Einen Tag vor seinem Oscar-Triumph hatte Michael Hanekes „Così fan tutte“-Inszenierung in Madrid Premiere. Die gefeierte Opernproduktion gastiert nun bei den Wiener Festwochen.
Die Premiere fand ohne ihn statt. Als am Madrider Teatro Real im Februar 2013 Michael Hanekes „Così fan tutte“-Inszenierung das Licht der Bühnenwelt erblickte, war der Regisseur bereits in Los Angeles. In einem kurzen Brief an das Publikum entschuldigte er sich, dass er Beifalls- oder Missfallenskundgebungen leider nicht persönlich entgegennehmen könne, da er nach der Generalprobe zur Oscar-Verleihung fliegen musste. „Wenn es Ihnen gefällt, halten Sie mir für die Oscars die Daumen. Wenn nicht, dann bitte ebenso.“
Das Daumenhalten hatte genützt. Einen Tag nach der Premiere seiner zweiten Opern-Inszenierung durfte Michael Haneke für Amour seinen ersten Oscar in Empfang nehmen. Und auch die Kritiken für seine Mozart-Interpretation waren großteils euphorisch. „Erbarmungsloser Haneke triumphiert im Teatro Real mit einer umwerfenden ‚Così fan tutte‘“, titelte „El Mundo“, von einem „Triumph des Eros und seiner Melancholie“ schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ und von „der radikalen Ausdeutung der dramatischen Möglichkeiten jeder Figur“ die „FAZ“. Kein Wunder, dass das kommende Gastspiel in der Originalbesetzung im Theater an der Wien als ein Höhepunkt der Wiener Festwochen gilt, obwohl die Produktion bereits im heimischen Fernsehen gezeigt wurde.
2006 hatte Haneke bei seinem Opern-Debüt den „Don Giovanni“, der exakt am 250. Geburtstag Mozarts in der Pariser Oper Premiere feierte, in einem modernen Bürohochhaus spielen lassen. Auch „Così fan tutte“ soll uns so nahe wie möglich gebracht werden. Bühnenbildner Christoph Kanter hat dafür ein teuer modernisiertes italienisches Lustschloss gebaut, dessen herrlicher Garten in der Tiefe der Bühne zu erahnen ist. Hier gibt Hausherr Don Alfonso eine Housewarming-Party als Kostümfest. Der Trick, Altes im alten Gewand zu zeigen und gleichzeitig neu zu beleuchten, funktioniert.
Haneke hat der „Così“, der Liebes- und Treueprüfung, der die beiden Schwestern Fiordiligi und Dorabella (Anett Fritsch und Paola Gardina) von ihren Liebhabern unterzogen werden, eine ausführliche Vorgeschichte verpasst, die er in vielen Interaktionen zwischen Don Alfonso und Despina (William Shimell und Kerstin Avemo) andeutet. Hier ist sie nicht Kammerzofe, sondern Hausherrin, von Kostümbildnerin Moidele Bickel mit einer Art Weißclown-Kostüm bedacht und mit dem intriganten Hausherrn in einem ständigen Psychokrieg verstrickt. „Warum hat denn der reiche Herr Alfonso nur diese Despina geheiratet, wo sie doch eine Immigrantin und 20 Jahre jünger ist als er?“, beginnt Haneke einen kleinen, im Programmheft abgedruckten Fragenkatalog, der als Wegweiser durch seine Sicht auf „Così fan tutte“ dienen soll. „Warum glaubt er denn, dass sie ihn betrügt? Warum muss er sie denn demütigen? Warum muss sie ihn denn demütigen?“
Hanekes „Così“ ist kein tändelndes, heiteres „dramma giocoso“, sondern ein Liebes-, Gefühls- und Rachedrama, dessen Ursprünge in der Vergangenheit dieses ungleichen Paares liegen. Dass er sich dabei mitunter stark von der heiteren Oberfläche entfernt, die nicht zuletzt die musikalische Seite der Oper immer wieder vorgibt, schwächt den starken Gesamteindruck. „Komödie kann ich nicht“, meint Haneke über sich selbst. Die kostümunterstützten Verwirrspiele, der seltsame Auftritt der Liebhaber Guglielmo und Ferrando (Andreas Wolf und Juan Francisco Gatell) als exotische Fremde, sowie der Mummenschanz von Despina als greiser Notar sowie als Clowndoktor mit einem i-Pad als Defibrilator unterstützen diese Selbstkritik mehr, als sie zu widerlegen. Dafür, dass die beiden jungen Frauen nicht einmal aus nächster Nähe in der Lage sind, ihre Lover wiederzuerkennen, hat auch Haneke keine plausible Begründung parat. Gerne wäre man bereit, das Ganze als ein abgekartetes Spiel zu nehmen, das die den jungen Männern überlegenen starken und selbstbewussten Frauen nur zum Schein mitspielen – doch dann gingen Handlung und Musik nicht mehr auf. Und gerade bei den Gefühlswirren der jungen Paare leisten Michael Haneke und Sylvain Cambreling, der in Wien die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen dirigieren wird (für Intendant Markus Hinterhäuser „zur Zeit eines der drei besten Orchester Deutschlands“), ausführliche Tiefenforschung.
Am Ende wendet sich die auf die Bühne gebrachte noble Gesellschaft gar nicht nobel ab vor so viel offenkundiger „Unmoral“, die doch nur auf dem verzweifelten Versuch der Wahrhaftigkeit gründet: Tief zerrissen zerren die Beteiligten in einem starken Schlusstableau aneinander und wollen dabei doch nur dem Ruf ihrer Herzen folgen. Michael Haneke hat mit der „Così“ ein feinfühliges, tragisches, fast choreografisch gearbeitetes Kammerspiel in einem hochästhetischen Setting geschaffen. Es ist traurig, dass Gerard Mortier, der ihn für diese Arbeit über viele Jahre umworben und bei der Umsetzung unablässig unterstützt hat, nicht mehr erlebt, dass Hanekes Mozart-Interpretation nach Madrid und Brüssel nun auch in Österreich zur Diskussion gestellt wird.