Dokumentarfilme oder Spielfilme, in denen die Musik eine wichtige Rolle spielt, sind bei Festivals meist Publikumsrenner. Auch identities widmet dem Thema einen Schwerpunkt
Beim Stichwort Queer Music fallen vielen Leuten erst einmal vereinzelte Stars wie Freddie Mercury, Elton John oder George Michael, Szene-Ikonen wie k.d. lang oder vielleicht noch der euphorisierende Sound von Queer Disco ein. Dabei gibt es gerade im Independent-Bereich etliche Künstler, die ihre schwule/lesbische/transgender Identität keinesfalls verheimlichen, sondern selbstbewusst meist mit allgemeiner Gesellschaftskritik verbinden. Solche widerständigen Bands haben es im von Machismen und Sexismen dominierten Musikgeschäft nicht leicht, deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass nur wenige über lokale Anerkennung hinaus breitere Publikumsschichten erobern konnten.
Anger Is an Energy
Der Dokumentarfilm She Said Boom von Kevin Hegge bringt uns die kanadische All-Girl-Band Fifth Column näher, wohl eine der wichtigsten Queer-Feminist-Formationen überhaupt, die aber außerhalb ihrer kleinen Fanbase nahezu unbekannt sind. Ihre rohe, energiegeladene Musik beschreibt ein Bandmitglied mit „the sound of music falling apart“, der autodidaktische Do-It-Yourself Zugang und das Gefühl für gebrochene Rhythmen und Melodien, die im Ohr bleiben, erinnert ein wenig an die britischen Raincoats. Der Film bietet eine gelungene Mischung aus selbst aufgenommenem Archivmaterial der achtziger und frühen neunziger Jahre – die wichtigsten Mitglieder der oft wechselnden Besetzung waren auch in der Filmszene aktiv – und Interviews aus dem Jahr 2012, was immer wieder schöne Einblicke eröffnet, wie Menschen sich äußerlich verändern und im Kern doch die gleichen bleiben. Ihre Wut auf die patriarchalischen Zustände entlud sich in schönen Albumtiteln wie „To Sir with Hate“. Fifth Column verstanden sich allerdings nicht in erster Linie als queere Band, obwohl GB Jones und Carolyn Azar aus ihrer sexuellen Orientierung kein Geheimnis machten. Mitreißend ist nicht nur die Musik, sondern auch die unbändige Energie dieser Frauen und der gesamten Underground-Szene Torontos, die viele Themen der späteren Riot-Grrrls-Bewegung vorwegnahm: So outet sich Kathleen Hannah von Bikini Kill im Film als Fan der Gruppe.
Provokation
Ein guter Freund der Band, der einige Zeit bei ihren Auftritten als Go-Go-Tänzer fungierte, war der damalige Friseur und spätere Kultfilmer Bruce La Bruce. In seinem Spielfilmdebüt No Skin Off My Ass spielt GB Jones eine wichtige Rolle als radikalfeministische Filmemacherin und Schwester des jungen Skinhead, der im Zentrum der Begierden von Bruce La Bruces Alter Ego steht. Gefilmt im Guerilla-Stil in Schwarzweiß ohne Budget fängt der Film den Geist dieser Szene, die Mischung aus Analyse der herrschenden Zustände und wilder Lebenslust, perfekt ein. Explizite Sexszenen mit Blowjobs und Cumshots – einmal unterlegt mit einer komisch erotischen Beschreibung der verschiedenen Eigenschaften von Skinhead-Boots – wechseln ab mit lyrischen Betrachtungen über die Liebe und das Leben. La Bruce arbeitet sehr stark mit Kontrasten, auf Provokationen wie das von Nico gesungene „Deutschland, Deutschland über alles“ in einem Nazi-Fetisch-Traum folgen immer wieder selbstironische Passagen. Gerade die eklektische Auswahl der Musik – von Fifth Column über eine Ska-Version von „These Boots are Made For Walking“ bis zu Karen Carpenter, von Punk bis opulentem Filmscore zu Loungejazz und Klassik – trägt zum Unterhaltungswert dieses Films erheblich bei. Wer beide Werke hintereinander anschaut, wird wohl große Lust verspüren, selber eine Band zu gründen oder einen Film zu drehen, so ansteckend wirkt die simple Freude am Tun bei den Protagonisten.
Lesbian Groove
Auch bei der lateinamerikanischen Band Kumbia Queers spielt die Energie des Punk und New Wave eine wichtige Rolle, allerdings werden hier harte Gitarren mit dem Rhythmus des Kumbia verknüpft, einer in der Anden-Region immens populären Tanzmusik mit westafrikanischen Ursprüngen. In Kumbia Queers: More louder, bitte! begleitet die Filmemacherin Almut Wetzstein die charismatischen Musikerinnen auf ihrer Europatour und fängt die Freuden und Leiden des Lebens on the road mit ihrer diskreten Kamera ein. Die fünf lesbischen Frauen sind alle schon länger im Musikgeschäft, aber noch immer ist bei jedem Auftritt eine unbändige Spielfreude spürbar, die sich mühelos auf das Publikum überträgt. Gerade in den männlich dominierten Gesellschaften von Mexiko und Argentinien engagieren sich die Kumbia Queers für Frauenrechte allgemein, nicht nur für die Anliegen der queeren Community.
Auch in einigen anderen Filmen des vielfältigen identities-Programms ist Musik ein wichtiger Faktor: als verbindendes Element im Familienmigrationsdrama Xenia oder als verführerischer Tango in Gummistiefeln inmitten der kanadischen Einöde in Tom at the Farm. Und natürlich steht sie auch im Mittelpunkt von Kein Zickenfox, einer Dokumentation über das weltweit einzige Frauenblasorchester in Berlin.