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Filmkritik

Tomorrow You Will Leave

| Andreas Ungerböck |
Martin Nguyens einfühlsamer Dokumentarfilm über die Wurzeln seiner Familie

Martin Nguyen bereichert seit Jahren mit seinen Filmen die heimische Szene. Nachhaltig in Erinnerung blieb der Dokumentarfilm Ich muss dir was sagen (2006) über die vierjährigen Zwillinge Oskar und Leo, von denen Ersterer gehörlos geboren wurde. Ähnliches Einfühlungsvermögen und eine ähnlich spürbare Passion beweist der Filmemacher nun auch mit Tomorrow You Will Leave, der mit einiger Verzögerung (der Film wurde 2011 fertiggestellt) nun endlich ins Kino kommt. Nguyen befasst sich darin – eigentlich immer eine gute Idee – mit der eigenen Familie, mit seinen Wurzeln.

Seine Eltern, seit gut 30 Jahren in einer fast schon idyllischen Umgebung in Niederösterreich ansässig, verließen Vietnam gegen Ende der siebziger Jahre als Boat People und landeten in einem Flüchtlingslager auf der malaysischen Insel Pulau Bidong, wo auch Martin geboren wurde. Dort, so der Fokus des Films, gab es einen Soldaten namens Ali, der ihnen immer wieder behilflich war. Letztlich gelangte die Familie nach Österreich. Über 200.000 Leute, heißt es im Film, seien im Laufe der Jahre (bis 1992) auf der kleinen Insel gewesen. Heute ist sie wieder menschenleer, die provisorischen Unterkünfte sind verlassen, die Natur beginnt alles, auch die bewegte(n) Geschichte(n) der Flüchtlinge, zu überwuchern.

Doch die Erinnerungen der Familie Nguyen sind lebendig. Und so ist der Film quasi in zwei Hälften geteilt: Die erste dient der Vorstellung der Protagonisten: Martins Vater, der in der Landwirtschaft tätig und in der ländlichen Gemeinde bestens integriert ist, seine Mutter, die das Leben in der Fremde nicht ganz so genießen kann, weil sie zum Arbeiten nach Wien pendeln bzw. unter der Woche in Wien leben muss. Dazu kommt der Filmemacher selbst, der allerlei Fragen zu seiner Herkunft hat. Beide Elternteile sind diesbezüglich recht unsentimental, nur wenn es um den vietnamesischen Schlager „Tomorrow You Will Leave“ geht, der jedes Mal gespielt wurde, wenn jemand die Insel verließ, werden die Augen unvermeidlich feucht. Dazwischen Szenen aus dem Alltag, aus dem Berufsleben, und Home-Movie-Sequenzen mit der Enkelin.

Im zweiten Teil wird Tomorrow You Will Leave zum Road-movie, zum aufregenden Detektivfilm, wenn die Familie Nguyen in Malaysia mit Hilfe freundlicher Menschen versucht, jenen „Ali“ (ein häufiger Name, und vermutlich nicht einmal sein richtiger) ausfindig zu machen, der sie vor 30 Jahren unterstützt hat. Ob es ihnen gelingt – das ist tatsächlich spannend zu erfahren und nur einer von vielen Gründen, sich diesen überzeugenden, bewegenden Film anzuschauen.