Filmkritik

Leto

| Andreas Ungerböck |
Liebevolle Hommage an die Leningrader Rockszene der achtziger Jahre

Kirill Serebrennikows Film erregte dieses Jahr beim Festival in Cannes großes Aufsehen – nicht nur wegen seiner künstlerischen Qualitäten, sondern auch wegen der Tatsache, dass der Regisseur, der auch ein bekannter Theatermann ist, seit 2017 unter Hausarrest steht und auf einen Prozess wegen der angeblichen „Veruntreuung von Staatsgeldern“ wartet. Zahlreiche Prominente im Westen, darunter Cate Blanchett haben – vergeblich – an Wladimir Putin appelliert, dem unbequemen Künstler, der auch zuvor immer wieder aneckte (u.a. 2013 wegen eines geplanten Tschaikowsky-Biopics), seine Freiheit zurückzugeben.

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In seinem Schwarzweißfilm Leto („Sommer“), in dem auch Animationen vorkommen, Schauspieler sich direkt ans Publikum wenden und schon mal ein ganzer, voll besetzter Autobus Iggy Pops „The Passenger“ schmettert, setzt Serebrennikov dem wohl größten sowjetischen Rockstar ein Denkmal: Wiktor Zoi, der 1962 geborene Sohn eines Koreaners und einer Russin, der 1982 seinen ersten Auftritt im Leningrader Rockclub hatte, danach seine Band „Kino“ gründete und nur acht Jahre später bei einem Autounfall tragisch ums Leben kam, stieg mit seinen unangepassten Texten und seiner recht heftigen Musik zum Pop-Idol der sowjetischen Jugend auf. Vor allem in der Ära Gorbatschow ab 1985 traf er eindeutig einen Nerv und formulierte massiv den Wunsch nach „Veränderung“.

Man kann davon ausgehen, dass der 1969 geborene Serebrennikow ein Fan von „Kino“ war. Das merkt man an der Liebe und der Hingabe, mit der diese Annäherung gestaltet ist. Von einem Biopic zu sprechen, wäre völlig verfehlt, denn der Film nimmt sich viele Freiheiten (so war der „rebellische“ Zoi – anders als im Film – bereits mit 23 Jahren brav verheiratet), mischt Fakten und Fiktion, und nicht einmal die Musik im Film stammt von der Originalband. Darum geht es aber auch gar nicht, sondern vielmehr um ein Lebensgefühl, um einen Zustand zwischen Ohnmacht und Allmacht, zwischen der Begeisterung für die kultisch verehrten Helden aus dem Westen (T. Rex, Dylan, die Talking Heads, David Bowie) und dem Versuch, im lokalen Rockclub einen Auftritt zu bekommen. Das zeitigt auch herrlich komische Szenen, etwa wenn die dortige Ideologiebeauftragte überredet werden muss, Zoi spielen zu lassen, obwohl seine Texte nicht wirklich kompatibel mit der sowjetischen Auffassung von Rockmusik sind. Leto ist erfrischend und originell, melancholisch und fröhlich und eine willkommene Abwechslung zum gängigen Musiker-Biopic-Einheitsbrei.