Endlich wieder im Kino: Die 68. Ausgabe der Oberhausener Kurzfilmtage 2022 fand endlich wieder live vor Publikum statt.
„Kurzfilmtage, das ist in diesem Jahr 600 Mal eine andere Sicht auf die Welt, die nicht nur eine Geschichte kennt“, beendete Festivalleiter Lars Henrik Gass seine Eröffnungsrede zum Auftakt der 68. Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen. Darüber, diese Perspektiven endlich wieder im Kinosaal auf großer Leinwand erleben und danach miteinander ins Gespräch zu kommen, freuten sich Publikum und Filmschaffende nach zwei Corona-Jahren gleichemaßen. Nach einem viertägigen digitalen Auftakt boten die Kurzfilmtage vom 4. bis zum 9. Mai dazu reichlich Gelegenheit vor Ort. Rund 600 Kurzfilme aus über 70 Ländern wurden in sieben Wettbewerben und weiteren Programmsektionen gezeigt, was auch 800 internationale Fachbesucherinnen und -besucher ins Ruhrgebiet lockte.
Zum Abschluss wurden Preise im Gesamtwert von 48.250 Euro vergeben, darunter auch an eine Produktion aus Österreich: Die Wiener Regisseurin Christiana Perschon porträtiert in „Sekundenarbeiten“ die 95-jährige Künstlerin Lieselott Beschorner, die 1951 als eine der ersten Frauen Mitglied der Wiener Secession wurde. 70 Jahre später besucht die Regisseurin die Künstlerin auf ihrem Dachboden. Mit ihrer alten Bolex fängt Perschon auf 16mm ein, wie spontan und in wenigen Augenblicken abstrakte Kunstwerke auf Papier entstehen. Die Einstellungen der von Kohle geschwärzter Finger, die innehalten und dann in Aktion treten, eröffnen den Blick auf Gebrechlichkeit und Schaffenskraft der 95-Jährigen. Lange Schwarzblenden, in denen die Kamera wieder aufgezogen werden muss, dienen als Folie für einen generationenübergreifenden Dialog zwischen beiden Künstlerinnen. Durch die Oberhausener Auszeichnung konkurriert „Sekundenarbeiten“ in der Kategorie Kurzfilm bei den 35. European Film Awards, die am 10. Dezember in Reykjavík vergeben werden. Das ungewöhnliche Portrtät erhielt außerdem eine lobende Erwähnung der Jury des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
Im Internationalen Wettbewerb ging der Große Preis der Stadt Oberhausen sowie der Preis der Internationalen Filmkritik an „Weathering Heights“ der schwedischen Regisseurin Hannah Wiker Wikström. Die skandinavische Waldlandschaft verklärt sich darin zu einem mythischen Ort, den eine unheimliche Atmosphäre durchwabert. Der düstere Experimentalfilm kulminiert in Nahaufnahmen zweier Körper, die gänzlich überzogen von Schleim, miteinander verschmelzen. Welche Blickwinkel wir hier einnehmen und ob diese überhaupt noch menschlich sind, bleibt offen und fluide.
Der Länderfokus widmete sich in diesem Jahr dem litauischen Kurzfilm, die Profile boten Werkschauen etablierter Kurzfilmschaffender wie Rainer Komers (Deutschland), Morgan Fisher (USA), Sohrab Hura (Indien), Shalimar Preuss (Frankreich), Sylvia Schedelbauer (Deutschland/Japan) oder Eszter Szabó (Ungarn). Das Thema holte Teile des schon 2020 kuratierten Programms „Solidarität als Störung“ online nach, bot unter dem aktuellen Titel „Synchronisieren! Pan-afrikanische Filmnetzwerke“ aber auch seltene und ungewöhnliche Einblicke in das Kurzfilmschaffen Afrikas. In der Sektion „Four-Perspectives“ stellten schließlich die Mitgliedsfestivals des Europäischen Kurzfilmnetzwerks Programme zum Thema Bewegung vor, darunter auch das in Wien ansässige Festival Vienna Shorts.