Filmkritik

Climax

| Benjamin Moldenhauer |

Seit seinem ersten Langfilm Seul contre tous lebt das Werk des Regisseurs Gaspar Noé von einem etwas zwanghaft wirkenden provokativen Gestus. Philosophisch anmutende Bedeutsamkeitssuggestionen (die Einblendung „Time destroys everything“ am Ende von Irreversible beispielsweise) konnten nicht kaschieren, dass hier jemand vor allem erst einmal austeilte: Gewalt, Drogen, sexualisierte Gewalt, Inzest, wieder Gewalt, ununterbrochen. Das war effektiv, aber auch leicht zu durchschauen: Wenn man gefühlte sechs Stunden Wirbelkamera, fiese Sub-Bässe und maximal laute Schmerzensschreie über sich ergehen lassen muss, wird dem Zuschauer halt übel, das war nun nicht allzu erstaunlich.

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Climax hingegen kommt nicht mehr mit dem geschwungenen Hammer um die Ecke, und das ist nicht nur erleichternd. Die Feinjustierung seiner Mittel ermöglicht Noé eine andere Intensität als bislang. Die klassischen Ingredienzen sind alle da: die bewegliche Kamera, die improvisierten Dialoge, die maximale Lautstärke, ein rot ausgeleuchteter Durchgang als Hinweis auf die kinematografische Hölle, in der die Körper der Figuren kaputtgemacht werden. In Climax aber tickt die Kamera nicht mehr aus, um Würgereiz herzustellen, sondern wird zum konstitutiven Teil einer Choreografie. Und getanzt wird viel in der ersten Filmhälfte, bevor alles schrecklich wird. Ein Tanzensem-ble feiert nach einer Probe, in die Bowle hat jemand heimlich LSD gemischt; eine knappe Stunde Filmzeit später dann nur noch Paranoia, Verzweiflung und Gewalt. Bei aller Grausamkeit sind die Bilder hier nicht schwer und erdrückend, sondern von einer Leichtigkeit, die dem, was man da sieht, irritierend widerspricht.

Man merkt Noés Film die Lust am eigenen Medium an. Und die Kamera kann mit einem Mal ausweichen, anstatt draufzuhalten, wenn zum Beispiel jemand in Flammen aufgeht. Auch was mit dem Kind, das das Gleiche getrunken hat wie die Erwachsenen, in der dunklen Kammer geschieht, hört man nur und muss es nicht sehen. Einzelne Spielereien (der Abspann kommt zu Beginn des Films, zwei Sinnsprüche, die im Kontext dieses Films aber bewusst ironisch wirken) fallen mit einem Mal nicht weiter auf. Den transgressiven Gestus, zwangsläufig nahe an der Peinlichkeit gebaut, hat Gaspar Noé beibehalten. Gleich zu Anfang werden per Bildzitat die Referenzen aufgerufen, die implizit mitschwingen: Andrej Zulawskis Posession beispielsweise, Pasolinis Salò oder Suspiria von Dario Argento. Damit stellt sich Gaspar Noé selbstbewusst in die Tradition des europäischen Skandalfilms, und verhebt sich dabei zum ersten Mal nicht.