Jerzy Palacz, kürzlich mit dem Österreichischen Filmpreis für die beste Kameraarbeit ausgezeichnet, im Gespräch über technische Entwicklungen, über seine Kameraphilosophie und seine zahlreichen Filme.
Jerzy Palacz, 1960 in Otmuchow, Polen, geboren, kam 1981 nach Österreich. Er beendete ein Studium der Elektrotechnik, das er noch in Polen begonnen hatte. Danach studierte er Kamera an der Wiener Filmakademie. Schon mit Am Rande der Welt von Goran Rebic´ (1992) und Florian Flickers Sci-Fi-Film Halbe Welt (1993) etablierte er sich als einer der führenden österreichischen Kameraleute. Bis heute hat er bei mehr als 40 Filmen die Kamera geführt. Er arbeitete u.a. mit Karin Berger, Susanne Freund, Ulrich Seidl, Paul Poet und Bady Minck, und zuletzt an Gustav Deutschs Shirley – Visions of Reality und Elfi Mikeschs Fieber. Jerzy Palacz ist zudem ein ausgezeichneter und gefragter Fotograf.
Hatten Sie schon in Polen mit Film zu tun?
Ich hatte schon sehr früh begonnen zu fotografieren. Ich machte Fotos für ein paar Zeitungen, im Studentenheim führte ich einen Fotoclub und später auch einen Filmclub. Film interessierte mich sehr. Ich nahm Kontakt zu den großen Studios auf und begann, Standfotos zu machen. Ich verließ Polen 1981, ein paar Wochen, bevor das Kriegsrecht verhängt wurde. Aber studiert hatte ich Elektrotechnik, und das setzte ich Wien fort. Ich kam bald drauf, dass mich Film und Fotografie viel mehr interessierten. Also machte ich die Aufnahmsprüfung an der Filmakademie und wurde genommen.
Waren Sie mit Götz Spielmann in einem Jahrgang?
Götz war ein paar Jahre über mir. Aber er war in der Studentenkommission, als ich meine Aufnahmsprüfung machte. Ich war mit Paul Harather und Goran Rebic´ in einem Jahrgang.
Mit beiden drehten Sie auch Ihre ersten Filme …
Ja, meine zwei wichtigsten Filme, die auf der Akademie entstanden, waren Soltana von Paul und Domovina von Goran. Sie wurden sogar bei der Berlinale im Panorama gezeigt. Das war der Anfang des Filmemachens für mich. Ich hatte Glück, dass so gute Leute in meinem Jahrgang waren, die dann auch gleich richtig lange Filme machten. Paul hatte mit Indien einen großen Erfolg, und bei ihm ging es mehr in die kommerzielle Richtung. Es war auch Glück, dass ich nach der Filmschule gleich diesen Film mit Goran machen konnte, Am Rande der Welt, und kurz danach den Spielfilm mit Florian Flicker, Halbe Welt. Ich glaube, der hat sich für mich aus der Ästhetik von Domovina entwickelt. Nach Halbe Welt haben sich viele Leute bei mir gemeldet, das war natürlich sehr fein. Nicht alle, die von der Akademie kamen, waren gleich so integriert in der Branche.
Sie haben mehrere Filme mit Goran Rebic´ gedreht. Was verband bzw. verbindet Sie mit ihm?
Ja, Am Rande der Welt war mein erster abendfüllender Dokumentarfilm, gedreht in Georgien. Dann kamen Jugofilm,
Punishment und Donau. Es war eine sehr wichtige und prägende Zusammenarbeit. Wir verstanden uns gut, wohl auch, weil wir beide aus „dem Osten“ kommen. Die geistige und emotionale Verbundenheit ermöglichte uns, diese Filme zusammen zu machen. Ich finde es schade, dass Goran nach Donau keine Möglichkeit mehr bekam, einen Film zu drehen.
Mit Ulrich Seidl haben Sie Der Busenfreund, Models und Jesus, du weißt gedreht. Wie fordernd ist es für einen Kameramann, mit Seidl zu arbeiten?
Seidl ist ein Sonderfall. Er kontrolliert die Bilder sehr stark, etwas, was ich bis dahin nicht gekannt hatte. Das war völlig neu für mich. Seine Filmsprache ist wie Malerei. Für mich war es eine wunderbare Schule des Reduzierens. Das war zuerst sehr schwierig, weil man sich als Kameramann natürlich weniger ausleben kann. Aber er ist als Regisseur so toll und außergewöhnlich, dass man das in Kauf nimmt. Er hat einen eigenen Zugang zu den Geschichten, die er erzählen will, und dazu eine spezielle Arbeitsweise entwickelt. Die stark konstruierten Tableau-Bilder repräsentieren seine Sicht der Welt. Für mich war es eine sehr gute und wichtige Erfahrung, mit Ulrich arbeiten zu dürfen. Das Bild auf das Wesentliche zu reduzieren, das war das Wichtigste, was ich bei ihm gelernt habe.
Sie haben mehr Dokumentar- als Spielfilme gedreht. War das eine bewusste Entscheidung, oder hat es sich so ergeben?
Das hat sich ergeben. Ich habe mir natürlich mehr Spielfilme gewünscht, aber wenn man so lange mit einem Regisseur zusammenarbeitet … Ich verbrachte 14, 15 Jahre im Kreis von Goran Rebic´, dadurch hat sich manches andere nicht ergeben, das war eben so. Aber wie gesagt, Goran war für mich der wichtigste Regisseur, weil wir gute Sachen geschaffen haben, weil wir sehr gut harmonierten.
Gab oder gibt es so etwas wie Vorbilder für Sie?
Viele! Wenn ich Regisseure nennen soll (zuerst die Polen), dann sind das Roman Polanski, Andrzej Wajda, Krzystof Kieslowski, dann Bernardo Bertolucci, Michelangelo Antonioni, Orson Welles oder Andrei Tarkowski. Und natürlich Kameraleute wie Slawomir Idziak, Robby Müller, Vittorio Storaro, Roger Deakins oder Christopher Doyle.
Sie haben den Österreichischen Filmpreis wohl auch für Ihr „Lebenswerk“ bekommen, aber in erster Linie bestimmt für die außergewöhnlichen Bilder von Shirley – Visions of Reality. Was können Sie über die Arbeit erzählen?
Was soll ich sagen? Es war anstrengend, aber großartig.
Edward Hopper verbindet die klassische Malerei, die holländische Malerei, die Renaissance-Malerei und auch die naturalistische Malerei. Er war der Maler des 20. Jahrhunderts. Er ging jeden Tag ins Kino, schaute sich Film noir an und studierte das Licht ganz genau, und die Schatten. Er konnte wunderbar abbilden. Seine Malerei hat trotzdem immer etwas gewisses Unbekanntes, Geheimnisvolles. Vieles von dem, was er gemacht hat, war alt, viele seiner Effekte aber waren neu.
Ich war in den Vorbereitungsprozess involviert, hatte aber zunächst keine Ahnung, wie diese minuziös nachgebaute Architektur beleuchtet werden sollte. Wir haben viel probiert und bald geahnt, dass das mit normaler Beleuchtung nicht funktionieren würde. Man kennt die Bilder ja hauptsächlich in Reproduktionen, aber das ist ja nicht dasselbe wie das Original, das irgendwo hängt, von den Farben her, vom Licht her. Gustav Deutsch und Hanna Schimek sind mit Farbkarten durch die Hopper-Ausstellung in Paris gegangen und haben jedes Bild minuziös farblich abgeglichen. Und dann mussten wir das sozusagen auf dem Set nochmals rekonstruieren. Aber auch in den Museen ist ja das Licht komplett unterschiedlich, je nachdem, um welches Bild es sich handelt, ob man es mit einem bläulichen, kühleren oder einem wärmeren Licht beleuchtet. Also wirkt das Bild bei unterschiedlicher Beleuchtung auch komplett anders. Ich ging zu einigen Bildern mit dem Katalog und verglich die Abbildungen mit dem Original. Die Beschäftigung mit den Farben und dem Licht war eine große Herausforderung, aber ich bin über das Resultat sehr glücklich und darüber, dass wir diese Geduld aufgebracht haben. Ich glaube, es hat sich gelohnt, und der große Erfolg von Shirley weltweit, das ist schon eine tolle Anerkennung unserer Arbeit.
Was bedeutet Ihnen der Österreichische Filmpreis?
Mit Preisen ist es so eine Sache: Meistens entscheidet eine Jury, und man ist abhängig davon, welche Laune die Mitglieder haben, was sie zu Abend gegessen haben und welche Interessen möglicherweise dahinterstehen. Der Österreichische Filmpreis aber wird von der ganzen Branche vergeben, und daher ist es eine schöne Anerkennung. Was der Preis wirklich bedeutet, kann ich erst in einem Jahr sagen, wenn ich sehe, wie viele ernstzunehmende Angebote ich bekomme. Vorerst ist es eine Bestätigung für das, was man tut, und das ist mir sehr wichtig.
Wie sehen Sie die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Kameratechnik? Wie sehr muss man sich als Kameramann auf dem Laufenden halten?
Die Entwicklung passiert so schnell, dass man gar nicht die Zeit hat, sich mit allem auseinanderzusetzten. Wenn man sich vor Augen führt, was technologisch in den letzten 25 Jahren passiert ist, kann man nur staunen. Vor Kurzem haben wir ein Vierteljahrhundert Internet gefeiert, die Entwicklung des Mobiltelefons hat eine Dimension erreicht, dass wir uns nicht mehr vorstellen können, ohne diese Erfindung zu leben. Computer haben unser Leben komplett verändert, und nun ersetzen wir das analoge bzw. chemische Verfahren durch die digitale Technik. Hätten wir uns das alles vor 25 Jahren so vorgestellt? Ich glaube nicht! Oder, anders gesagt: Können wir uns vorstellen, was in den nächsten 25 Jahren passieren wird?
In den neunziger Jahren haben SD-Videokameras langsam die 16mm-Kameras ersetzt. Danach kam HD, zuerst im Fernsehen, dann auch im Kinobereich. Jetzt befinden wir uns im digitalen Zeitalter, und fast jede Woche werden neue Technologien in Spitzenqualität angeboten. Von 2K bis 8K, kleine und große Kameras, neue Optiken, neues Zubehör kommen auf den Markt. Die Geräte werden immer leichter und billiger. Das Licht erlebt auch eine Revolution. Vieles wird duch Dioden-Technologie ersetzt. Die LEDs werden leistungsstärker, bekommen volle spektrale Farbigkeit und verbrauchen weniger Strom. Für uns ist es wichtig, diese Entwicklungen zu beobachten, sich ständig darüber zu informieren und die neuesten Tipps zu holen. Es ist unmöglich, alles zu kennen und alles auszuprobieren. Das Wichtigste ist, dass man weiß, was man will und wie und womit man es erzeugen kann, und es kommt darauf an, in welchem Bereich man arbeitet: Werbung, Spielfilm, Dokumentarfilm, Industriefilm, das sind ganz unterschiedliche Bedürfnisse.
Wie hat sich das Berufsbild des Kameramanns in dieser Zeit entwickelt? Geht es noch ums Lichtsetzen, oder ist man heutzutage mehr Kameratechniker als Kameramann?
Jedes Bild, das wir erzeugen, ist eine Aussage. Welche Information, Ideologie, Glaube, Ästhetik, Philosophie usw. wir hineinpacken, ist unsere Entscheidung und daher ein kreativer oder künstlerischer Prozess. Diese Werte sind unabhängig von der Zeit, in der wir leben. Wir müssen uns natürlich bestimmten Moden unterwerfen, im Allgemeinen erzeugen wir aber die Bilder, die mit unserer Sensibilität, unserer Persönlichkeit zu tun haben. Jeder von uns hat einen individuellen Zugang und ein eigenes Empfinden. Wie wir diese Möglichkeiten des individuellen Ausdrucks in der Praxis umsetzen, ist das Schwierigste in diesem Beruf. Dem einen ist es wichtig, sich mit der Dramaturgie des Lichts zu beschäftigen, dem anderen ist die Perfektion der Technik wichtiger. Das Licht zu setzen bleibt eine der wichtigsten Aufgaben des Kameramannes. Die neueste Technologie erfindet immer empfindlichere Kameras, 800 bis 1600ASA ist schon Standard, und die erlauben es, auch in sehr dunklen Situationen zu drehen. Doch das Wichtigste bleibt: Welchem Zweck sollen die Bilder dienen?
Angeblich kann heute ja „jeder“ Kamera machen, die Technik erlaubt es Regisseuren und Gestaltern, selbst zu drehen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Ich finde es gut, dass jeder, der genügend Engagement, Überzeugung und Leidenschaft hat, Filme machen kann. Bis vor kurzem war das nur wenigen vorbehalten. Jetzt kann es jeder machen, die Frage ist nur, wie er oder sie sich in der Branche durchsetzen kann, wie beständig man arbeiten und existieren kann. Im Dokumentarfilmbereich – wo es um viel Intimität geht – kann jede Person zu viel sein. Hier kann der Regisseur auch alles alleine machen, inklusive Ton. Die Entwicklung geht dahin, immer mehr und billiger zu produzieren. Beim Spielfilm bleibt es eigentlich gleich, bzw. der wird immer teurer. Man kann auch billig produzieren, aber das ist mit Selbstausbeutung verbunden. Man kann auf diese Art ein paar Filme machen, aber irgendwann muss man auch davon leben können, die Miete zahlen, die Kinder in die Schule schicken und so weiter.
Stichwort, Bezahlung: Wird das Handwerk des Kameramannes überhaupt noch richtig wahrgenommen bzw. entlohnt?
Jeder hat seinen Preis und sollte wissen, wie man sich verkauft. Wir haben einen Kollektivvertrag und versuchen, uns daran zu halten. Man muss auch flexibel sein, weil die Budgets variieren – abhängig von den finanziellen Möglichkeiten. Die meisten von uns sind freischaffend und wissen, wie schwer es sein kann. Ich hatte vor vier Jahren eine Krise. Ich wusste nicht, wie es weitergehen soll, hatte Bandscheibenprobleme und war nicht einsatzfähig. Auch die Auftragslage war sehr ungünstig. Ich dachte, ich müsse Taxi fahren, um zu überleben. Aber es gibt auch Situationen, in denen man mehrere Angebote auf einmal bekommt und sich entscheiden muss. C’est la vie. Kameramann zu sein ist einer der schönsten, aber auch grausamsten Berufe.
Haben Sie so etwas wie eine „Kameraphilosophie“?
Das Drehbuch ist immer der Ausgangspunkt. Ich versuche immer, die Bilder zu finden, die der Geschichte helfen, damit die Zuschauer sie visuell verstehen oder empfinden. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte! Für mich bedeutet das, Bilder zu erzeugen, die nicht wie ein Holzhammer wirken, sondern solche, die man vielleicht auf den ersten Blick nicht sieht, aber doch emotional spürt. Ich versuche, die wichtigsten Bilder des Films zu finden und sie dann in einen visuellen Stil umzusetzen. Die Vorbereitung ist mir sehr wichtig, und durch das gemeinsame Annähern – auch mit Ausstattung, Kostüm und Maske – bekommt der Film seine Essenz. Das Spannendste ist jedoch die erste Drehwoche. Da setzt sich alles zusammen, da entsteht das wirkliche Leben. Nun ist es wichtig, über den eigenen Schatten zu springen und sich nicht an Dinge zu klammern, die man sich vorher ausgedacht hat. Die mühsame Vorarbeit bekommt dann eine andere Dimension und muss oft weggeworfen werden. Das Drehbuch ist ein geduldiges Stück Papier, aber das filmische Leben ist wichtiger.
Eine Streitfrage, die so alt ist wie das Kino selbst: Soll man die Kameraarbeit bemerken oder nicht?
Es ist nicht einfach, diese Frage eindeutig zu beantworten. Es gibt Regisseure, die mehr optisch arbeiten und wissen, was ein Bild ausmachen kann oder wie es erzeugt werden kann. Für einen Kameramann ist das sehr begrüßenswert, dadurch wird die Arbeit sichtbarer. Für viele ist es mehr die Story, die umgesetzt werden soll, und die schönen Bilder oder schönes Licht haben weniger Bedeutung. Das Wichtigste ist, herauszufinden, welchen Erfordernissen man sich unterordnet, und in welcher Balance zwischen Buch und Bild man arbeiten möchte. Ich finde, jeder Film soll ein paar Bilder haben, die man nicht vergisst und die man für immer mit dem Film assoziiert. Es ist immer gut, wenn die emotionale Kraft der Bilder Anklang findet. Es gibt natürlich auch überästhetisierte Filme, bei denen sich die Kameraarbeit zu wichtig nimmt. Da kann es passieren, dass der Film schöne, effektvolle Bilder hat, aber keinen Geist.
Haben Sie selbst Ambitionen, Regie zu führen?
Ich habe höchsten Respekt gegenüber der Regiearbeit und habe schon mit sehr vielen unterschiedlichen Regisseuren gearbeitet. Ich fühle mich hinter der Kamera wohler. Dennoch würde ich eines Tages gerne selbst einen Spielfilm machen.