Lena Dunham sucht als Hannah Horvath in Brooklyn nach ihrem Leben, macht dabei oft keine gute Figur und kreiert gerade dadurch eine Serie mit Suchtcharakter: „Girls“.
Hannah Horvath sieht sich selbst als eine Art Oscar Wilde der Twenty-somethings. Doch ihre Eltern finden, es ist Zeit für eine finanzielle Abnabelung. Plötzlich ist sie ohne Geld, in einer Stadt wie New York, verliert durch ihre Ungeschicklichkeit die Praktikumsstelle bei einem Literaturmagazin und schlittert von einer Schwierigkeit in die nächste. Ihren Freundinnen geht es auch nicht besser. Überhaupt erleben die Geschichten von Hannah, Marnie (Allison Williams), Jessa (Jemima Kirke) und Shoshanna (Zosia Mamet) in den ersten zwei Staffeln von Girls keine Höhen-, sondern eher Sturzflüge. Shoshanna ist die Einzige, die noch studiert. Während die anderen langsam begreifen, dass sie sich inmitten prekärer Arbeitsverhältnisse befinden, träumt Shoshanna von einer Welt à la Sex and the City. In Brooklyn aber, wo Girls größtenteils spielt, werden keine Cocktails mit Kirsche getrunken, sondern höchstens Opiumtee aus Gurkengläsern. Verstreute Klamotten, gebrauchte Kondome und ein Glas Erdnussbutter mit zwei Löffeln – das ist so ziemlich das höchste, was an Romantik geboten wird. Und auch sonst hat Girls eher wenig mit der stylischen Serie aus den späten neunziger Jahren zu tun.
Hannah Horvath ist keine gertenschlanke Schuhfetischistin. Sie ist dicklich, oft ungeschminkt und unvorteilhaft gekleidet. Sie trägt mit Vorliebe Jumpsuits und sitzt damit gerne auf schmutzigem Boden. Als wäre das nicht genug, ist sie ab Season 2 auch sehr oft nackt zu sehen. Marnie, anfänglich Hannahs beste Freundin und Mitbewohnerin, ist eine Art Pendant zur schlampigen Hannah. Zwei Frauentypen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und so wirken, als stünden sie für zwei verschiedene TV-Shows, so Serienerfinderin Lena Dunham. Und doch darf auch Marnie nicht nur „Probleme mit ihrem Hübschsein“ haben. Shoshanna steht ständig unter Strom. Aus ihr purzeln atemlos und unzusammenhängend die Worte heraus. Trotz ihrer typisch-hysterisch-amerikanischen Art ist sie für eine normale TV-Show etwas zu verrückt. Davon zeugt nicht nur eine irrwitzige Situation, in der sie – ohne Rock – durch die Straßen läuft, nachdem sie (versehentlich!) Crack geraucht hat. Shoshanna ist ebenso wenig das All-American-Girl wie Jessa, die sich in einer Kneipe mit den Worten „These things never start on time“ vor einer geplanten Abtreibung drückt.
Dunham verschont ihre Figuren nicht. Sie benehmen sich oft daneben, belügen sich selbst, sagen etwas, wenn sie eigentlich besser geschwiegen hätten. Doch gerade das macht den Reiz von Girls aus. „I’ve seen women how I wish I could behave. And women seeing how I hate them to behave. But no women behaving how we actually behave“, sagt Dunham in einem Gespräch mit dem Produzenten Judd Apatow, bekannt durch Filme wie Anchorman. Auch die Männer in Girls sind keine bloßen Versatzstücke, an denen gängige Liebesprobleme abgearbeitet werden. Sie sind ebenso normal, eigenwillig und oft unfreiwillig komisch wie die jungen Frauen. Überhaupt sind die Schwierigkeiten nicht so einseitig gelagert. Die programmierten Missverständnisse zwischen Hannah und Adam (Adam Driver) oder Shoshanna und Ray (Alex Karpovsky) sind genauso groß wie jene zwischen Hannah und Marnie.
Happily whatever after
Wie die meisten jungen Menschen kreisen Hannah und ihr Freundeskreis immer verzweifelt um sich selbst. Statt miteinander zu reden, wird monologisiert, am Ende wirft jeder jedem vor, schrecklich egozentrisch zu sein. Das alleine ist eigentlich kein Zeit-, sondern ein Altersphänomen. In gleichem Maße wie der Egozentrismus wächst in Girls aber auch die Isoliertheit. „Face to face ist of course ideal, but it’s not of this time“, meint die altkluge Marnie zu Hannah, als diese auf eine SMS von Adam wartet. In Zeiten von Facebook und Co. ist das Warten auf eine Textnachricht eine Qual. Doch auch die Elterngeneration scheint sich eher für sich selbst zu interessieren. Das gilt sowohl für Marnies Mutter als auch für Hannahs Mutter, die mit den Worten: „I wanna sit by a fucking lake“, klarstellt, sie habe ihre Tochter lange genug unterstützt, jetzt sei sie an der Reihe. Gegen Ende von Season 2 verliert die zwischen Selbsthass und Selbstzufriedenheit schwankende Hannah immer mehr Kontakt zur Außenwelt. Ihre Abkapselung kulminiert in einem grenzwertigen „Wattestäbchenvorfall“, den man gesehen haben muss.
Nichtsdestotrotz dominiert in Girls ein witziger, selbstironischer Tonfall. „Comedy is at it’s best, when it’s about humiliation“, sagt Judd Apatow. Schon in ihrem semi-autobiografischen Spielfilm Tiny Furniture, einem Low-Budget-Film aus dem Jahr 2010, sind es die Missgeschicke und Fehler der Protagonisten, die Dunham herausgreift. Wie dort ist sie auch in Girls nicht nur Erfinderin der Serie, schreibt viele der Episoden und führt Regie, sondern wirkt auch als Hauptdarstellerin. Das lässt an einen anderen New Yorker Filmemacher und Standup-Comedian denken, auf dessen Filme in Girls mehrfach angespielt wird. Und wirklich, Hannahs neurotische Selbstbesessenheit erinnert streckenweise weitaus mehr an frühe Woody-Allen-Filme als an Sex and the City. Allen zählt, wie auch Noah Baumbach, Regisseur von Frances Ha, zu Dunhams Vorbildern.
Hannahs Umgang mit ihrem Körper, von dem sie sagt, er habe im College ziemlich die Form verloren, weshalb sie versucht habe, die Kontrolle durch Tätowierungen wiederzuerlangen, zeugt ebenfalls von ihrer teils zwanghaften Beschäftigung mit sich selbst. Lena Dunhams Eltern, beide selbst Künstler in New York, kannten viele Performance-Künstler. Dunhams Verständnis des eigenen Körpers als Werkzeug für Erfahrungen mag auch daher rühren, die Serie unterwandert aber in jedem Fall sexistische Vorstellungen – zum Beispiel auch, wenn Marnie sich nach einer erniedrigenden Begegnung mit einem Künstler in ihrem perfekt sitzenden Kleid selbst befriedigt.
Man tut falsch daran, die Serie nur auf Sex festlegen zu wollen. In „Ein Ausflug aufs Land“, einer der stärksten Episoden von Season zwei, wird Jessa mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Gerade in den Aufnahmen ohne Dialog liegt etwas von Jessas Unfähigkeit, mit ihren Problemen umzugehen. In solchen Episoden sprechen die Bilder für sich. Besondere Aufmerksamkeit schenkten Dunham und Co. dem Intro, das von Grafikdesigner Howard Nourmand im Art Deco Stil gestaltet wurde. Mal schrill und neonfarben, mal zurückhaltend melancholisch – fast wie ein Stimmungsring wechseln die fünf Buchstaben von Episode zu Episode ihre Farben, und egal über welche Probleme Hannah, Shoshanna, Jessa und Marnie gerade stolpern, das Leitmotiv heißt immer: Girls rock!