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Saving Mr. Banks

Eine Britin in Entenhausen

| Jörg Schiffauer |
„Saving Mr. Banks“ zeigt die mühsame Entstehung eines Disney-Klassikers als tragikomischen Kulturkampf, ausgefochten von einem exzellenten Schauspielerensemble.

Als die britische Schriftstellerin P. L. Travers (Emma Thompson) auf dem Flughafen von Los Angeles eintrifft, scheinen sich ihre lang gehegten Befürchtungen auf den ersten Blick zu bestätigen. Zwei Jahrzehnte hatte sie alle Angebote des großen Walt Disney (Tom Hanks), der die Rechte an ihrem Erfolgsroman „Mary Poppins“ unbedingt erwerben wollte, abgelehnt, weil sie befürchtete, dass die Verfilmung der Geschichte um das Kindermädchen mit den magischen Fähigkeiten durch das Disney-Unterhaltungsimperium kindisch und oberflächlich ausfallen würde. Doch im Jahr 1961 fließen die Tantiemen nicht mehr so üppig, also nimmt Frau Travers ein wenig widerwillig die Einladung Disneys nach Kalifornien an, um den Deal über die Bühne zu bringen. Doch als sie Disneys Abgesandten – Paul Giamatti zeigt in dieser Nebenrolle, welch wunderbarer Schauspieler er ist – in der Wartehalle erblickt, der ein Schild mit ihrem Namen hochhält, das mit Mickey Mouse verziert ist, erreicht ihre Laune einen Tiefpunkt – zu infantil sind diese Amerikaner. Der Anblick ihrer luxuriösen Hotelsuite schlägt dann alles, hat man doch glatt die wichtigsten Charaktere aus dem Disney-Universum in Form von Stofftieren dort verteilt. Was als herzige Geste gemeint war, trifft so gar nicht den Geschmack von Frau Travers, und so landen Mickey, Donald & Co recht lieblos im Wandschrank. Die Vorzeichen für das erste Treffen von P. L. Travers und Walt Disney stehen also nicht besonders gut.

Clash der Kulturen

Die schwierige Entstehungsgeschichte des späteren Welterfolgs Mary Poppins steht im Zentrum des biografisch angehauchten Saving Mr. Banks. Regisseur John Lee Hancock hat diese Episode aus dem Leben zweier berühmter Persönlichkeiten als großteils heiteren Kampf der Kulturen in Szene gesetzt. Da wäre auf der einen Seite Pamela Lyndon Travers, prototypische Vertreterin des britischen Königreichs: exzentrisch samt einer gewissen Schrulligkeit, selbstbewusst bis hin zum herablassenden Snobismus, kühl-distanziert und vor allem immer die Form wahrend: Die typische amerikanische Angewohnheit, sich immer gleich beim Vornamen zu nennen, ist ihr von Anfang an suspekt – jedem Versuch sie „Pamela“ zu nennen, begegnet sie wiederholt mit einem reserviert-bestimmten: „It’s Mrs. Travers“. Wenn selbst die Sekretärin den mächtigen Mr. Disney einfach  „Walt“ nennen darf, erscheint dies Mrs. Travers fast schon wie ein Sakrileg. Dass Helen Lyndon Goff – so der richtige Name der „Mary Poppins“-Autorin – in Australien, also nicht unbedingt dem Zentrum britischer Lebensart, geboren und aufgewachsen ist und sich ihre Attitüden nach ihrer Übersiedlung nach England gleichsam erst antrainieren musste, ist nur eine der feinen Ironien, die Hancocks Inszenierung geschickt platziert.

Doch hinter P. L. Travers’ extravagantem Auftreten steckt ein durchaus berechtigtes Anliegen, nämlich der Wunsch einer Autorin, dass ihr Buch im Rahmen einer filmischen Adaption adäquat umgesetzt wird. Weil die Verfilmung von „Mary Poppins“ Walt Disney ganz offensichtlich besonders am Herzen lag, hatte Travers vor der endgültigen Überlassung der Filmrechte  – und da dürfte Saving Mr. Banks ziemlich eng an den realen Geschehnissen liegen – bei der Konzeption des Drehbuchs ein weitgehendes  Mitspracherecht eingeräumt bekommen, das in dieser Form in Hollywood ziemlich einzigartig war. Davon macht sie auch reichlich Gebrauch – und in den Besprechungen dem Drehbuchautor Don DaGradi und den Komponisten Robert und Richard Sherman das Leben und die Zusammenarbeit zur Hölle. Das beginnt schon bei den Besetzungsvorschlägen. Dick Van Dyke für eine der Hauptrollen: Nicht mit Mrs. Travers, denn wirklich große Schauspieler sind ihr zufolge Laurence Olivier, Richard Burton oder Alec Guinness. Die Idee, Mary Poppins als Musical anzulegen: no way. Und als man ihr verrät, dass die tanzenden Pinguine keine richtigen Tiere sind, sondern als Animation mit den Schauspielern ins Bild gerückt werden – was eine der entzückendsten Sequenzen von Mary Poppins und tricktechnisch ein Meilenstein werden sollte – kommt es zum Eklat und beinahe zum Abbruch des Projekts. Anhand dieser Szenen etabliert John Lee Hancock eine weitere, beinahe klassische Konfliktlinie – die zwischen einer Proponentin des ein wenig zur Herablassung neigenden Bildungsbürgertums und einem Repräsentanten der Populärkultur US-amerikanischer Prägung. Wobei auch in diesem Fall P. L. Travers eindeutig die Rolle der stets etwas grantigen Nörglerin zufällt, die mit ihrer Dünkelhaftigkeit den Geduldsfaden Walt Disneys bis auf das Äußerste strapaziert, als sie etwa seine Filme – schon damals schlichtweg Klassiker des Zeichentricks – despektierlich als „silly cartoons“ abqualifiziert.

Walt Disney hat in Saving Mr. Banks die deutlich sympathischere Position, verkörpert er doch den Typus des weltoffenen, kreativen Masterminds, der es schafft, Geschäftstüchtigkeit und visionäres Denken und Schaffen brillant in Einklang zu bringen. Wie kongenial sich Massentauglichkeit und populärkulturelle Qualität vereinigen lassen, hat Walt Disney – und die vielen kreativen Köpfe, die für den Disney-Konzern arbeiteten – ja unzweifelhaft unter Beweis gestellt. Dass im Rahmen einer derartigen Unterhaltungsindustrie nicht nur die Kreativ-, sondern auch die Finanzabteilung das Sagen hat, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, auch wenn dieser Aspekt in Saving Mr. Banks weitgehend ausgespart bleibt. Dafür wird Walt Disneys Rolle als unermüdlicher Vermittler hervorgestrichen, der mit einer Engelsgeduld die Manierismen der schwierigen P. L. Travers auszugleichen versucht, um so die Verfilmung von „Mary Poppins“ zu retten. Obwohl die Reibungsflächen zwischen den Protagonisten zusehends größer werden, bleibt die Konfliktsituation in John Lee Hancocks Inszenierung im Tonfall zumeist auf der komödiantisch-humorigen Seite, ehe sich ganz sachte die tragische Komponente einschleicht.

Schatten der Vergangenheit

Denn hinter all der Schnöseligkeit, bildungsbürgerlichen Herablassung und rechthaberischen Besserwisserei, mit der Pamela Travers ihre Umgebung quält, verbirgt sich ein lange zurückliegendes Trauma aus der Kindheit, das auch nach Jahrzehnten noch seine Spuren hinterlassen hat. Mittels geschickt eingestreuter Rückblenden wird deutlich, welche tiefen Wunden die Beziehung zu ihrem geliebten Vater, der sich durch seine Alkoholabhängigkeit selbst zerstörte und beinahe die gesamte Familie mit in den Abgrund riss, hinterlassen hat. Und nach und nach wird deutlich, dass manches Beharren von P. L. Travers bezüglich ihrer Romanvorlage nicht bloß Sturheit oder Besserwisserei entspringt, sondern – wie besonders ihr Kampf um die Gestaltung des Charakters von Mr. Banks, der Vaterfigur aus „Mary Poppins“ – einen zutiefst persönlichen Bezug für die Autorin hat. Und es wird des Heraufholens dieser schmerzlichen Erinnerungen bedürfen, um jene Brücke zu bauen, die Walt Disney und Pamela Travers schließlich zusammenführt und jenen Kompromiss ermöglicht, der „Mary Poppins“ doch noch auf die Kinoleinwand bringt. Bis dahin ist es allerdings ein langer, schwieriger Weg, in dessen Verlauf sich die so unterschiedlichen Menschen – was Charakter und Einstellung zu vielen Dingen betrifft – doch soweit annähern, dass man zumindest Respekt vor der Position des Anderen hat.

Insbesondere P. L. Travers macht dabei sogar ein wenig eine charakterliche Wandlung durch. Als sie – wieder einmal zunächst recht widerwillig – einer Führung durch Disneyland zustimmt, erkennt sie, dass, trotz aller gegensätzlichen Auffassungen, Disneys Figuren und sein gesamtes phantastisches Universum den Menschen einfach richtig ans Herz gehen – etwas, was Travers mit ihren Büchern, wenn auch mit anderen Mitteln, ebenfalls zu erreichen beabsichtigte. Dass selbst die nach außen so betont kühle Britin sich dem Charme von Disneys Welt nicht auf Dauer entziehen kann, wird deutlich, als sie nach einem besonders langen und stressigen Tag in ihr Hotel zurückkehrt und sich als Kuscheltier für die Nacht die Mickey-Maus-Plüschfigur aus dem Schrank holt.

Die Inszenierung von Saving Mr. Banks variiert dabei gekonnt den Rhythmuswechsel zwischen pointierter, streckenweise süffisanter Komödie und psychologischem Drama, wobei man mit John Lee Hancock genau den richtigen Spielleiter hat. Denn Hancock hat mit Regiearbeiten wie The Rookie und The Blind Side hinlänglich bewiesen, wie man bei der Verfilmung von True Stories der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht wird und gleichzeitig einen entspannten Erzählduktus aufrecht erhält, der Massentauglichkeit garantiert. Und vor allem hat sich Hancock als Actors’ Director erwiesen, der mit seiner Schauspielerführung sogar Sandra Bullock für ihre Rolle in The Blind Side zum Gewinn des Oscar verhalf – und das nicht einmal unverdient.

Saving Mr. Banks reiht sich da gut ein, ist doch der Film vor allem großes Schauspielerkino klassischer Prägung. Schon Nebenrollen sind mit Kalibern wie Colin Farrell und dem bereits erwähnten Paul Giamatti besetzt. Im Fall der Protagonisten macht die Dramaturgie ein Darsteller-Duell auf höchstem Niveau möglich. Emma Thompson versteht es, ihrer Rolle Nuancen und Schattierungen zu verleihen, die über das ein wenig klischeehafte Grundmuster von der rauen Schale mit dem verletzlichen Kern weit hinausgehen. Tom Hanks als Disney hat es mit dem primär gutmütig auftretenden Widerpart da ein wenig schwerer, doch es gelingt ihm, beim wiederholten Rencontre mit der zu Höchstform auflaufenden Emma Thompson ein Mitspieler auf Augenhöhe zu bleiben – ein Beweis, dass Hanks mit der entsprechenden Rolle ein famoser Schauspieler sein kann, der sein Talent nicht mit Konfektionsmüll wie etwa Larry Crowne vergeuden sollte. Dass die Figur des Mr. Disney in diesem Ringen weitgehend und beinahe uneingeschränkt positiv gezeichnet ist, verwundert nur auf den ersten Blick, war die federführende Produktionsfirma bei Saving Mr. Banks doch – Walt Disney Pictures. Doch den „Vater“ von Donald, Onkel Dagobert, Mickey, Bambi und Dumbo als väterlichen Freund von der Traumfabrik präsentiert zu bekommen – da gibt es wahrlich weitaus Schlimmeres.

Die Entscheidung von P. L. Travers, schließlich doch der Verfilmung ihres Buchs zuzustimmen, erwies sich rückblickend natürlich als goldrichtig. Mary Poppins – mit Dick Van Dyke in einer Hauptrolle – wurde zu einem Riesenerfolg und zu einem Klassiker, ohne den Travers’ Buch vermutlich in Vergessenheit geraten wäre. Der filmischen Adaption ihrer weiteren „Mary Poppins“-Bücher hat die Autorin dennoch nie zugestimmt. Doch das ist nur eine weitere Ironie dieser Geschichte.