Wes Anderson legt mit „Grand Budapest Hotel“ seinen achten Spielfilm vor und bleibt ganz im Rhythmus: raffiniert, amüsant, sympathisch, ein bisschen bodenlos und verrückt. Wie immer setzt er dabei ein beachtliches Staraufgebot in Szene.
Es ist etwas faul im Staate Zubrowka. Wir schreiben das fiktive Jahr 1932, der Krieg steht kurz bevor, aber Monsieur Gustave H. (Ralph Fiennes) hat ganz andere Sorgen: Als Concierge des Grand Budapest Hotel, einer mondänen Luxusunterkunft von internationalem Rang, ist er stets um das Wohl seiner Gäste bedacht und hat – wie es sich für einen wahren, einen echten Concierge gehört – eine Perfektion darin entwickelt, ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sein lukratives Faible für ältere, vorzugsweise alleinstehende, gut betuchte Damen wird ihm jedoch zum Verhängnis, als die verschrobene Madame D. (Tilda Swinton), ein Stammgast des Hauses und eine äußerst dankbare Freundin Gustaves, ihm nach ihrem so plötzlichen wie fragwürdigen Tod unverhofft das unbezahlbare Gemälde „Jüngling mit Apfel“ vermacht. Bei der Testamentsvollstreckung auf Schloss Lutz, dem Sitz der Familie de Goff von Taxis, kommt es erwartungsgemäß zum Eklat, als die gierigen Angehörigen der alten Dame von deren letztem Willen erfahren, während die Polizei sich unverzüglich auf die Spur nach der rätselhaften Todesursache begibt. Schließlich will man Gustave H. den Mord an Madame D. anhängen, er wird verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, bricht allerdings mit Hilfe seines Lobby-Jungen, des treu ergebenen Zero (Tony Revolori), und dessen Verlobter Agatha (Saoirse Ronan) wieder aus, woraufhin die beiden Hotelfachmänner sich schnurstracks auf die Flucht vor Polizeichef Henckels (Edward Norton) begeben, der sich des Falles höchstpersönlich angenommen hat. Aber auch die rachelüsternen Familienmitglieder der Verstorbenen (allen voran ein herrlich spitzbärtiger Adrien Brody und Willem Dafoe als stummer Handlanger in Ledermontur) wollen nicht Ruhe geben, ehe sie den vermeintlichen Erbschleicher kalt gemacht haben. Und natürlich wollen sie das kostbare Gemälde, das Monsieur Gustave und Zero vor dem Schlamassel noch rasch in ein sicheres Versteck bringen konnten, wieder in ihren Händen halten.
Abenteuerliche Geschichten wie diese sind der Stoff, aus dem Wes Andersons Filme sind: ein wundervolles Märchen um Freundschaft, Liebe und Treue, eingebettet in eine handfeste Komödie mit jeder Menge Actionanleihen und gespickt mit altbekannten und neuen Hollywood-Stars, die wie immer sichtlich Vergnügen an der Sache hatten. Allerdings passiert das alles diesmal nicht unverzüglich im Hier und Jetzt des filmischen Universums von Wes Anderson, sondern wird im Rückblick erzählt, was es dem Regisseur ermöglicht, noch eine weitere Erzählebene mit noch mehr Stars in seine jüngste, wie immer äußerst liebevoll und penibel ausgestattete Kunstwelt einzubauen. Gegen Ende der sechziger Jahre trifft ein junger Autor (Jude Law) während seines Aufenthalts im besagten Grand Budapest Hotel auf den gealterten Zero (F. Murray Abraham), der ihm schweren Herzens die Geschichte erzählt, wie er schließlich in den Besitz des wunderbaren, wenn auch mittlerweile formvollendet sozialistisch abgewirtschafteten Baus gekommen ist.
Gedreht wurde der Film überwiegend im schlesischen Görlitz – „ein idealer Ort, weil so viel Vergangenheit sichtbar ist“, sagt Anderson selbst. Wobei das Geheimnis seines Könnens auch in Grand Budapest Hotel einmal mehr in der Art liegt, wie er seine Geschichte nie aus den Augen verliert, sondern geschickt in Tempo und Rhythmus variiert, um zwischen den Zeilen über die diversen Merkwürdigkeiten des Lebens zu reflektieren. Was zudem das Besondere an der Andersonschen Methode im Umgang mit seinen Darstellern ausmacht, beschreibt Saoirse Ronan, eine der wenigen Neulinge im eingespielten Ensemble, etwa so: „Er ist sehr genau und sorgfältig mit allem, angefangen bei den Kostümen, am Set, bei den Leseproben, bis hin zu Satzteilen in den Dialogen und wie wir uns in den einzelnen Szenen von A nach B bewegen … einfach alles. Als Schauspieler könnte man leicht denken, dass das alles ganz schön nervig und anstrengend sein muss, aber wenn man dann auf jemanden wie Wes Anderson trifft, der eine so unheimlich präzise Vorstellung von dem hat, was er will, und der einen damit komplett in seinen Bann zieht, da gibt es einfach keinen Platz für Verwirrung, Unsicherheit oder Skepsis. Ich habe ihm von vornherein komplett vertraut, und ich denke, es liegt allein an einem selbst, wie gut oder schlecht man die Sache macht.“
Vor allem Ralph Fiennes, der in der Rolle des Monsieur Gustave ebenfalls zum ersten Mal für Wes Anderson sein durchaus bemerkenswertes Komikerpotenzial zum Einsatz bringt, schafft die Balance zwischen Ignoranz und Unsicherheit, Haltung und Verzweiflung, die sich über den Film immer mehr, aber in aller Ruhe verschiebt und aus dem strengen, überheblichen Alleswisser schließlich einen echten Freund macht. Und diesmal geht es bei aller Witzelei und Krimi-Attitüde durchaus auch wieder etwas ernster, melancholischer zu, als das etwa zuletzt in Moonrise Kingdom der Fall war, denn hier wird längst nicht nur um die verstorbene Madame D. getrauert, sondern auch um den Untergang einer faszinierenden, sensiblen, skurrilen, schöngeistigen Welt: des alten Europa mit seiner großen Kultur und seinen herrschaftlichen Residenzen und Herbergen, wie eben dem Grand Budapest Hotel.
Tatsächlich ist der achte Spielfilm des 44-jährigen Texaners wieder ein recht stilechter Wes-Anderson-Coup voller kurioser Ideen, bizarrer Wendungen und exzentrischer Figuren. Und wie fast immer herrscht trotz aller Aufregung eine merkwürdig gespannte Gelassenheit, wirken seine Helden noch bei den alltäglichsten Verrichtungen so, als müssten sie einen Hochseilakt vollführen. Gerade dadurch scheinen seine Film-Märchen nicht selten auf beunruhigend subtile Weise so lebendig und wirklichkeitsnah, obwohl sie stets mit kühner Geste ihre eigene Künstlichkeit zelebrieren. Tilda Swinton fasst es vielleicht am besten zusammen, wenn sie sagt: „Seine Filme sind wie Musik, es gibt für alles einen Ton.“ Dass Wes Anderson dabei immer wieder die richtigen Noten findet, ist ein Glück fürs Kino.