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Adrienn Pál

Adrienn Pál

| Reinhard Bradatsch |

Eine Krankenschwester begibt sich auf die Suche nach ihrer ehemaligen Schulfreundin.

Wie so oft starrt Piroska auf die Wand mit den dutzenden Monitoren, auf denen ausschlagende Sinuskurven wie Wellen dahinfließen. Manchmal gesellt sich zum monotonen Piepen ein schriller Alarm. Wenn die rote Lampe blinkt, stopft Piroska noch schnell die Kuchenreste hinunter und schlurft zum Krankenbett. Wieder ein toter Patient, wieder der Gang in die Pathologie.

Das Sterben ist Teil von Piroskas Alltag. Gegen die fortwährende emotionale Belastung hat sich die füllige Krankenschwester einen Panzer aus Gleichgültigkeit zugelegt, den sie auch im Privatleben nicht ablegt, ihre Ehe mit Kálmán, einem verspielten Egomanen, ist so gut wie am Ende.

Piroskas Arbeitsumfeld ist die Antithese zur Hochglanzästhetik US-amerikanischer Krankenhausserien: Statt schöner Götter in Weiß quälende Routine, Gefühlskälte, Trostlosigkeit. Die bis dahin unbekannte Schauspielerin Éva Gábor spielt die frustrierte Pflegerin mit stoischer Abgeklärtheit. Demütigungen wie die Nörgeleien über ihr Gewicht oder Mobbingversuche ihrer Kolleginnen steckt sie scheinbar unberührt weg. Doch mit einem Mal bringt ein Name alles durcheinander: Adrienn Pál. Eine verstorbene Patientin erinnert Piroska an ihre ehemals beste Schulfreundin. Was ist aus ihr geworden? Lebt sie noch in der gleichen Stadt? Vermisst sie ebenso die gemeinsamen Zeiten?

Die Suche nach dem Lebensmenschen wird zur Schlüsselaufgabe in Piroskas verkorkstem Leben. Nicht einmal die Abschiedsnachricht ihres Gatten auf der Mailbox kann sie von ihrem Weg abbringen. Doch der ist ein verschlungener: Von der betagten Dame über die abgehobene Neureiche bis zum frustrierten Barkellner – sie alle erinnern sich nur in Bruchstücken, und jeder hat sich im Laufe der Zeit sein eigenes Bild zurecht gezimmert. Dafür ist Piroska selbst stärker und positiver im Gedächtnis der Befragten geblieben, als sie es erwartet hätte. Unversehens stehen ihre Persönlichkeit und ihre Gefühle im Mittelpunkt. Und erstmals blitzen Selbst-sicherheit und Optimismus bei der Krankenschwester auf.

Zugegeben, Regisseurin und Drehbuchautorin Ágnes Kocsis ist mit Adrienn Pál kein Meisterwerk gelungen. Der Plot ist vorhersehbar, das Tempo des Films zu langsam. Dennoch berührt das leise inszenierte Drama. Und das ist zu einem Gutteil der grandiosen Hauptdarstellerin zu verdanken. Wem das zu wenig ist: Die kleinen, feinen Sticheleien gegen soziale Verhärtung und bürokratische Strukturen im heutigen Ungarn sind durchaus den einen oder anderen Lacher wert.