Die Aufbereitung der NS-Vergangenheit im Spielfilm war schon immer ein konfliktreiches Feld. Die aktuellen Filme zu dieser Thematik werden die Diskussion um einige Kapitel bereichern.
Ein Beitrag des ARD-Kulturmagazins ttt – titel, thesen, temperamente befasste sich unlängst mit einer speziellen eBay-Nische, die man noch vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Auf der virtuellen Auktionsplattform wird nämlich schwunghafter Handel mit privaten Fotos aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs betrieben. Diese Bilder, zumeist von Wehrmachtssoldaten während ihres Urlaubs von der Ostfront aufgenommen, zeigen unter anderem Szenen aus den Ghettos, die von den Nationalsozialisten für die aus Europa deportierten Juden errichtet worden waren. Und diese Bilder zeigen, das muss jedem mit einem Mindestmaß an historischer Bildung längst klar sein, auch jene Menschen, die bald darauf in den Konzentrationslagern dem nationalsozialistischen Rassenwahnsinn zum Opfer fielen. Obwohl man über die Identität der Käufer nur spekulieren kann, liegt schon allein auf Grund des reißenden Absatzes, den die Bilder mittlerweile finden, die Vermutung nahe, dass es sich dabei keineswegs nur um unverbesserliche Holocaust-Leugner oder einschlägige Neo-Nazis handelt. Sondern in der Mehrzahl um Menschen, die derartige Bilder vielleicht tatsächlich aus historischem Interesse sammeln oder, wie es ttt formuliert, „aus einer zynischen Lust am realen Schrecken“ – dabei jedoch in jedem Fall einen erschütternd unbedarften Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus pflegen. Was zwangsläufig die Frage aufwirft, ob zumindest Teile aus der Generation der Enkel und Urenkel der NS-Vergangenheit mit einer Mischung aus Unwissenheit, Unbefangenheit und Gedankenlosigkeit begegnen, die jene Zeit als eine von vielen Kapiteln der Geschichte ansieht und für die sich ein Bild aus dem Warschauer Ghetto in der historischen Dimension nicht mehr von einem beliebigen Schnappschuss aus der Weimarer Republik oder der Donaumonarchie unterscheidet.
Die Pietätlosigkeit eines derartigen Handels, um es einmal zurückhaltend zu formulieren, mag ein Kapitel für sich sein, doch angesichts der aktuellen Kinostarts, bei denen sich eine ganze Reihe von Filmen auf höchst unterschiedliche Art und Weise mit der NS-Zeit und dem Holocaust auseinandersetzen, drängt sich auch die Frage auf, wie der Kultur- und Unterhaltungsbetrieb mit derartigen Themen umgeht. Zwar entzündeten sich im Vorfeld von Bryan Singers Operation Walküre heftige Diskussionen ob der Eignung von Tom Cruise für die Rolle des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, doch der Diskurs, wer in der Befassung mit dem Nationalsozialismus was können darf, hat eine lange Tradition; der Kampf um die Deutungshoheit entbrennt dabei mit schöner Regelmäßigkeit. Das Meinungsspektrum war diesbezüglich erwartungsgemäß extrem breit gefächert und reichte von jenen Positionen, die, insbesondere im Zusammenhang mit dem Holocaust, nahezu jeder künstlerischen Aufarbeitung die Möglichkeit absprachen, der Dimension des Verbrechens und dem Leid der Opfer auch nur annähernd gerecht werden zu können, bis hin zum vor allem in jüngster Vergangenheit vertretenen Standpunkt, man müsse sich gerade auch diesem historischen Kapitel mit den Mitteln einer spannenden Dramaturgie annähern dürfen, um es für jüngere Generationen, denen es vielleicht an Geschichtsbewusstsein mangelt, wieder auf die Agenda zu setzen. Wobei beide Positionierungen nicht unproblematisch sind. Erstere verlangt von einer künstlerischen Arbeit nahezu Unmögliches, denn natürlich kann keine auch noch so seriöse und historisch exakte Inszenierung die furchtbare Dimension der Shoa in ihrem ganzen Ausmaß wiedergeben, noch ersetzt sie die Kenntnis der historischen Fakten. Sie muss sich zwangsläufig darauf beschränken, nur einen Ausschnitt zu thematisieren, doch bereits daraus den grundsätzlichen Vorwurf eines unsensiblen Umgangs zu konstruieren, würde in letzter Konsequenz bedeuten, die Behandlung prekärer historischer Themen auf die Geschichtswissenschaft zu beschränken. Die zweite Position läuft hingegen Gefahr, den Boden für eine Unterhaltungsindustrie zu bereiten, die Zeitgeschichte bloß als Setting für spannend aufbereitete, gut konsumierbare Produkte benützt, damit eine Marginalisierung der nationalsozialistischen Epoche in Kauf zu nehmen und einem unbedarften Umgang Vorschub zu leisten. Anhand von drei aktuellen Filmen lassen sich die kontroversiellen Ansichten zu diesem Themenkomplex und die Problematiken diverser Annäherungen an die Zeit des Nationalsozialismus geradezu beispielhaft aufzeigen.
Adam Resurrected – Mein Leben als Hund
Basierend auf Yoram Kaniuks Roman erzählt Adam Resurrected die Geschichte des jüdischen Varieté-Künstlers Adam Stein (Jeff Goldblum), im Berlin der wilden Zwanziger Jahre Publikumsliebling mit übersinnlichen Kräften, nach der Machtergreifung der Nazis jedoch einer von vielen Verfolgten. Adam wird mit seiner Familie ins Konzentrationslager deportiert, dessen sadistischer Kommandant (Willem Dafoe) ihm aus einer Laune heraus die Möglichkeit gibt, sein Leben zu retten: Adam muss vorgeben, ein Hund zu sein und dem Kommandanten als solcher zu dienen.
Jahre nach Kriegsende lebt Adam als Patient eines Sanatoriums für traumatisierte Holocaust-Opfer mitten in der israelischen Wüste. Doch Adam, obwohl psychisch gezeichnet, ist auch eine charismatische Persönlichkeit, die andere Menschen auf fast hypnotische Weise in ihren Bann zu ziehen versteht. Auch seinen Körper vermag Adam auf unerklärliche Weise zu manipulieren, indem er etwa bei sich selbst Blutungen hervorruft. Der schmerzvollen Vergangenheit entzieht er sich durch diverse Clownerien, die er seinen Mitpatienten und Ärzten gegenüber abliefert. Doch eines Tages kommt ein neuer Patient in die Klinik, ein Bub, der so lange wie ein Hund behandelt wurde, dass er nun glaubt, tatsächlich einer zu sein. Adam gewinnt nach und nach das Vertrauen des Jungen, verhilft ihm dazu, sich wieder als Mensch zu fühlen und in die Welt zurückzukehren – ein Prozess, den schlussendlich auch er selbst durchlaufen wird.
Was immer Schraders Intention gewesen sein mochte: Der Versuch, eine seltsame Mischung aus Mystik, Groteske und Holocaust zu bewerkstelligen, erweist sich als veritabler Fehlschlag. Adam Resurrected bleibt ein merkwürdiger Film, bei dem man sich wiederholt des Eindrucks nicht erwehren kann, dass Zeitgeschichte hier in erster Linie als Kulisse für einen reichlich bizarren Plot, angereichert mit fantastischen Elementen, herhalten muss. Glaubwürdigkeitsdefizite sammelt Adam Resurrected schon einmal mit dem Protagonisten Adam Stein, denn eine Figur mit übersinnlichen Kräften und der Fähigkeit zur Körpermanipulation würde wohl besser in eine Folge der X-Files als in ein Holocaust-Drama passen. Zudem, und das sind die schlimmeren Unzulänglichkeiten des Films, tappt Adam Resurrected in nahezu jede sich auftuende Klischeefalle: Die traumatisierten Überlebenden treten als Ansammlung kauziger Typen, angereichert mit der pflichtgemäßen Dosis an Tragik auf, die es sich im Mikrokosmos der abgeschiedenen Klinik, gleich Thomas Manns Zauberberg, recht beschaulich eingerichtet haben. In der Rolle des Lagerkommandanten chargiert Willem Dafoe als archetypischer, vom Cäsarenwahnsinn angekratzter Bösewicht, eine Darstellung, die Gefahr läuft, die Monstrosität des Völkermordes auf die Dimension populärkulturell erprobter Schurkenhaftigkeit zu reduzieren.
Adam Resurrected bleibt ein sich zwischen fragwürdigen Metaphern, unangenehmen Voyeurismen und bemühter Betroffenheit bewegender Hybrid; zudem fragt man fragt sich, warum ein Regisseur wie Paul Schrader, der mit Patty Hearst und Mishima seine Fähigkeit, mit zeitgeschichtlichen Themen und Figuren umzugehen, eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, nur einen derartig missratenen und fragwürdigen Zugang zum Thema Holocaust gefunden hat.
Der Vorleser – Aus einem deutschen Leben
Im Nachkriegsdeutschland des Jahres 1958 lernt der 15-jährige Michael Berg auf dem Heimweg von der Schule die Straßenbahn-Schaffnerin Hanna Schmitz kennen. Aus der zufälligen Begegnung wird eine leidenschaftliche Affäre, für Michael, der mehr und mehr dem herben Charme der fast zwanzig Jahre älteren Hannah verfallen ist, werden die ersten erotischen Erlebnisse seines Lebens zu einer prägenden Erfahrung. Und die Beziehung entwickelt ein besonderes Ritual, das zu einem festen Bestandteil der Treffen wird: Hanna lässt sich von Michael aus Werken der klassischen Literatur vorlesen. Doch eines Tages ist Hanna ohne ein Wort der Erklärung verschwunden.
Jahre später beobachtet Michael, mittlerweile Jura-Student, einen der Kriegsverbrecher-Prozesse der Sechziger Jahre. Zu seinem Entsetzen entdeckt er auf der Anklagebank Hanna. Sie war als Mitglied des SS-Gefolges Aufseherin in Auschwitz. Ihr und den Mitangeklagten wird zur Last gelegt, im Zuge eines Häftlingstransports 300 Juden in eine Kirche gesperrt und, als das Gebäude bei einem Bombenangriff in Brand geriet, die versperrten Türen nicht geöffnet zu haben und damit den Tod der Menschen verschuldet zu haben. Hannas Verantwortung, ihre Aufgabe sei nun einmal die Bewachung der Häftlinge gewesen, und vor allem ihre Unfähigkeit, irgendeine Form von Schuld einzugestehen, findet Michael zutiefst erschütternd. Doch als die Frage der Befehlsgewalt anhand einer Unterschrift geklärt werden soll, nimmt die zunächst leugnende Hanna die Hauptverantwortung unvermutet auf sich. Nur Michael wird klar, dass Hanna Analphabetin ist, die Befehlsgewalt gar nicht haben konnte, doch das Eingeständnis, nicht Lesen und Schreiben zu können, erscheint ihr offenbar schlimmer, als die Verantwortung für den Masenmord übernehmen zu müssen. Obwohl Michael tiefe Verachtung für Hannas Verbrechen empfindet, einer persönlichen Konfrontation mit ihr lange ausweicht, kann er sich emotional doch nicht ganz von ihr lösen. Und so liest er Bücher auf Tonbandkassetten ein, die er der zu lebenslanger Haft verurteilten Hanna ins Gefängnis schickt.
Die filmische Umsetzung des gleichnamigen Erfolgsromans von Bernhard Schlink hat eine gehörige Vorlaufzeit in Anspruch genommen, doch gut getan hat diese lange Entstehungsgeschichte dem Endprodukt nicht. Zwar greift Der Vorleser Themen wie Schuld, Verantwortung und die gesellschaftliche Notwendigkeit, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen auf, doch tut er dies primär über die Liebesgeschichte seiner Protagonisten. Gegen einen solchen dramaturgischen Kunstgriff wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, doch nimmt die Liebesgeschichte mit all ihren emotionalen Höhen und Tiefen zusehends so breiten Raum ein, dass die historischen Fragen in den Hintergrund treten und auf die Funktion dramaturgischer Richtungspfeile reduziert werden. Zudem schleicht sich jene spätestens seit Kurt Waldheim auch hierzulande sattsam bekannte Position ein, man habe doch nur seine Pflicht erfüllt und sei dadurch pauschal von persönlicher Verantwortung entbunden. Dies wird jedoch in Der Vorleser streckenweise, und hier wird es wirklich bedenklich, nicht bloß als Bestandsaufnahme präsentiert, sondern in genau jener apologetischen Form, die seit den Sechziger Jahren berechtigterweise heftig kritisiert wird. Dass der Film damit genau jener Position Vorschub leistet, die er vorgibt, hinterfragen zu wollen, bleibt seine größte Schwäche. Das Leben, so die mehr als fragwürdige Schlussfolgerung, kann einen schon an unterschiedliche Plätze hinstellen. Ob als harmlose Schaffnerin in der Bundesrepublik Adenauers oder als KZ-Aufseherin im Dritten Reich Hitlers bleibt weitgehend eine Laune des Schicksals. Dass der Film derartige Rechtfertigungen zumindest auf einer psychologischen Ebene (nicht zuletzt durch Kate Winsletts famose Darstellung der Hanna Schmitz) nachvollziehbar erscheinen lässt, macht die Sache aber nur noch perfider.
Defiance – Leben und sterben lassen
Nach der Besetzung ihrer weißrussischen Heimat durch die Nazis und der damit einsetzenden Judenverfolgung fliehen die Brüder Tuvia (Daniel Craig), Zus (Liev Schreiber) und Asael Bielski (Jamie Moore) in die undurchdringlichen Wälder und schwören Rache für die Ermordung ihrer Eltern. Weil sich die Bielski-Brüder als sehr tatkräftig erweisen, stoßen bald viele ihre jüdischen Landsleute zu ihnen, in der Hoffnung, Schutz vor Verfolgung zu finden. Die Bielskis beginnen das Leben unter schwierigsten Bedingungen zu organisieren, ihre Gruppe nimmt schließlich als eigenständige Partisanen-Brigade den Kampf gegen Wehrmacht und SS auf.
Defiance widmet sich, basierend auf der wahren Geschichte der Brüder Bielski, deren Gruppe das Leben von 1200 Juden rettete, einem bislang durchaus vernachlässigten Kapitel der Zeitgeschichte, dem bewaffneten jüdischen Widerstand gegen die Nazis. Mit seinen stringenten Handlungsfäden und Konfliktsituationen folgt Defiance erprobten dramaturgischen Mustern, Edward Zwicks Inszenierung agiert überraschend unsentimental, zeigt den täglichen Überlebenskampf mit all seinen Schrecklichkeiten ohne falsches Pathos und reduziert die Kampf- und Schlachtsequenzen auf ein vernünftiges Maß. Seine Protagonisten zeigt Zwick keineswegs als glamouröse Helden; überhaupt agiert das gesamte Ensemble, von Daniel Craig abwärts, bemerkenswert unprätentiös.
Defiance ist eine durchaus respektabel in Szene gesetzte True Story, die jedoch eine verhängnisvolle und vor allem historisch völlig falsche Implikation mit sich bringen könnte, nämlich dass Juden mit Mut, Courage und ein wenig Glück durchaus Chancen hatten, dem Holocaust zu entkommen. Das mag zwar für einige Wenige, wie die Bielski-Brüder, zutreffend gewesen sein, doch mehr als sechs Millionen Juden hatten, wie jeder Volksschüler wissen müsste, nicht die geringste Möglichkeit, dem von den Nazis organisierten Völkermord zu entkommen.
Die Fragen, in welcher Form die Zeit des Nationalsozialismus und der Holocaust Gegenstände von Spielfilmen sein können und dürfen, werden selbstverständlich nicht abreißen. Die Diskussion als solche spiegelt aber in gewisser Weise auch den allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs über diese Themen wider. Die Bandbreite ist dabei traditionell weit und reicht von jener übergroßen politischen Korrektheit, die es nicht einmal wagt, das Wort Jude auszusprechen (und sich mit Hilfskonstruktionen wie „jüdische Mitbürger“ zu helfen versucht), über die alltäglich erlebbaren Unbedarftheiten bis hin zu den Verharmlosungen und Leugnungen der immer noch existierenden Überzeugungstäter. Auch der narrative Film wird sich, sobald er das Thema aufgreift, immer wieder einer Vielfalt an Meinungen und Auffassungen stellen und sich einer kritischen Überprüfung unterziehen müssen. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der lange vor seinem Kinostart zerpflückte Operation Walküre – vornehmlich von jener Fraktion, die sich im Besitz der alleinigen Deutungshoheit in Sachen NS-Erinnerungen glaubt – mit seiner nüchternen, streckenweise spröden Anatomie des Stauffenberg-Attentats als die weitaus gelungenste Arbeit der aktuellen Filme zum Thema NS oder Holocaust erwiesen hat.
Selbstverständlich kann und muss es dem narrativen Film erlaubt sein, sich auch schwieriger historischer Themen anzunehmen. Und selbstverständlich darf er dabei auch individuelle Schicksale und singuläre Aspekte aufgreifen, ohne sich gleich vorab den Stempel der Banalisierung oder Marginalisierung aufdrücken lassen zu müssen. Dass ein solcher Zugang keineswegs historische Kenntnisse mit dem Wissen um komplexe Zusammenhänge ersetzen kann, sollte ohnehin klar sein. Dass eine Bewertung solcher Filme nicht bloß nach ästhetischen und dramaturgischen Gesichtspunkten erfolgen kann, ebenfalls. Ob zwischen puristischem Dokudrama und unbedarfter Ausbeutung der Vergangenheit, die in Richtung Nazi-Pop geht, Platz für künstlerisch anspruchsvolle und historisch adäquate Arbeiten ist, kann ohnehin nur von Fall zu Fall beurteilt werden. Man wird nur genau hinschauen müssen.