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Viennale – Eine Vorschau

Ich bin ein Frauenversteher

| Dieter Oßwald |
Regisseur Todd Haynes über „Carol“, den Eröffnungsfilm der diesjährigen Viennale.

Für sein Spielfilmdebüt Poison gewann der heute 54-jährige Todd Haynes 1991 den Jury-Preis beim Sundance Film Festival. Mit der Glam-Rock-Ballade Velvet Goldmine ging er in Cannes an den Start. In Venedig verschaffte er seinen Schauspielerinnen gleich doppelt Preise: Julianne Moore erhielt 2002 für Far from Heaven den Darstellerpreis, fünf Jahre danach wurde Cate Blanchett für die fiktive Bob-Dylan-Biografie I’m Not There mit der Coppa Volpi geehrt. Sein exzellentes Gespür für Frauenfiguren beweist Haynes auch bei Carol, einer lesbischen Love Story nach dem autobiografischen Roman „The Price of Salt“ von Patricia Highsmith. Rooney Mara wurde als beste Darstellerin mit einer Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet, Cate Blanchett erhielt – wie immer – euphorische Kritiken, und beide haben beste Aussichten auf den Oscar.

Manche Kritiker beschreiben Carol als „Brokeback Mountain für Frauen“. Sind Sie damit einverstanden?
Ich liebe Brokeback Mountain. Die besten Liebesgeschichten handeln nun einmal von Hindernissen zwischen den Liebenden. Und davon, in welche Nöte sie geraten, wenn sie ihre Bedürfnisse nicht erfüllen können – bevor sie dann schließlich Wege finden, ihre Liebe zu verwirklichen.

Wann kamen Sie mit diesem Roman von Patricia Highsmith zum ersten Mal in Berührung?
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich „The Price of Salt“ erst sehr spät entdeckt habe. Alle meine lesbischen Freundinnen haben mich ausgelacht, als sie das erfuhren, denn für sie galt das als Standardlektüre seit ihren College-Zeiten. Umso mehr habe ich das Buch dann geliebt, ich finde es sehr, sehr berührend.

Weshalb hat es eigentlich so lange gedauert, bis dieser Highsmith-Roman verfilmt wurde? Lag es an der homosexuellen Thematik?
Ich glaube, es liegt eher an dieser lächerlichen Einstellung, dass Filme über Frauen generell schwierig zu finanzieren sind. Das erging uns ja ebenso: Wir haben Patricia Highsmith, wir haben Cate Blanchett und dazu diese attraktive junge Rooney Mara, die sich in sie verliebt – wo liegt das Problem? Und dennoch gibt es diese verbohrte Haltung in der Filmindustrie, wonach ein Publikum immer nur aus 20-jährigen Jungs besteht.

Wenn heute ein Hollywood-Star sich als lesbisch outet, macht das dicke Schlagzeilen. Sind die fünfziger Jahre noch immer präsent?

Wenn es um Sexualität und Körperlichkeit geht, leben wir allesamt noch in den fünfziger Jahren. Wobei ich mir keine großen Sorgen darum mache, dass die allgemeine Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben zunehmen wird. Mir bereitet es größere Bedenken, wie sehr die Fragen von Frauenrechten zurückgedrängt werden. Während Themen wie schwule Hochzeiten oder Rassismus ständig im Fokus stehen, scheinen Frauenthemen immer mehr an den Rand der gesellschaftlichen Diskussion gedrängt zu werden.

Sehen Sie sich als Frauenversteher auf dem Regiestuhl?
Ja, aber damit bin ich keineswegs alleine, ich sehe mich da in der Tradition von Fassbinder oder Chabrol, die häufig Geschichten über Frauen erzählt haben. Von den Ungerechtigkeiten einer Gesellschaft und ihren sozialen Schärfen mögen wir alle auf irgendeine Weise betroffen sein. Aber man findet diese Missstände eben insbesondere bei Geschichten über Frauen. Das männliche Genre-Kino bietet hingegen meist Eskapismus und zelebriert eine Freiheit jenseits solcher Konflikte.

Macht es einen Unterschied, eine Geschichte über Frauen oder über Männer zu erzählen?
Wenn die Geschichte davon handelt, dass zwei Menschen sich verlieben, macht es keinen Unterschied. Damit kann jeder etwas anfangen, unabhängig von seinem Geschlecht, seinem Alter oder seiner Lebenserfahrung. Natürlich achte ich schon darauf, wer wem welche Blicke zuwirft und wie das passiert. Üblicherweise ist es im Film so, dass der Mann die Frau anschaut und sie zu seinem Objekt wird. Damit bekommt er die Macht und treibt die Geschichte voran. Bei mir ist es hingegen so, dass die Person, die die andere anschaut, die schwächere von den beiden ist. Das verschiebt die klassische Balance von Objekt und Subjekt.

Der Film zeigt eine sehr freizügige Sexszene unter Frauen. Wie inszeniert man solche Szenen mit Stars?
Man muss den Schauspielerinnen vorab das Maximum an Informationen liefern. Das Drehbuch muss ganz klar vorgeben, wie diese Szenen aussehen. Danach müssen die Kameraeinstellungen und das Licht festgelegt werden, was bei zwei Kameras gleichzeitig nicht ganz einfach ist, weil das Licht eben immer nur für eine günstig ausfällt. Meine Vorstellung war, dass diese Szene schön wird und die Schönheit dieser Frauen widerspiegelt. Wenn all diese Dinge geklärt und besprochen sind, haben die Schauspielerinnen das ausreichende Vertrauen. Sie wissen, dass dieses Szenen kein Selbstzweck sind, sondern essenziell für das Erzählen dieser Geschichte. Trotz alledem sind alle nervös. Aber dann dreht man und es ist vorbei, bevor man es richtig merkt.

Wie kamen Sie auf Rooney Mara?
Ich habe die Arbeit von Rooney schon seit längerem beobachtet und war begeistert, welches Spektrum sie dabei bietet. Alle Regisseure, mit denen ich über sie sprach, waren voll des Lobes über sie. Wir kannten uns zuvor nicht persönlich, aber mir war schnell klar, dass sie perfekt für diesen Film sein würde.

Und Cate Blanchett steht fast traditionell auf Ihrer Besetzungsliste?
Es war umgekehrt: Cate war bereits für die Hauptrolle vorgesehen, als man mir die Regie für den Film anbot. Beim Lesen des Romans und des Drehbuchs wusste ich also, das Cate unsere Carol sein würde. Als ich sie zuletzt in Blue Jasmine sah, fiel mir auf, dass sie immer schöner und faszinierender auf der Leinwand wird. Als Carol spielt Cate das Objekt der Begierde, was wirklich keine einfache Rolle ist, zumal sie die ältere der beiden Frauen ist.

Alle lieben Cate Blanchett. Hat sie denn gar keine negativen Seiten? Wie sehen Sie das?
Cate ist sehr hart mit sich selbst. Manchmal wusste ich nicht, wie ich sie davon überzeugen konnte, dass ihre Leistung exzellent war. Oder wie ich sie davon abbringe, so hart mit sich selbst zu sein. Das ist nicht ständig so, aber an manchen Tagen passierte das schon.

Wie Far from Heaven spielt auch Carol in den fünfziger Jahren. Woher rührt diese Vorliebe?
Beide Filme spielen zwar in den fünfziger Jahren, aber es gibt doch enorme Unterschiede zwischen 1953 und 1957. Zu Beginn dieses Jahrzehntes herrschte eine große Desillusion über die Präsidentschaft von Truman. Der Kalte Krieg begann, und der Korea-Krieg stand vor einem blutigen Ende. Es herrschte ein echtes Klima von Paranoia. Die Bilder von New York City waren bestimmt von diesen dreckigen, heruntergekommenen Wohnblocks, ein enormer Kontrast zu den hübschen Vororten der Eisenhower-Zeit. All jene Dinge, die später in den sechziger Jahren explodiert sind, haben sich in den fünfziger Jahren zusammengebraut.

 

 

„Carol“ läuft am 22. Oktober im Rahmen der Viennale-Eröffnungsgala und danach als öffentlich zugängliche Vorstellung im Gartenbaukino. Kinostart ist im Dezember.