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Rare Exports

Rare Exports

Eine Weihnachtsgeschichte

| Axel Estein |

Der Weihnachtsmann nicht als gütiger Geschenkebringer, sondern als garstiger Kinderverschlinger.

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Weihnachten ist in erster Linie das Fest der Liebe zum System des Kapitalismus. Das zeigt Hollywood immer wieder. Neu ist, dass der Weihnachtsmann, entgegen üblicher familienfreundlicher Gepflogenheiten, eine arge Schreckensgestalt ist und zum Schluss, zusammen mit seinen Knechten, nicht nur in Schokoladenform, sondern höchstselbst, versilbert werden soll.

Zwar bedient sich Regisseur Jalmari Helander herkömmlicher Erzähltechniken, Spannungsmuster und anderer Kinostandards, die er aus dem großen Warenlager des Grusel- und Action- und Fantasy-Kinos zusammenrafft – doch gelingt ihm eine Überraschung: Er bürstet in seinem großartigem Spielfilmdebüt den Mythos des Weihnachtsmanns, den er auf seine heidnischen Wurzeln zurückführt, so heftig gegen den Strich, dass selbst Rudie das Rentier vor Schmerzen wiehert. Santa ist hier nicht der liebe, gütige Geschenkebringer, sondern ein im Dunkeln hausender, garstiger Kinderverschlinger, ein gehörnter Gesell, ein vorchristlicher Moloch gar. Deshalb haben vor Jahrhunderten die Samen ihren Samichlaus aufs Eis gelockt und über dem See, in dem er versunken ist, einen ganzen Berg aufgeschüttet. Nun aber ist im hohen Norden Finnlands ein ausländisches Bohrteam dabei, sein Eisgrab wieder freizulegen.

Damit beginnt für den kleinen Filmhelden, aus dessen Perspektive der Film erzählt wird, eine sehr dunkle, sehr unheimliche und sehr unheilige Initiationsgeschichte: Nightmare Before Christmas. Denn nach der nächtlichen Durchforstung alter Chroniken und Sagenbücher besteht für ihn kein Zweifel mehr, dass die am Fuß des angebohrten Berges wie von tollwütigen Bestien abgeschlachtete Rentierherde auf das Konto des dem frostigen Verlies entsprungenen Bad Santa und seiner widerwärtigen Schergen geht. Wie es sich für einen guten Kinderfilm gehört, sind es die wachen Sinne und der noch unverstellte Blick des Jungen auf die Realität, die ihn die Zeichen richtig deuten lassen – lange vor den Erwachsenen, die selbst dann noch nicht erkennen, was um sie herum geschieht, als sämtliche Kinder des Dorfes verschwunden und gegen Reisigpuppen ausgetauscht sind.

Die lieben Kleinen werden zweifellos ihre helle Freude an diesem leicht splatterigen Weihnachtshorror und einer doppelten Hundertschaft nackter, hässlicher alter Männer haben. Die märchenhaft-poetische Schreckensphantasie Rare Exports ist ein probates Mittel gegen alle manischen Seeligkeits- und Kitschoffensiven der besinnlichen Zeit. Beste mürrisch-raue, finster-wunderliche Finnenexotik, die unbedingt in die ganze Welt exportiert gehört.