Die Wiener Festwochen zeigen aufsehenerregende interdisziplinäre Arbeiten von Matthew Barney, Ho Tzu Nyen und Wael Shawky.
Film kann ein Barometer für den Zustand der globalen Welt sein“, meint Frie Leysen, Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen, „Kunst kann unsere Wahrnehmung für den Fremden und das Andere genauer machen oder in Frage stellen.“ Sie suche deshalb für ihr Programm stets nach Persönlichkeiten, die eine starke künstlerische Position beziehen und eine kritische Sicht auf die Welt haben. Während dem Theater etwas Ephemeres anhafte und es meist nur ein viel kleineres Publikum erreiche, könne ein Film an mehreren Orten und auf mehreren Kontinenten gleichzeitig gezeigt werden. Das könne dann leichter dazu führen, „dass man sich ganz nah am Puls der Zeit bewegt.“
Die multidisziplinär in bildender Kunst, Film- und/oder Videokunst, Installation und Performance arbeitenden Matthew Barney (USA), Ho Tzu Nyen (Singapur) und Wael Shawky (Ägypten) sind Künstler, die auf unterschiedliche Arten Stellung zur Welt beziehen. Was sie verbinden mag, so Frie Leysen, ist ihr Interesse an Geschichte und eine Kritik daran, wie Geschichtsschreibung betrieben wird. So nimmt Wael Shawky beispielsweise einen historischen Stoff als Ausgangspunkt für seine Arbeit Al Araba al Madfuna und verfilmt diesen mit Kinderdarstellern am gleichnamigen historischen Ort. In seinen Erzählungen verwebt er Mythen, reale Gegebenheiten und Imaginationen. Er sagt: „Ich glaube nicht an die Geschichte, aber ich glaube daran, dass wir sie schreiben und dass wir sie in unsere Deutungen des Geschehenen übersetzen.“ Zur derzeitigen Situation für Künstler in Ägypten sagt Leysen, dass zwar die Verhältnisse, unter denen zeitgenössische Kunst produziert wird, prekär seien, der Kunstmarkt aber global vernetzt und ein großes Geschäft. Die politische Situation schaffe Aufmerksamkeit, denn: „Der Kunstmarkt liebt Krieg, Verbrechen und Armut. Glücklicherweise gibt es Künstler wie Wael Shawky, die den Markt nicht bedienen.“
Auch Matthew Barney beschäftigt sich in seiner neuen Filmoper River of Fundament mit Tod, Wiedergeburt und Transformation. Ausgehend von Norman Mailers Roman „Ancient Evenings“, der im alten Ägypten spielt, richtet Barney in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Jonathan Bepler seinen Fokus aber auch auf die US-amerikanische Geschichte. Die Hauptfigur des Romans, Menenhetet I, die durch Reinkarnation einen höheren Status erlangen möchte, wird in Barneys Inszenierung zum verstorbenen Norman Mailer, der von dessen Sohn gespielt wird. Die drei Teile des Films erzählen u.a. von der identitätsstiftenden Geschichte des Automobils in den USA. So „reinkarniert“ ein 1967er Chrysler Imperial als ein 1979er Pontiac Firebird TransAm und als ein 2001er Ford Crown Victoria-Polizeiauto. In die im Februar in New York uraufgeführte Filmoper sind Dokumentationen von Live-Performances eingewebt, eine davon fand in Detroit statt – einer Stadt, die Barney fasziniert, weil in ihr alle Phasen der US-Geschichte gleichzeitig sichtbar sind, vom industriellen Aufstieg der Stadt bis zu ihrem Niedergang. Barney lässt im Rahmen einer Performance Metallskulpturen gießen, dafür fließen aus fünf monumentalen Schmelzöfen in Detroit 25 Tonnen flüssiges Eisen in eine Grube.
Der aus Singapur stammende Ho Tzu Nyen, dessen erster Spielfilm Here 2009 beim Filmfestival in Cannes lief, und dessen Kurzfilme u.a. in Sundance, in Locarno und bei Vienna Independent Shorts vorgestellt wurden, wird bei den Wiener Festwochen eine Bühnenarbeit zeigen. Was seine Arbeiten (u.a. Film, Performance und Video-Installationen) betrifft, meint er: „Zunehmend fließen alle unterschiedlichen Sparten, in denen ich arbeite, mehr und mehr ineinander“. „Ten Thousand Tigers“ behandelt die Geschichte des für die malaysische Mythologie eine wichtige Rolle spielenden Tigers. Meist, so Ho, stehe am Beginn seiner Arbeit ein Bild, das sozusagen eine Verdichtung einer Vielzahl von Ideen sei. Diese Ideen könne auf viele unterschiedliche Arten zur Entfaltung kommen. Bei „Ten Thousand Tigers“ ist dieses Bild das eines „Wertigers“ – eines Menschen an der Schwelle der Metamorphose zum Tiger.
Der Raum, der sowohl für Ho Tzu Nyens Film- als auch Bühnenarbeiten immer eine wichtige Bedeutung hat, wird für diese Arbeit auf einen Bildausschnitt eingeebnet. Der Regisseur möchte durch „diese Negierung des Raums“ eine intensivierte Aufmerksamkeit erreichen, „eine Form von virtuellem Raum“. Geprobt wird mit den Darstellern wie bei der Gestaltung eines Hörspiels, denn die Stimme ist für Ho Tzu Nyen ein wesentliches Element der Proben: Sie führt durch das Dickicht der Zeichen und haucht Objekten Leben ein. Wenn man dem malaysischen Tiger durch die Geschichte folgt, muss auch das Kapitel der Kolonialisierung erzählt werden, die für dessen nahezu vollständige Ausrottung verantwortlich gemacht wird. Ho Tzu Nyen arbeitet dabei mit traditionellen malaysischen Schattenspielfiguren.
Frie Leysen auf die Frage, ob ein Kunstfilm im Gegensatz zum Kinofilm einen „Beipacktext“ benötige, damit das Publikum ihn verstehen könne: „Das ist ein Klischee, gefährlich und populistisch. Das Publikum wird viel zu oft unterschätzt. Zuschauer verstehen schließlich nicht nur mit dem Hirn, sondern auch mit dem Herzen“.