Schlussverkauf im Horrorladen
Der Horrorfilm hält in seinem Fundus eine Vielzahl von Elementen und Versatzstücken bereit, um erzähltechnisch kompakt und effizient darauf zu verweisen, dass der Furcht und Schrecken nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ganz direkt kommt hingegen der Verweis gleich zu Beginn von Ich seh Ich seh, dass hier etwas im Argen liegt. Denn als die Zwillinge Lukas und Elias ihre Mutter begrüßen, die mit einbandagiertem Kopf nach einer Schönheitsoperation nach Hause kommt, stellen die zehnjährigen Buben mit Bestimmtheit in den Raum: „Du bist nicht unsere Mutter.“ Folgt man Hitchcocks Theorie, derzufolge das Wissen des Zuschauers um eine tickende Zeitbombe, die unter dem Tisch liegt, die Spannung länger und effektiver aufrechterhält als der Schockmoment einer überraschend explodierenden Bombe, ist das eine durchaus probate Strategie, um Suspense zu generieren. Aufbereitet wäre dann auch alles: Die Mutter verhält sich in den folgenden Tagen reichlich merkwürdig, und weil das Haus, in dem sich das alles abspielt, abgelegen irgendwo am Land zwischen Wäldern und Maisfeldern liegt, scheinen die Kinder ihrer Mutter – oder wer diese Person auch immer ist – ausgeliefert zu sein.
Doch das Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala setzt nicht auf dieMöglichkeiten eines psychologisch fundierten Horrorthrillers, sondern greift tief in den Fundus des Genres, um einen umfassenden Streifzug durch die diversen Materialien des Horrorfilms zu präsentieren. Von den assoziativen Abgründen des David Lynch über den Bodyhorror David Cronenbergs bis hin zu Motiven aus diversen Adaptionen von Stephen Kings Vorlagen changiert Ich seh Ich seh. Dabei entwickeln sich durchaus einige stimmige und spannungsgeladene Szenen, besonders Martin Gschlachts sorgfältig komponierte Bilder erzeugen ein kaltes Schaudern von durchdringender Intensität. Doch das kann schlussendlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Inszenierung von Franz und Fiala es nicht schafft, aus der Vielzahl von Referenzen, Zitaten und Anspielungen dem Film eine eigene Identität zu verleihen. Zu sehr wirkt Ich seh Ich seh wie eine Versuchsanordnung, die wie eine klinische Studie die Elemente des Genres zu sezieren versucht. Dass die Charaktere dabei nicht einmal mehr wie Stereotypen – was im Kanon des Horrorgenres ein gängiges und legitimes Muster wäre – agieren, sondern wie Labormäuse in angesprochener Versuchsanordnung, lässt die Dynamik zwischen den Figuren gegen Null tendieren und untergräbt die narrative Glaubwürdigkeit zusehends. Da hilft dann nicht einmal mehr eine hohe Bereitschaft zum „suspension of disbelief“.