs einfacher, als sie einen Jungen vor dem Ertrinken rettet, Kingsley, der in seiner Todesverzweiflung den Sprung ins Wasser wagte. Gemeinsam sind sie nun dazu verurteilt, abzuwarten und zu beobachten. Und es ist nicht das geringste Verdienst von Fischers Film, zu verdeutlichen, welchen nicht wieder gut zu machenden Schaden diese von Außen aufgezwungene Grausamkeit des Geschehenlassenmüssens in den beiden Menschen anrichtet. Dabei wird das, was passiert, in quasi abstrakte Bildmuster aufgelöst, die Begegnung übersetzt in Blicke, Gesten, Handlungen von existenzieller Natur und Dringlichkeit: Da ist das Wasser und das Wetter, da sind die beiden Boote – und die Frau und der Junge. Das ist die Kernkonstellation, in die die Außenwelt nur dringt in Form von Funksprüchen, die abwiegeln, verzögern, ihre Nichtzuständigkeit erklären oder ihr Unvermögen.

Mit Susanne Wolff in der Rolle Rikes trägt eine Schauspielerin diesen Film, die keine Worte braucht, um die Aufmerksamkeit eines Publikums aufs Höchste gespannt zu halten; zudem kann sie als Blauwasserseglerin mit internationalem Segelschein auf ureigenste Bewegungsmuster zurückgreifen. An Wolffs Seite gibt Gedion Oduor Wekesa, der in Kibera, einem Slum in Nairobi, aufgewachsen ist, als Kingsley sein überzeugendes Schauspieldebüt. Mit Ausnahme der Sturmszene wurde Styx auf offenem Meer unter realen Bedingungen gedreht, Ton und Geräusche sind original, die Takes sind lang und geduldig, beteiligte Laiendarsteller und hinzugezogene Berater brachten ihre Erfahrungen aus der Seenotrettung und Flüchtlingshilfe mit und ein. Entstanden ist auf diese Weise nicht nur ein unheimlich authentischer Film, sondern auch ein schmerzlich aufrichtiger.