ray Filmmagazin » Personen » Schubert und Südafrika

William Kentridge

Schubert und Südafrika

| Andreas Ungerböck |
William Kentridge im Gespräch über seine Arbeit, über Politik und Kunst und über die Haltbarkeit von Filmmaterial.

Worin besteht für Sie die Verbindung zwischen Zeichnung und Film?
Die unmittelbare Verbindung findet man im animierten Film, in welchem eine Zeichnung nur provisorisch, nur vorläufig ist. Sie wird gezeichnet, neu gezeichnet, wieder wegradiert. Das heißt, jede Zeichnung, die man sieht, jedes Bild, ist nur für eine Viertelsekunde da, jenes Bild, das man normalerweise als Zeichnung, als statisch und beständig wahrnimmt, wie eine Fotografie. Ich bin besonders an der Instabilität von Zeichnungen interessiert und an der Art und Weise, wie sie sich mit der Zeit verändern. Und da gibt es augenscheinlich eine Affinität zur Musik, in der man eine Note hört, sich aber der Tatsache durchaus bewusst ist, dass dieser Note eine andere vorangegangen ist und dass eine weitere darauf folgt.

Als Sie sich entschlossen, diese beiden Kunstformen zu kombinieren, was dachten Sie sich dabei? Was wollten Sie erreichen?
Es interessierte mich, in welch unterschiedlichen Formen Musik und Bild zusammenkommen. Das erste, was ich wissen wollte, war, ob die Musik die Bilder sichtbar und erkennbar machen kann. Meine ersten Animationen waren sehr grob, und die Sprünge  zwischen den Frames waren sehr hart.  Wenn man sie für sich genommen ansah, war es wirklich schwierig, auf das Bild zu sehen und sich nicht von der Ruckelei und den Sprüngen abschrecken zu lassen. Und beim Abspielen verschiedener Musikstücke entdeckte ich, dass es bei manchen schwieriger war, die Bilder zu sehen, sie abgehackt und unzusammenhängend wirkten. Manche Musikstücke jedoch schufen so etwas wie eine Verbindung zwischen den Bildern. Es war nicht nur so, dass eine Atmosphäre geschaffen wurde, eine Atmosphäre von Melancholie, Glück oder Freude, sondern man sah es wahrhaftig. Meine Augen sahen etwas anderes, die Musik hatte die Bilder verändert. Und das wurde und ist nach wie vor für mich das Interessante an der Beziehung zwischen Sound bzw. Musik im Speziellen und Film. In Schuberts „Winterreise“ stößt man oft auf einen sich wiederholenden Rhythmus, einen „walking rhythm“, der zum einen die Musik vorantreibt, und wenn man einen Film dazugibt, auch auf irgendeine Art und Weise die Erzählung des Films lenkt, im Sinne von: Man glaubt, dass der Film irgendwohin führt.

Welchen technischen Herausforderungen mussten Sie sich stellen, und wie haben sich diese über die Jahre verändert?
Zuerst wurden die Filme mit einer 16mm-Kamera gemacht, mit einer Bolex Clockwork. Heute werden die Kohlestift-Animationsfilme mit 35mm-Filmen gemacht. Die technische Herausforderung ist die, dass es immer schwieriger wird, 16- bzw. 35mm-Film aufzutreiben bzw. mit diesem in Südafrika zu arbeiten und ihn auch bearbeiten zu lassen. Lange Zeit habe ich die Filme mit Digital Editing fertiggestellt, bis ich zu meinem Entsetzen erfahren habe, dass „konventionell“ konservierte Filme eine Lebensdauer von etwa 600 Jahren haben, digitale Files hingegen eine Lebenserwartung von drei Jahren. Da wurde mir bewusst, dass ich, sofern ich mein Material behalten wollte, für immer gezwungen sein würde, alle paar Jahre alles neu zu sichern bzw. die Festplatten auszutauschen. Und die einzige Alternative war, das gesamte digitale Material der letzten 15 Jahre wieder auf das Medium des späten 19. Jahrhunderts zu transferieren: auf Film.

Sie haben sich immer wieder mit der politischen Situation in Ihrer Heimat beschäftigt. Was kann ein Künstler da überhaupt bewirken?
Die politische Situation in Südafrika, die den Unterschied zwischen der Welt als Realität und der Welt als Prozess vor Augen führt, war mit Sicherheit fortwährend ein wichtiges Thema für mich. Die Ideen der Veränderung und des Widerspruchs sind nicht nur Unterkategorien am Rande, sondern eigentlich die Basis des Verstehens. Das war mir schon von Kindesbeinen an klar, als ich begriff, dass da eine Kluft war zwischen dem augenscheinlichen, normalen Leben, das wir alle führten, und dem verborgenen Bösen, welches diese Normalität aber zusammenhielt und erst ermöglichte.

Ich denke Künstler können die Gesellschaft am besten dadurch verändern, indem sie an ihrer Arbeit festhalten, indem sie daran glauben, dass ihre Erkenntnisse, ihre Arbeit, ihre Bilder eine Resonanz im Betrachter, in anderen Menschen hervorrufen und dass es so etwas wie eine Gemeinschaft gibt, die ihre Gefühle teilt, sie bestätigt. So wie das Gefühl, welches man manchmal beim Lesen eines Buches hat. Man liest ein Buch, und plötzlich erkennt man sich selber darin. In der Verbindung zwischen dem Künstler und dem Publikum liegt sehr viel Trost und Stärke, sie gibt Kraft.

Was hat Sie bewogen, Schuberts „Winterreise“ in Zeichnungen und Filme zu übertragen? Was interessiert Sie daran?
Das „Winterreise“-Projekt ist Resultat des Aufeinanderprallens von Schuberts Musik und seines Liederzyklus mit Fragmenten meiner Filme, die ich in den letzten 20 Jahren gemacht habe. Es gab auch einige Filme, die neu, speziell für das Projekt gemacht wurden, aber der Fokus lag darauf, die „Winterreise“, die in meinen alten Filmen bereits existierte, bevor ich überhaupt angefangen hatte, darüber nachzudenken, zu finden. Über welche Art von Instabilität schrieb Schubert in seinen Stücken um 1828 in Wien. Nicht nur über den harten Winter, was das Wetter betraf, nicht nur über den harten Winter der Herzen, sondern auch über den harten politischen Winter in Metternichs Wien und die Instabilität in Städten wie Johannesburg in den letzten 20 Jahren. Und ich schätze Caspar David Friedrichs Landschaften, die etwas von den südafrikanischen Landschaften an sich haben. So gab es schon früher fremdartige, unterbewusste Verbindungen, die schon existierten, die aber nun im Rahmen dieses Projekts anhand von Schuberts „Winterreise“ erweitert und genauer untersucht werden.