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James Franco - 127 hours

127 Hours – Wieder etwas gelernt

Wieder etwas gelernt

| Pamela Jahn |

Ein Naturbursche mag James Franco nicht sein, aber seine jüngste Hauptrolle in „127 Hours“ absolviert er erneut mit Bravour. Der umtriebige, aufstrebende Schauspieler, Regisseur, Autor und Dauerstudent im Gespräch.

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Nachdem Sie Aron Ralstons Schicksal bis ins Detail durchgespielt haben, können Sie sich tatsächlich vorstellen, sich den Arm abzutrennen?
James Franco:
Ich denke, dass sich diese Frage viele Leute stellen, wenn sie den Film gesehen haben. Aber die Frage ist ja im Grunde nicht, ob ich es tun könnte, sondern ob jeder von uns es tun könnte, wenn er in die Situation gerät. Und Danny wollte mit dem Film erreichen, uns das Gefühl zu geben, dass es tatsächlich möglich ist. Deshalb zeigt er Aron hier auch nicht als den professionellen Bergsteiger, der einen 7000er besteigt, obwohl Aron das sonst auch tut, und zwar im Winter und allein. Aber als er im Canyon unterwegs ist, wo er sich auskennt, da wird er leichtfertig, und dann passiert’s. Sein Arm wird von einem Felsbrocken eingeklemmt, und er steckt fest. Und was ihn über diese fünf Tage Hölle zusammenhält, ist etwas, was die meisten von uns nachempfinden können. Ihm wird auf einmal bewusst, wie wichtig und nah ihm seine Familie und seine Liebsten sind. Das gibt ihm letztlich die Kraft und den Mut, sich den Arm abzutrennen. Nun gehe ich mal davon aus, dass keiner von uns tatsächlich je in eine derart prekäre Situation gerät, in der wir gezwungen sind, diese Entscheidung zu treffen. Aber falls doch, denke ich, dass wir alle es zumindest versuchen würden. Das heißt nicht, dass wir dabei auch so erfolgreich wären wie Aron, also das Ganze technisch so gut hinbekommen würden, aber versuchen würden wir es allemal.

Wie intensiv haben sie sich im Vorfeld mit der Person Aron Ralston auseinandergesetzt? Wie lief die Zusammenarbeit mit ihm?
James Franco: Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht und Aron hat uns haargenau und Schritt für Schritt erzählt, wie er die Sache erlebt hat. Tagelang haben wir jedes einzelne Detail mit ihm besprochen, zum Beispiel, wie und wo er die Karabinerhaken befestigte und dergleichen, und dann haben wir die Originalvideos zusammen angeschaut, die er damals aufgezeichnet hat. Das war natürlich alles sehr intensiv. Aber Danny hatte auch eine ganz spezielle Vorstellung davon, wie ich die Rolle angehen sollte. Er wollte nicht, dass ich jede Aron-Ralston-Geste einfach nachahme. Ihm war es sehr wichtig, dass wir beim Drehen unsere eigene Erfahrung machen. Zwar haben wir uns weitestgehend sehr konsequent an die Tatsachen und an Arons Beschreibungen gehalten. Aber wenn es dann zum Beispiel im Drehbuch hieß, an der und der Stelle versucht Aron, mit dem Messer Stückchen vom Felsbrocken abzuhauen, dann stand da nicht, wie genau ich das Messer halten sollte oder wie oft ich zuzustechen hatte, sondern Danny meinte: „Los, mach’s halt.“ So wie Aron es in seiner Verzweiflung auch einfach versucht hat. Und Danny hatte recht, auf diese Weise wirkt das Ganze letztendlich viel realer und aus dem Bauch heraus – zumindest habe ich versucht, das so rüberzubringen.

Sind Sie privat auch ein solcher Naturbursche? Lieben Sie das
Risiko?
James Franco: Oh nein. Danny hat während der Dreharbeiten mal gesagt, Aron und ich hätten die gleiche Ruhelosigkeit im Blut. Er meinte, wir würden uns beide für unendlich viele Dinge interessieren, die uns pausenlos beschäftigt hielten. Aber das ist so ziemlich die einzige Gemeinsamkeit, die mich mit Aron verbindet. Ich mag zwar Natur, und als wir zum ersten Mal an die Originalschauplätze außerhalb von Moab fuhren, war ich hin und weg von der Schönheit der Landschaft. Da ist schon beeindruckend. Und ich kann auch schon verstehen, warum manche Menschen soviel Zeit und Energie darin investieren zu lernen, wie man klettert, um dann ständig neue Gegenden auszukundschaften … Aber für mich ist das nichts, ich habe dafür keine Zeit.

Das verwundert kaum. Immerhin sind Sie nicht nur Schauspieler, sondern auch Regisseur, und soeben ist in den USA Ihr erstes Buch erschienen. Zudem haben Sie vor kurzem ein Diplom in Kreativem Schreiben an der Columbia University abgeschlossen, und für dieses Jahr hat man Ihnen eine Dozentenstelle in Yale zugesagt …
James Franco: Ja, stimmt. Allerdings hat mich Columbia ein bisschen dafür bestraft, dass ich 127 Hours gemacht habe, das heißt, ich werde erst dieses Semester komplett fertig.

Was haben Sie stattdessen bei diesem Film gelernt?
James Franco: Die Arbeit mit Danny Boyle war eine transformative Erfahrung für mich. Zudem war es das erste Mal, dass ich die Hauptrolle in einem Film gespielt habe, in dem es fast keine anderen Schauspieler gibt. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf die Dynamik am Set. Normalerweise hat man als Schauspieler ja ein Gegenüber, einen anderen Schauspieler, auf den man sich konzentriert und mit dem man agiert, und aus dem Zusammenspiel ergibt sich dann die Szene. Wenn das fehlt, hat man die Kamera halt direkt im Gesicht. Und Danny hatte diese superkleinen Kameras, die er schon für Slumdog Millionaire verwendet hat. Die sind unheimlich mobil, und so konnten wir teilweise extrem lange Szenen drehen, bis zu 15, 20, 25 Minuten am Stück. Das heißt, die Kameras waren um mich herum ständig in Bewegung, während ich feststeckte und meinen Part absolvierte. Da kam es mir manchmal vor, als würden die Kameras mit mir tanzen. Und daran muss man sich erst mal gewöhnen.

War es dabei nicht schwer, sich in diese totale Einsamkeit zu versetzen?
James Franco: Nein, das Drehbuch war ja gut, und einige Szenen sind wirklich großartig. Und man redet ja sonst auch mit sich, wenn man allein ist – also ich tue das jedenfalls gelegentlich. [Lacht.] Und so ähnlich kann man sich das hier auch erst mal vorstellen. Die Besonderheit ist natürlich, dass Aron für fünf Tage mutterseelenallein zubringt mit wenig Aussicht auf Rettung. Aber da muss man als Schauspieler dann sagen: „Okay, ich weiß ungefähr, wie sich das anfühlen könnte.“ Und dann steigt man in die Rolle ein und zieht die Sache durch.

Vor Aron Ralston haben Sie bereits mehrmals real existierende Personen verkörpert, darunter Filmikone James Dean und den Beat-Dichter Allen Ginsberg. Bevorzugen Sie diese Rollen gegenüber fiktiven Charakteren?
James Franco: Bevorzugen ist vielleicht zu viel gesagt, aber es stimmt schon, ich spiele sehr gern reale Personen. Allerdings muss man damit auch vorsichtig sein. Man darf zum Beispiel nicht nur Berühmtheiten spielen, damit macht man sich ganz schnell lächerlich, denke ich. Aber Aron Ralston zu spielen und Allen Ginsberg, das sind ja zwei völlig verschiedene Dinge, obwohl es sich bei beiden um reale Personen handelt. Und das wiederum finde ich extrem spannend.

Wann führen Sie wieder selbst Regie?
James Franco: Ich bin gerade dabei, einen kleinen Film über den amerikanischen Dichter Hart Crane zu drehen. Crane hat sich 1932 umgebracht, indem er von Bord eines Schiffes in den Golf von Mexiko sprang. Er zählt zu den einflussreichsten Dichtern seiner Zeit, der Künstler wie Ginsberg und Tennessee Williams beeinflusst hat. Ich führe Regie und spiele Crane.

Gibt es unter den Regisseuren, mit denen Sie bisher gedreht haben, jemanden, der Sie in Ihrer Arbeit als Filmemacher beeinflusst hat?
James Franco: Man lernt von allen etwas, glaube ich. Und ich hatte das große Glück, mit den Besten zusammenarbeiten zu dürfen. Gus Van Sant und Danny Boyle sind zwei meiner Lieblingsregisseure. Wahrscheinlich hatte Gus bisher den größten Einfluss auf die Art und Weise, wie ich arbeite. Aber das Erstaunliche an Danny ist seine Originalität, wie er seine Stoffe auswählt und was er damit anstellt, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, sich in dem, was er tut, zu wiederholen. 127 Hours, zum Beispiel, ist eine tolle Geschichte, aber es ist eben auch eine Geschichte über einen Typen, der die meiste Zeit in einer einzigen Location feststeckt. Also hat Danny sich die Frage stellen müssen: „Wie schaffe ich es, dass das Ganze spannend wird?“ Das heißt, er ist automatisch gezwungen, neue Mittel und Wege zu finden, um eine gewisse Dynamik zu erzeugen. Und diese Kunst, sich zu verändern und seine Grenzen auszuloten, indem man die eigene Kreativität ständig neu herausfordert, die versteht nicht jeder. Davor habe ich unheimlichen Respekt.