ray Filmmagazin » Österreich » Blick in den Abgrund
Blick in den Abgrund

Filmkritik

Blick in den Abgrund

| Jörg Schiffauer |
Die ebenso faszinierende wie bedrückende Arbeit der Profiler im Porträt

In der modernen Kriminalistik ist die operative Fallanalyse längst unerlässlicher Bestandteil von Ermittlungen bei komplexen Verbrechen, insbesondere bei Serientätern kommt dieses Instrument bevorzugt zum Einsatz. Profiler und ihre Arbeit haben nicht zuletzt durch eine starke Repräsentanz in der Populärkultur – kaum ein ordentlicher Krimi im Kino oder Fernsehen kommt mittlerweile ohne einen derartigen Spezialisten aus – einen Bekanntheitsgrad erreicht, der weit über das Fachgebiet hinausreicht. Beste Voraussetzungen also, hier einmal einen genaueren Blick hinter die Kulissen zuwerfen. Barbara Eder unternimmt mit ihrem Dokumentarfilm den Versuch, sich einigen dieser Profiler und forensischen Psychiatern zu nähern, begibt sich dazu auf Spurensuche von Südafrika über Finnland bis in die Vereinigten Staaten. Sechs dieser Experten, die im Verlauf ihrer Arbeit mit den tiefsten und schauderbarsten menschlichen Abgründen konfrontiert werden, stehen im Fokus von Blick in den Abgrund. Wobei von Anfang an eine nicht nachvollziehbare Unentschlossenheit im Zugang manifest wird. Regisseurin Eder konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich auf das Profiling selbst oder die Auswirkungen dieser oft belastenden Arbeit auf Psyche und Alltag der Ermittler konzentrieren soll. Insbesondere der formale Zugang, den Blick auf das Privatleben der Protagonisten als begleitende Beobachtung auszugeben, der man aber das laienhafte Re-enactment in jedem Kader ansieht, ist ein wenig fragwürdig. Wenn etwa das Gespräch am Mittagstisch der Familie der bekannten forensischen Psychiaterin Helen Morrison wie auf Kommando rekapituliert, wie der berüchtigte Serienmörder John Wayne Gacy aus dem Gefängnis eine Grußkarte an die Privatadresse der Morrisons schickte, hat das etwas von einer Laienspieltruppe. Zudem hat Barbara Eder bei der Auswahl Porträtierten nicht immer ein glückliches Händchen: Helen Morrison Theorien über ein „Killergen“ erscheinen – vorsichtig formuliert – ein wenig bizarr, ihre finnische Kollegin verbreitet ungeachtet ihrer Profession primär gepflegte Langeweile. Dabei gelingt es Eder immer wieder, höchst spannende Momente einzufangen: Die beiden mittlerweile pensionierten FBI-Beamten Roger Depue und Robert Hazelwood, die Thomas Harris bei der Recherche für seinen Bestseller „The Silence of the Lambs“ berieten, sind sowohl im Anekdotischen – die Sequenz, in der die beiden Szenen aus der Verfilmung des Romans kommentieren zählt zu den Höhepunkten – als auch in der Reflexion ihrer Arbeit faszinierende Gesprächspartner. Wenn ihr südafrikanischer Kollege Gérard Labuschagne im Zuge eines Symposiums einen seiner Fälle präsentiert, ist man angesichts der Grausamkeit des Verbrechens ebenso fassungslos wie Labuschagnes Zuhörer – der Titel von Barbara Eders Dokumentation wird hier programmatisch. Wäre dies durchgehend gelungen, was für ein Film hätte Blick in den Abgrund werden können!