Ein Film wie aus einer anderen Welt: Jonathan Glazers „Under the Skin“ ist einer von sechs Eröffnungsfilmen des Crossing Europe Festivals.
Manchmal definiert sich ein Film zunächst einmal über ein Gefühl. Genauer gesagt: ein Unbehagen, jenes seltsame Empfinden in der
Magengegend, das einen etwa dazu zwingt, sich um Mitternacht eher für den Umweg über die Hauptstraße zu entscheiden als für die Abkürzung durch den Wald. In Jonathan Glazers Under the Skin begegnet man diesem merkwürdigen Gefühl in Form der schönen Laura, einem geradezu unheimlich normal wirkenden Wesen aus einer fremden Welt, die sich unbemerkt unter das schottische Volk mischt, um Menschenfleisch, vorzugsweise jungmännlicher Beschaffenheit, für ihre Auftraggeber zuhause auf dem Heimatplaneten zu besorgen. Laura ist nicht nur ungemein gut aussehend und charmant, sondern außerdem recht wortkarg, wenn es nicht gerade darum geht, einen neuen Anhalter aufzugabeln. Mit einer kindlich-irritierten Unschuld im Blick scheint sie ausschließlich um die sorgfältige Ausführung ihres Auftrags bemüht. Die Welt, in der sie leise wütet, dreht sich indes weiter, alles wirkt zugleich bekannt und fremd, klar und doch gedämpft. Für eine Weile bewegt sich das Dasein in Under the Skin in einem anderen Modus, einem Rhythmus des Verschwindens und der Vergänglichkeit, der den ganzen Film in eine mysteriöse Atmosphäre taucht, eine Stimmung aus Unbestimmtheit, Unsicherheit und Gefahr.
Nach Sexy Beast (2000) und Birth (2004) verfilmt der britische Regisseur Jonathan Glazer mit Under the Skin den gleichnamigen, im Jahre 2000 erschienenen Sci-Fi-Roman des in Schottland lebenden gebürtigen Niederländers Michel Faber. Die subtile düstere Gesellschaftssatire, die Fabers Originalvorlage eingeschrieben ist, ersetzt Glazer weitgehend mit visueller Raffinesse und inszeniert die Geschichte als eine Art filmischen Stream of Consciousness, indem er das Bewusstsein von Laura spiegelt, ihr unmittelbar nahe bleibt, ohne nähere Erklärungen für das zu liefern, was auf der Leinwand geschieht. Und wirklich viel passiert auch nicht, beziehungsweise: Was sich abspielt, wiederholt sich in mehr oder weniger ähnlicher Weise immer wieder auf’s Neue. Laura tut so, als wüsste sie nicht so recht, wohin mit sich selbst, beziehungsweise ob sie jetzt an der nächsten Kreuzung nach links oder rechts abbiegen soll? Er, sichtlich angetan von ihrem koketten Charme, von den engen Jeans ganz zu schweigen, steigt zu ihr ins Auto, um ihr zu zeigen wo es langgeht. Doch ehe er sichs recht versieht, schnappt die Falle zu, sie lächelt ihm noch einmal entgegen, während er bereits im pechschwarzen Nichts versinkt.
Aus dem Blickwinkel der attraktiven Alien-Frau betrachtet erscheint die Welt, wie sie Kameramann Daniel Landin hier gekonnt in Szene setzt, trostlos und grau, die jungen Männer, einer wie der andere, gierig und geil. Und zugegeben, auch aus menschlicher Sicht wirkt Lauras unersättliches Verlangen nach den willigen Erdlingen in dieser Hinsicht seltsam gerechtfertigt. Was angesichts der spärlichen Rahmenhandlung dagegen weniger plausibel erscheint, ist ihr plötzlicher Anfall von Wärme, Neugier und Mitgefühl, der in ihr ein Gewissen regt, von dem sie bisher nicht wusste, dass sie es besaß. Umso mehr lässt der Film einen diese beirrende Freiheit spüren, die es für Laura bedeutet, durch die schottischen Highlands zu streunen und ihre Opfer in die Falle zu locken. Und Scarlett Johansson ist eine Darstellerin, die all das in sich birgt, was ihre Figur ausmacht: das unschuldige Mädchen, die Femme fatale, eine Frau mit Scharfsinn und letzlich auch mit Gefühl. Damit trägt sie den Film, umhüllt von einer melancholisch-verschlossenen Aura, praktisch ganz allein, und sie trägt ihn mit Stil. Oftmals zeigt die Kamera ihr Gesicht einfach nur in Großaufnahme, aus den verschiedensten Perspektiven, die jede für sich auch von der Sehnsucht nach einem anderen Kino erzählen.
Under the Skin ist ein Vexierspiel, ein Psychothriller, in dem Traum und Trauma eng beieinander liegen und dessen verquere Gestalten, so vertraut verfremdet wirken, dass man fast in einem Atemzug gleichzeitig an Ken Loach und David Lynch denken muss, so wie sich hier Wirklichkeit und Surreales, Kalkül und Sinnlichkeit ineinander verzahnen. Dass dabei für den Regisseur die Handlung weniger wichtig ist als die Atmosphäre, die starken Bilder und die opaken Klänge, in die das alles getaucht ist, hinterlässt am Ende eine irritierende Leere. Aber auch das mag Teil des Glazer’schen Konzepts sein. Was wichtiger ist: Under the Skin ist ein mutiger Film, der im Auge des Betrachters deutlich länger verweilen wird als im Herzen. Ein Film, dem zwischen Prolog und Auflösung nicht alles glückt, der aber das, was ihm gelingt, dafür umso eindrücklicher zur Schau stellt.