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Janis: Little Girl Blue

Filmkritik

Janis: Little Girl Blue

| Jörg Schiffauer |
Der Ruhm und sein Preis

Sie zählt ohne Zweifel zu den Ikonen der sechziger Jahre.Kaum jemand repräsentierte den Geist der Gegenkultur und der gesellschaftspolitischen Umbruchstimmung so eindrucksvoll wie Janis Joplin. Nicht, dass das nicht längst popkulturelles Standardwissen wäre und vieles über Leben und Werk bis hin zum frühen tragischen Tod noch im Dunklen liegen würde. Amy Berg, die sich mit ihrem für den Oscar nominierten Dokumentarfilm Deliver Us from Evil einen Namen gemacht hat, versucht klugerweise gar nicht, mit Janis: Little Girl Blue den großen Scoop landen zu wollen. Ihre Dokumentation ist eine einfühlsame, mit Liebe zum Detail in Szene gesetzte, eindrucksvolle Rekapitulierung der Biografie ihrer Protagonistin, die geschickt die Balance zwischen dem berühmten Rockstar und der privaten Person auszutanrieren versteht. Berg konnte sich dafür die enge Kooperation mit Janis Joplins Familie sichern, samt Einblick in die private Korrespondenz, die sie mit ihren Angehörigen pflegte. Die Zitate aus diesen Briefen bilden dann auch ein zentrales, strukturierendes Element in Amy Bergs Film, der chronologisch den Weg von Janis Joplin zu einer der größten und einflussreichsten Stimmen des Rock ’n’ Roll nachgeht.

Der war alles andere als vorgezeichnet, wuchs doch die am 19. Jänner 1943 geborene Janis in einer gutbürgerlichen Familie im stockkonservativen Port Arthur, Texas, auf, wo jedoch die rebellische, unkonventionelle Seite ihres Charakters schon bald  hervortrat. „She liked to rock the boat“, merkt dazu ihr  Bruder Michael an. Und schon bei ihren ersten Versuchen als Sängerin wurde rasch deutlich, über welche einzigartige Stimme sie verfügte. Das weiße Mädchen aus Texas vermochte den schwärzesten Blues zu intonieren wie niemand sonst. Wegbegleiter wie Mitglieder der Band „Big Brother and the Holding Company“, mit der Joplin als Frontfrau erste Erfolge feierte, erinnern sich an ihren Aufstieg, der nach dem Auftritt beim Monterey Pop Festival 1967 keine Grenzen zu kennen schien. Janis: Little Girl Blue kommt dabei ohne prätentiösen Schnörkel aus, mit einem bewährten Mix aus Archivmaterial und Zeitzeugen-Interviews – darunter D. A. Pennebaker, Kris Kristofferson und Dick Cavett – gelingt es der Regisseurin, die Atmosphäre einzufangen, die den legendären „Spirit“ der sechziger Jahre ausmachte, und in der Janis Joplin zu einer der Leitfiguren der Ära aufstieg. Dass es ihr dabei zusehends schwerer fiel, die vielen Projektionen, die mit der öffentlichen Figur Janis Joplin verbunden waren, zu erfüllen, spart diese Dokumentation nicht aus. „You can’t imagine how hard it is to be me“, wird sie zitiert. Ein sich verstärkt auftuender Widerspruch, den sie zeitweilig nur mittels Alkohol und Heroin in den Griff zu bekommen glaubte und der mit ihrem Tod am 4. Oktober 1970 den ultimativen Preis einforderte.