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Drive

Drive

Skorpion im Schleudersitz

| Roman Scheiber |

Vom Fahren, Lieben und Töten erzählt der glänzende Neo-Noir-Actionthriller „Drive“. Die erste Hollywood-Inszenierung des Dänen Nicolas Winding Refn (Interview) mit Ryan Gosling in der wortkargen Hauptrolle darf schon jetzt als einer der Filme des Jahres gelten.

I drive.“ So lautet die Standardantwort des namenlosen Helden auf die Frage nach seinem Beruf. Und auch sonst verliert er nicht viele Worte, er hat traurige Augen und einen Zahnstocher im Mund, ist ein ruhiger, bedächtiger, überlegt reagierender Typ. Tagsüber arbeitet er in einer Autowerkstatt und erledigt Stunt-Jobs für die Action-Film-Industrie. Doch erst in der Nacht erreicht sein Konzentrationspegel den Höhepunkt: Als Chauffeur von Fluchtfahrzeugen bringt er Einbrecher vom Tatort durch das Straßenlabyrinth von Los Angeles in Sicherheit. Seine souveräne Selbstkontrolle und seine feinmechanischen Fähigkeiten als Lenker bringen Mentor Shannon (der großartige Bryan Cranston aus Breaking Bad) auf die Idee, ihn als Autorennprofi aufzubauen. Dafür braucht es freilich Finanziers, und die alten Geschäftspartner, die Shannon für den Plan gewinnt, sind leider auch alte Mafiosi (darunter der herrlich gegen den Strich gecastete Comedy-Profi Albert Brooks) – was die Erzählbewegung von Drive von der Straße zu den Kreuzungen seiner Figuren verlagert.

Vom Titel sollte man nicht auf ein Race Movie im Stil von Fast & Furious schließen. Autoverfolgungsjagden gibt es gerade einmal drei, welche man allerdings in dieser Intensität noch nicht gesehen hat: Gleich die Eröffnungs-Fluchtfahrt ist in ihrer Struktur wie ein Schachspiel organisiert, und wie die folgenden eignet ihr eine geradezu gespenstische Sicherheit für die passende Pace, die originellste Perspektive (Kamera: Newton Thomas Sigel) und den perfekten Schnitt (Mat Newman). Mehr noch aber als in seinen sehr plötzlich auftauchenden Kurven schnallt einen dieser faszinierend komponierte und rhythmisierte Film in der präzisen Gefühlsmotorik seiner Figuren an den Kinosessel, verschleiert in keiner Sekunde seinen hochartifiziellen, formelhaften Gestus und übt doch eine stärkere Sogwirkung aus als die meisten massentauglichen Genre-Produkte der jüngeren Zeit. Man möchte regelrecht hingreifen, abtasten, eingreifen, so wundersam ist die haptische Qualität von Drive. Der Regie-Preis in Cannes, der höchsten Festivalinstanz des Autorenkinos, zeugt von der inszenatorischen Brillanz der ersten amerikanischen Produktion des in New York aufgewachsenen gebürtigen Dänen Nicolas Winding Refn.

Drive ist eine Eloge an das Genre des urbanen Thrillers der achtziger Jahre. Im Rückspiegel erscheinen außerdem entfernte Verwandte des von Ryan Gosling stoisch angelegten Loners, wie Steve McQueen in Bullitt (1968, Regie: Peter Yates), Ryan O’Neal in Walter Hills The Driver (1978), aber auch Taxi Driver Travis Bickle, dessen äußerliche Ruhe sich wie beim Fahrer dieses Films als dünn gespannte Schicht über einem Pulverfass erweist. Das Interessante an der Figur ist, dass ihre Geschichte und ihr Hintergrund nie explizit erzählt werden, sich dafür aber umso effektvoller in überraschenden Szenen eruptiver, visuell schwelgerischer Gewalt vermitteln. Eine dieser drei atemraubenden Gewaltszenen, sie spielt sich vor den Augen erstarrter nackter Frauen in einem Stripclub ab, erinnert in ihrer dekadenten Gemäldehaftigkeit an Stanley Kubricks Eyes Wide Shut (1999); eine andere nutzt eine Fahrt im Aufzug, um den Moment größter Nähe zwischen Driver und seinem Love Interest Irene (Carey Mulligan) unmittelbar in einen Notwehr-Exzess überzuführen. Im Lauf der damit anhebenden, epischen Konfrontation mit dem Mob erschließt sich einem, warum der Mann eine goldene Satin-Bomberjacke mit einem Skorpion auf dem Rücken trägt.

Die hypnotisch montierten Straßenzüge und zerzausten Locations von Downtown Los Angeles, tagsüber zumeist in zartes Pastell mit einzelnen hervorstechenden Farb-Akzenten getaucht, glänzen des Nachts in einem Neonlicht wie sonst vielleicht nur in Michael Manns Miami Vice. Doch während bei Michael Mann der coole Held an beiden Ärmeln devote Girls hängen hat, darf Driver als die deutlich wärmere, romantisch beseelte Inkarnation des einsamen Wolfs in Erscheinung treten. Auch indem er eine lyrische Liebesfabel hinzufügt, versucht Drive sich an der Neuerfindung des L.A.-Noir-Subgenres, mit dessen Konventionen er so virtuos spielt. Vor allem aber beweist er über die gesamte Strecke ein eigensinniges und doch vollkommen schlüssiges Takt-Gespür: Keine Dialogzeile ist hier zu wenig oder zu viel, jeder Bildausschnitt hat seinen Zweck.

Eigensinn zeigte Nicolas Winding Refn auch mit Walhalla Rising (2009), einem apokalyptischen Wikinger-Epos um einen ähnlich stillen, übernatürlichen Protagonisten wie den Driver. Und auch dort werden zwischen Arthaus und Splatter märchenhafte Bande geknüpft, die in eine atmosphärisch aufgeladene, opak bleibende, existenzialistische Krise münden (der Film mit Mads Mikkelsen fand in Österreich und Deutschland keinen Verleih). Schon für seinen Debütfilm, der ihm bereits mit 24 Jahren zu einer gewissen Bekanntheit verhalf, stand Winding Refn übrigens Mads Mikkelsen zur Verfügung: Pusher (1996, neun Jahre darauf zu einer Trilogie vervollständigt) zeigte schon den Hang zu stilisierter Gewalt, die er später in Filmen wie Bronson (2008) weiter ausfeilte – in letzterem Fall als kubrickeskes Porträt des berühmtesten Gefängnis-Insassen Englands, Michael Peterson, der unter dem Namen der Schauspiel-Legende Charles Bronson seine soziopathische Attitüde wie ein Performance-Künstler auslebt.

Der Motor hinter Drive war dann dessen Hauptdarsteller, Star der Stunde Ryan Gosling, der Winding Refn davon überzeugte, den von Hossein Amini adaptierten Groschenkrimi von James Sallis aus dem Jahr 2005 zu inszenieren. Die daraus entstandenen, makellosen Bilder erhalten wesenhaften Mehrwert durch die dahinter aufgespannte Sound-Tapete: An Elektronik-Soundtracks der Eighties erinnert der Score von Cliff Martinez, zwischendurch kommentieren und ironisieren Songs den Fortgang der Story. Überzeugender als in Drive kann man Pulp und Kunst, Beschaulichkeit und Entsetzen, die USA und Europa im Kino kaum zusammendenken. Und so wird Driver im rührendsten Lied des Films ganz zurecht besungen, wenn er allein im Auto sitzt und durch eine wie für seine Verfasstheit entworfene, vorbeifließende Welt lenkt: „a real human being, and a real hero“.