ray Filmmagazin » Dossier » Zerbrechende Welten

Dossier Australien – Zerbrechende Welten

Zerbrechende Welten

| Jörg Schiffauer |

Mit „Mad Max“ und „The Last Wave“ trug das australische Kino den globalen Weltuntergangsvisionen Rechnung – und verhalf sich damit zum internationalen Durchbruch.

Der Kalte Krieg hatte seine Spuren in der kollektiven Psyche hinterlassen. Das Vernichtungspotenzial, das von den mit Atomwaffen gefüllten Arsenalen der USA und der Sowjetunion ausging, beeinflusste die Stimmungslage der Nachkriegsgenerationen nachhaltig, die Vision vom „nuklearen Holocaust“ als Folge eines latent drohenden Dritten Weltkriegs wurde zur Schreckensvision. Ereignisse wie die Kuba-Krise, Vietnam und der dauerhafte Krisenherd Nahost trugen dazu bei, dass derartige Szenarien nicht bloß diffuse Angstträume blieben, sondern Gegenstand des (tages-)politischen Diskurses wurden. Die sich in den Siebziger Jahren formierende ökologische Bewegung begann, die katas-trophalen Auswirkungen einer zügellos wachsenden Industriegesellschaft auf die Umwelt ins Bewusstsein zu bringen, einer Gesellschaft, der durch die Ölkrise von 1973 ohnehin die Grenzen deutlich aufgezeigt worden waren. Die Welt schien also permanent am Abgrund zu stehen, mit dem damit einhergehende Ende (oder zumindest dem gewaltigen Umbruch) bestehender gesellschaftlicher, zivilisatorischer und staatlicher Ordnungen. Es entstand ein Klima latenter Verunsicherung, die mit der so genannten „No Future“-Generation auch ihre zeitgeistige Ausprägung fand.

Derartige Stimmungslagen fanden natürlich auch ihren Niederschlag in der Populärkultur. Hollywood begann schon bald, die Vorstellungen der modernen Apokalypse eifrig aufzugreifen: ob in Form eines Melodramas (On the Beach, 1959), als metaphorische Science-Fiction-Geschichte (Planet of the Apes, 1968), veritable Horrorvision (The Omega Man, 1971) oder als Dystopie (Soylent Green, 1973), die Weltuntergangsfantasien ließen sich prächtig in gängigen Genre-Formen aufarbeiten, ehe diverse postapokalyptische Szenarien in den Achtziger Jahren endgültig im Exploitation-Kino ausgeschlachtet wurden. Auch der aufblühende australische Film der Siebziger Jahre kam um das Thema nicht herum. Doch während Hollywood den Weltuntergangsängsten mit traditionellen Erzählmustern begegnete und den Zerfall der Zivilisation durchwegs mit konventionellen, handfesten Ursachen erklärte – sei es Atomkrieg, rasantes Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung oder ein verantwortungsloser Umgang mit Wissenschaft und Technik – näherten sich zwei australische Produktionen, Mad Max und The Last Wave dem Stoff auf subtilere Art und Weise an. Und es war nicht zuletzt der Erfolg dieser beiden Filme, der entscheidend dazu beigetragen hat, dass das Filmland Down Under nicht mehr nur als regionale Werkstätte für Qualitätskino galt, sondern ihm weltweite Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil wurde.

Straßen der Angst – Mad Max

Setzt man sich mit Filmen auseinander, die postapokalyptische Szenarien abhandeln, wird man unweigerlich auf Mad Max (1979) stoßen. Der von George Miller inszenierte Film wurde nicht nur zum internationalen Kassenschlager und verhalf seinem Hauptdarsteller Mel Gibson in Folge zum Superstar-Status, Mad Max wurde gleichsam zum Synonym für dieses Subgenre. Miller zeigt ein Australien, in dem sich staatliche Strukturen langsam aufzulösen beginnen. In den größeren Städten herrscht ein noch einigermaßen geordnetes Leben, doch auf den Landstraßen in der australischen Weite beginnen sich zusehends Anarchie und Faustrecht durchzusetzen. Eine Spezialtruppe der Polizei versucht, die Ordnung halbwegs aufrechtzuerhalten, doch gegen die zunehmende Zahl von Rowdys, Gangs und Kriminellen wird ihre Aufgabe immer schwieriger und gefährlicher. Der Polizist Max, moralisch gefestigt und idealistisch, zählt zu den besten Männern der Truppe, doch sein Dienst wird zum täglichen Kleinkrieg, bei dem es ihm immer schwerer fällt, seine Integrität aufrecht zu erhalten. Sein Freund und Kollege fällt einer Motorradbande zum Opfer, und als Max selbst zur Zielscheibe der Gang wird, kostet dies seine Frau und seinen kleinen Sohn das Leben. Max bricht endgültig mit seinem Wertesystem und mutiert zum gnadenlosen Racheengel – jenseits von Recht und Gesetz.

Einhergehend mit seinem weltweiten Erfolgszug erwarb sich Mad Max schnell eine Reputation als effektiver, mit beeindruckend in Szene gesetzten Autoverfolgungsjagden bestückter Action-Film, doch es würde zu kurz greifen, Mad Max darauf zu reduzieren. Denn George Millers Inszenierung bezieht ihre Stärken weniger aus spektakulären Action-Sequenzen als aus einer beunruhigenden, latent bedrohlichen Atmosphäre, die vielmehr durch geschickte Aussparungen und Ambiguitäten als mit expliziten Action-Sequenzen erzeugt wird. So erfährt man nie, was denn eigentlich den zunehmenden Zerfall der staatlichen Ordnung ausgelöst hat. Definitiv ist kein Atomkrieg oder ähnliches dafür verantwortlich, es scheint eher ein schleichend um sich greifender Prozess zu sein, der das bestehende System bürgerlicher Ordnung langsam diffundiert. Es ist keine durch äußere Umstände verursachte  Katastrophe mit den damit einhergehenden Extremsituationen, die die Welt in ihrer bestehenden Form bedroht, sondern ein langsamer Verlust staatlicher (Kontroll-) Gewalt, der schnell aufzeigt, wie dünn die zivilisatorische Decke geworden ist, unter der archaische Verhaltensmuster fernab jeglicher Humanität hervorzubrechen drohen. Wie Landsknechte im Dreißigjährigen Krieg zieht die besagte Motorrad-Gang über das Land, einen scheinbar rechtfreien Raum, den man ganz nach persönlichem Gutdünken plündern, verwüsten oder verschonen kann. Anhand des Protagonisten Max wird deutlich, wie gefährlich die-se Art von moralischem Vakuum für jeden einzelnen werden kann. Max selbst bringt es bereits auf den Punkt, als er überlegt den Polizeidienst zu quittieren: „Dieser Teufelszirkus da draußen fängt an mir zu gefallen.“ Max erkennt, wie nahe er selbst daran ist, ethische Grundsätze über Bord zu werfen, eine Grenze, die er nach der Ermordung seiner Familie zu überschreiten bereit ist. Am Ende wird Max in seinem Wunsch nach Vergeltung ebenso rücksichtslos und gewalttätig agieren wie jene amoralischen Gestalten, von denen er sich doch eigentlich immer hatte fernhalten wollen. Die Welt ist, was den bisher gültigen Wertekodex und die Moral angeht, damit endgültig zerbrochen.

Die neue Sintflut – The Last Wave

Auf den ersten Blick eher unspektakulär und kryptisch, jedoch mindestens ebenso effektiv setzt sich Peter Weir in The Last Wave (1977) mit  seiner Vision vom Weltuntergang auseinander. Der Anwalt David Burton (Richard Chamberlain) verteidigt eine Gruppe Aborigines, die beschuldigt wird, einen ihrer Stammesbrüder getötet zu haben. Doch Burton erscheint einiges mysteriös an dem Fall, er glaubt, die Hintergründe der Tat stünden im Zusammenhang mit den Stammesriten der australischen Ureinwohner. Doch im Zug seiner Recherchen wird der Anwalt immer tiefer in die für ihn so fremde mys-tische Welt der Aborigines mit ihren Ritualen und Jahrtausende alten Traditionen hineingezogen. Er wird immer wieder von Albträumen geplagt, und als ungewohnt heftige Regenfälle nicht enden wollen, glaubt Burton voraussehen zu können, dass seine Heimatstadt Sydney von der Vernichtung durch eine gigantische Flutwelle bedroht ist.

The Last Wave besticht vor allem durch eine intensive, suggestive Atmosphäre, die die Spannung zwischen dem rational geprägten Denken Burtons und der Spiritualität der Aborigines bewusst in den Vordergrund rückt und damit geschickt seine Spannungsbögen aufzubauen versteht. Die Inszenierung setzt dabei auf Andeutungen und eine Reihe rätselhafter Wendungen anstelle konventionell stringenter Handlungslinien, um damit den inneren Konflikt und die zunehmende Verunsicherung des Protagonisten anschaulich zu machen. Und ebenso wie Burton beginnt der Zuschauer darüber zu rätseln, was denn nun Imagination, Angstvorstellung oder reale Bedrohung sein könnte. Denn, zumindest soviel wird David Burton im Verlauf des Geschehens klar, seine bislang so wohl geordnete und vermeintlich sichere Welt gerät unvermutet aus den Fugen und ist einer Bedrohung ausgesetzt. Welcher Art diese Bedrohung genau ist, kann der Anwalt lange Zeit nicht festmachen (zumindest erscheinen ihm seine Vermutungen zunächst unmöglich), doch er bemerkt schnell, dass er mit jenen Antworten die ihm seine Welt, die ihm vertraute Form der Zivilisation, offerieren kann, nicht weiterkommt. Wasser, in vielen Kulturen Symbol des Lebens und der Vitalität, wird von Anfang an zu einer Art Menetekel des bevorstehenden Untergangs von Burtons vertrauter Welt. So sehr er auch versucht, inmitten all seiner Zweifel und Verunsicherungen einen Ausweg zu finden, der Bruch seiner Welt ist nicht aufzuhalten – am Ende wird sich das von David Burton für nicht möglich Gehaltene bewahrheiten, er wird sich hilflos einer riesigen Welle, die wie aus dem Nichts auftaucht, gegenübersehen.